Hamburg. Viele Unternehmer bekommen derzeit Post von der Stadt, darin: Eine Zahlungsaufforderung mit kurzer Frist. Was Betroffene tun können.
Die Pandemie geht gefühlt zu Ende, doch viele Hamburger Kaufleute sind nach wie vor mit dem Thema Corona-Hilfen beschäftigt. Etliche Unternehmer haben in den vergangenen Wochen Post bekommen, mit der Aufforderung, die Unterstützung umgehend zurückzuzahlen. Die meisten traf diese Nachricht wie ein Schlag. Einer der Betroffenen ist Horst Schwede, Inhaber des Comicladens „Comics Total“ am Grindel.
Die zuständige Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) hatte den Händler, für viele Comicfans seit 1988 eine Institution etwa für Graphic Novels, angeschrieben. Der Inhalt des Briefes: 12.961 Euro soll Schwede überweisen, innerhalb von zwei Wochen. Für den Buchhändler im Univiertel eine böse Überraschung: „Ich hatte das Geld schon ausgegeben“, beschreibt Schwede seine Bedrängnis, denn er sei davon ausgegangen, dass die Zahlung nicht zurückgefordert werde.
Corona: Hamburg will 83,7 Millionen Euro Soforthilfe zurück
Auch Frank Köster, Friseur aus der City, stand vor diesem Problem. Bei ihm ging es sogar um 20.000 Euro. In dem Schreiben der IFB stand ebenfalls unmissverständlich, dass er die Summe innerhalb von 14 Tagen zurückzahlen müsse. Von einer Möglichkeit, dass es eine Anhörung bei der Förderbank geben könnte, war in diesen Briefen nicht die Rede. Die Folge: Die Unternehmer sahen sich durch die Forderung einem starken Druck ausgesetzt, sowohl zeitlich als auch finanziell.
Die beiden Hamburger sind keine Einzelfälle: Die Stadt Hamburg hat bislang zu Unrecht ausgezahlte Corona-Hilfen in Höhe von 83,7 Millionen Euro zurückgefordert. Davon seien inzwischen 32,6 Millionen Euro zurückgezahlt worden, heißt es in der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker. Insgesamt wurden seit Beginn der Pandemie nach Angaben der IFB mehr als zehn Milliarden Euro zur Krisenbewältigung an die Hamburger Wirtschaft geleistet. Dem gegenüber stehen laut Senat bis Ende Mai 10.229 Rückforderungen, die meist mit fehlenden Antragsvoraussetzungen begründet wurden.
Corona-Hilfen: Behörden seien nachlässig gewesen
Beantragen konnten die Betroffenen den Zuschuss zunächst unbürokratisch: Für eine schnelle Bearbeitung mussten Antragstellende die Höhe der benötigten Hilfen zunächst schätzen und keine Nachweise vorlegen. Mit den Zuschüssen aus der Hamburger Corona-Soforthilfe mit Unterstützung des Bundes sollten Unternehmen, die durch die Corona-Krise ab Mitte März 2020 in eine existenzbedrohende Lage geraten sind, unterstützt und Liquiditätsengpässe überbrückt werden, sodass sie die Zeit des Lockdowns überwinden konnten. Die Höhe der Nothilfe hatten die Antragsteller für den Förderzeitraum von drei Monaten auf Basis ihrer anfallenden Kosten geschätzt.
Stellt sich nun heraus, dass die Einbußen niedriger ausgefallen sind als 2020 prognostiziert, müssen die Firmen das erhaltene Geld komplett oder in Teilen erstatten. Die IFB ist dabei auch auf Betreiben des Rechnungshofs tätig geworden: Die Prüfer des Hamburger Haushalts hatten dem Senat zwar zugestanden, dass es am Anfang der Pandemie schnell gehen musste. Im Nachhinein hätten die Behörden aber genauer hinschauen müssen, ob Unternehmen überhaupt Hilfe brauchten und ob die Höhe angemessen gewesen sei, so der Rechnungshof.
Rückzahlung der Soforthilfen sei nicht klar gewesen
Viele Firmen beklagen vor allem, dass etliche Formulierungen rund um die Unterstützung missverständlich oder sogar unverständlich seien. Wurde bei der Auszahlung der Hilfen klar formuliert, dass sie gegebenenfalls zurückgezahlt werden müssen? Offenbar konnten die Betroffenen aufgrund einer Formulierung sogar den Eindruck gewinnen, dass keine Rückzahlung gefordert werden würde.
Andreas Majonek von der IFB versucht aktuell auf Anfrage des Abendblattes eine Erklärung zu geben: „Die Antragsteller sind aufgrund des Hinweises, dass es sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss handelt, davon ausgegangen, dass der Zuschuss nicht zurückgezahlt werden muss“, schreibt der stellvertretende Abteilungsleiter Wirtschaft, der mit einem Team von gut 100 Beschäftigten die Corona-Hilfen in Hamburg bearbeitet.
Der Unmut der Betroffenen geht aber weit darüber hinaus. Frank Köster beklagt, dass die IFB das Schreiben so aufsetze, „als ob es keine Alternative zur Rückzahlung gibt“, sagt der Inhaber des Friseursalons im Hotel Vier Jahreszeiten. „Dabei hat jeder ein Recht auf eine Anhörung, und man gewinnt den Eindruck, die Bank „hoffe“, dass niemand davon Gebrauch macht“, ergänzt der Hamburger mit der markanten Brille, der seinen Salon im Frühjahr 2020 wie andere Coiffeure auch für sechs Wochen schließen musste.
Außerdem hat Köster eine grundsätzliche Kritik an den Rückzahlungsforderungen: „Wenn man mir den Betrieb für sechs Wochen schließt und mir damit das Grundrecht auf Ausübung meines Berufes nimmt, muss es dafür eine Kompensation geben, auch wenn ich nicht dadurch pleitegegangen bin.“
Corona-Soforthilfe: Unmut bei Hamburger Unternehmern
Buchhändler Horst Schwede fühlt sich durch den IFB-Brief ebenfalls stark unter Druck gesetzt und hatte Sorge, das Geld nicht zurückzahlen zu können. Diese Meinung teilen weitere Betroffene, die sich nach Erhalt des Briefes mit der Rückforderung an das Abendblatt gewandt haben, etwa die Inhaberin eines Modegeschäfts in Eppendorf, Julia Beselin von „Queen for a Day“. „Ich fühle mich auch mehr als ungerecht behandelt“, beschreibt die Händlerin ihren Unmut. Es geht darum, „dass mein Fleiß bestraft wird und die Faulheit vieler Menschen belohnt wird“, kritisiert Julia Beselin.
Sie habe sofort nach Beginn des Lockdowns in ihrem verschlossenen Laden am Lehmweg versucht, ihre Kleidung online zu verkaufen. „Ich habe dafür den ganzen Tag vor dem Spiegel gestanden und auf Instagram die Mode präsentiert.“ So hat sie Bestellungen erhalten und auch in der Pandemie etwas Geld verdient. Die Folge: Nun musste sie die durch Arbeit bis in die Abendstunden erzielten Umsätze der Bank mitteilen, wodurch ihr Bedarf an Corona-Hilfen im Nachhinein stark geschmälert wurde: Die IFB fordert nun von der Unternehmerin die komplette gezahlte Summe zurück.
Beschleunigtes Verfahren sorgt nun für Probleme
Zum Hintergrund: Im Sommer 2021 wurden die Antragsteller gebeten, im Rahmen eines sogenannten Rückmeldeverfahrens der Hamburger Corona-Soforthilfe Angaben zu ihrem tatsächlichen Liquiditätsbedarf während des Förderzeitraums zu machen. Betroffene, die zuvor in ihrer Prognose zu pessimistisch gewesen sind und deren tatsächlicher Liquiditätsengpass geringer als die erhaltene Fördersumme war, müssen die zu viel erhaltenen Zuschüsse zurückzahlen. „In diesen Fällen wird der Antragsteller von der IFB angeschrieben und um Rückzahlung der nicht für die Sicherung seiner Liquidität benötigten Fördermittel gebeten“, beschreibt Majonek den Prozess.
Allerdings empfinden viele Firmen die Berechnungsgrundlage der Rückforderung als ungerecht. Es geht in diesen Fällen um die ersten Corona-Hilfen aus dem Jahr 2020. Als Mitte März die Geschäfte auf einen Schlag zwangsweise schließen mussten, füllte Comic-Profi Schwede das Formular für die Beantragung der Hilfen so schnell wie möglich aus. Schließlich waren seine Erlöse bis auf ein paar Verkäufe an der Tür stark eingebrochen.
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Doch erst im April konnten die Corona-Hilfen technisch beantragt werden. Und das wurde ihm nun zum Verhängnis, denn die Behörden gingen davon aus, dass die von ihm beantragte Förderung für den „Betrachtungszeitraum“ April bis Juni gelte. „Damit konnten wir die im März ausgefallenen Umsätze für uns nicht als Mindereinnahmen geltend machen“, so Schwede. Auch Friseur Köster beklagt, „dass der März 2020 in die Berechnung nicht einfließt, obwohl wir da schon Umsatzeinbußen von über 50 Prozent hatten.“
Majonek wiederum verweist auf die anspruchsvolle Aufgabe, vor der die Behörden vor zwei Jahren standen. „Am 16. März 2020 trat die Allgemeinverfügung in Hamburg in Kraft und führte dazu, dass viele Firmen ihren Geschäftsbetrieb teilweise oder vollständig einstellen mussten. Um die daraus entstandenen finanziellen Nachteile in einem ersten Schritt aufzufangen, hat die Bundesregierung die Corona-Soforthilfe initiiert“, so Majonek. Um die Zuschüsse an die Unternehmen auszahlen zu können, hätten unter anderem die technischen Voraussetzungen für eine Antragstellung geschaffen werden müssen. Das Problem: Weil das dafür nötige Internetportal erst neu programmiert werden musste, sei die Antragstellung erst am 30. März 2020 möglich gewesen.
Corona Hamburg: Die Alternativen zur Rückzahlung
Die Folge: Tausende Hamburger Unternehmen haben erst im April den Antrag auf Corona-Hilfen gestellt. Und für alle diese Firmen heißt es nun grundsätzlich, dass die Umsatzausfälle aus dem März nicht berücksichtigt werden. Nur wer sich – wie Horst Schwede – mit einiger Hartnäckigkeit gegen diese Betrachtung zur Wehr setzte, bekam eine andere Chance: „Auf ihren ausdrücklichen Wunsch und im Hinblick auf den Start des Lockdowns am 16.3.2020 haben wir Ihren Betrachtungszeitraum auf März, April und Mai gelegt“, heißt es in einem Teilwiderrufsbescheid nach einigem Schriftwechsel zwischen der IFB-Bank und dem Geschäftsinhaber aus Rotherbaum.
Erst auf Abendblatt-Nachfrage erklärte jetzt Majonek die Optionen, welche die Unternehmer nun haben, um die Rückforderung zu verringern. Schließlich können nicht alle Antragsteller den zurückgeforderten Betrag in einer Summe aufbringen. „Für diesen Fall kann sich der Antragsteller den Rückforderungsbetrag zunächst bis zum 31. Dezember 2022 stunden lassen und im Anschluss eine Ratenzahlung über einen Zeitraum von maximal 24 Monaten vereinbaren“. So weit das Entgegenkommen der IFB. Ob es den betroffenen Unternehmern weit genug geht?