Hamburg. André Dumm-Hallwachs ist Friseur – und von der Pandemie betroffen. Er steht stellvertetend für Tausende Kollegen und Corona-Helden.

Draußen ist es schon lange dunkel. Gegenüber auf der anderen Straßenseite blinken einsam einige Weihnachtslichter. Der Salon von André Dumm-Hallwachs ist hell erleuchtet. Der Friseurmeister aus Hamburg steht hinter dem Empfangstresen, verabschiedet einen Kunden. Es war der letzte für diesen Tag. Seit morgens früh ist er im Laden, hat Haarschöpfe wieder in Fasson gebracht.

Schneiden, bis die Schere glüht. „Das waren heute zwanzig Termine“, sagt der 45-Jährige und lässt sich in einen der Friseurstühle im hinteren Teil des Geschäfts fallen. Zwanzig Termine bedeuten auch, zwanzig Menschen hat er ein bisschen schöner gemacht – und meistens auch glücklicher. Eigentlich ist montags der Laden zu und sein freier Tag. Aber jetzt kurz vor Weihnachten ist der Andrang so groß, dass er und sein Team Zusatzschichten schieben müssen. Und dann ist da ja auch noch die Corona-Pandemie, die Erinnerung an den Lockdown im vergangenen Jahr kurz vor Weihnachten – und die Ungewissheit. Noch weiß niemand, wie es im Januar weitergehen wird.

Friseur in Hamburg: „Es war immer wieder ein Kraftakt“

Es ist 21 Jahre her, dass André Dumm-Hallwachs den Familienbetrieb in Fuhlsbüttel übernommen hat. Der Laden läuft. Die Menschen vertrauen dem Friseur, der bei Promi-Coiffeur Gerhard Meir in München gelernt hat und viel herumgekommen ist. „Wir haben 98 Prozent Stammkunden“, sagt er. Manche fahren durch die ganze Stadt oder kommen sogar von noch weiter her, um sich bei André D., wie der Salon offiziell heißt, die Haare schön machen zu lassen. Auch einige Prominente sind darunter, aber über Namen spricht der Meister nicht in der Öffentlichkeit.

Eigentlich war alles gut, bis Corona kam – und damit zwei Zwangsschließungen, Maskenpflicht, Abstands- und Hygienevorschriften, Luftfilter, Haarschnitte nach der 3G-Regel nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete; erst mit Selbsttest vor dem Laden, inzwischen nur mit offiziellem Nachweis. „Immer wieder kamen neue Bestimmungen. Und es war immer wieder ein Kraftakt“, sagt der Unternehmer. Dass er und seine Mitarbeiterinnen jetzt, bevor sie die Schere zücken, Impfausweise und Testzertifikate kontrollieren – geschenkt.

Corona in Hamburg: Friseure verkaufen Wohlbefinden

Jammern ist nicht sein Ding. Seit Covid-19 das öffentliche Leben umgekrempelt hat, sind Friseure ein Gradmesser für die äußere Verfasstheit der Republik. Corona-Mähne, Lockdown-Pony, Pandemie-Bart oder Krisen-Schnitt – so richtig schön war das nicht.

Für Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) hatte es „etwas mit Würde zu tun in diesen schwierigen Zeiten“, als die Salons am 1. März dieses Jahres zu den ersten gehörten, die nach der fast elfwöchigen zweiten Schließung in der dritten Pandemie-Welle wieder öffnen durften. Befeuert durch Kampagnen des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks und großer Friseurbetriebe.

André Dumm-Hallwachs, lässig in Sweatshirt, Chinos und Sneakern, nickt. Er sieht sich bestätigt, dass er und seine Berufskollegen quasi systemrelevant sind. Es hat ihm auch nichts ausgemacht, vor und nach den Lockdowns Sonderschichten zu schieben und bis in die Nacht hinein Haare zu schneiden. „Wir verkaufen Wohlbefinden – und das ist gerade besonders wichtig.“

Das neue Normal hat sich eingespielt

Dass er dafür „ganz nah an den Menschen dran sein muss“, gehört für den Friseur dazu. Auch auf die Gefahr, sich bei der Arbeit anzustecken? André Dumm-Hallwachs schüttelt den Kopf. „Wir hatten bislang keinen einzigen Corona-Fall im Salon“, sagt er. Es habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass Friseursalons keine Pandemietreiber seien. Dass sie aktuell in Hamburg noch von der strengeren 2G-Regel oder gar 2G-plus-Regel ausgenommen sind, findet er absolut in Ordnung.

Bislang hätten alle Kunden die notwendigen Zertifikate für den Besuch in seinem Laden dabeigehabt. Debatten gebe es keine. Nahezu alle seien längst doppelt geimpft, viele schon geboostert. „Einmal haben wir einen Kunden weggeschickt, weil er sein Mobiltelefon mit dem digitalen Impfpass vergessen hatte“, sagt Dumm-Hallwachs. Kurz darauf sei er mit dem Gerät wieder da gewesen. „Für mich ist das Schönste, dass die Kunden sich sicher bei uns im Salon fühlen. Und wir Friseure fühlen uns genauso sicher.“

Auch wenn er sich das im Frühjahr 2020 nicht hätte vorstellen können: Das neue Normal hat sich in seinem Salon eingespielt. „Es war natürlich ein Schock, dass wir damals plötzlich schließen mussten. Unvorstellbar.“ Als es sechs Wochen später wieder losging, zählte der Katalog mit den Sicherheitsbestimmungen 17 Punkte. Friseure gehörten damals zu den Ersten, die nur mit Maske arbeiten durften. Für Dumm-Hallwachs eine Horror-Vorstellung.

Er ließ sich extra Schutzbrillen mit einem Gesichtsvisier aus Plexiglas fertigen, um sich und seine Mitarbeiterinnen bei der Arbeit zu entlasten. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Visiere nicht genug schützen, und auch im Salon André D. tragen alle ganz selbstverständlich eine medizinische Maske. Andere Regeln, wie das Verbot von Zeitschriften und Getränken, sind dagegen aufgehoben worden, weil sie nicht zur Virus-Übertragung beitragen. Auch Trockenschnitte sind wieder erlaubt.

Dumm-Hallwachs musste Altervorsorge anbrechen

„Ich bin beeindruckt, wie flexibel sich Friseure immer wieder auf neue Situationen eingestellt haben“, sagt Dumm-Hallwachs. In Hamburg gibt es 1430 Salons. Trotz der Lockdowns mit Kurzarbeit für das ganze Team konnte er seine sieben Mitarbeiterinnen halten und danach weiterbeschäftigten. Über die Corona-Soforthilfe und die Überbrückungshilfe 3 ließen sich die Fixkosten decken.

„Aber“, sagt der Unternehmer, der mit Ehefrau, 18-jähriger Tochter und zwei Hunden in Norderstedt lebt, „ich musste meine Rücklagen und meine Altersvorsorge anbrechen“. Die Umsatzausfälle beziffert er auf eine mittlere fünfstellige Summe im Monat. „Ohne mein tolles Team und die treuen Kunden hätten wir es nicht geschafft.“

Nicht allen gelingt das. Immer wieder neue Regeln, aber auch die Angst vor der Pandemie haben die Kunden in den vergangenen Monaten von einem Friseurtermin abgehalten. „Die Umsatzeinbußen im Zuge der Corona-Krise liegen zwischen zehn und zwanzig Prozent“, sagt Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks. Er registriert einen Trend, dass ältere Saloninhaber ihre Betriebe aufgeben. Auch in Hamburg ist nach aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur die Zahl der sozialversicherten Beschäftigten im Friseurhandwerk von März 2020 bis Mai 2021 von 3573 auf 3188 gesunken – ein Rückgang von 10,8 Prozent. Gerade mal sechs freie Stellen waren im November für Friseure ge­meldet.

Corona-Soforthilfe muss er zurückzahlen

Auch wenn sein Betrieb bislang gut durch die Krise gekommen ist, Dumm-Hallwachs setzen Unsicherheit und Anspannung schwer zu. „Für mich war am schwierigsten, dass unternehmerisches Handeln in der Krise nicht möglich war und mir die Entscheidungen aus der Hand genommen wurden.“

Besonders bitter sei, dass er die Soforthilfe aus dem Frühjahr 2020 voraussichtlich zurückzahlen müsse: „Ich fühle mich nicht fair behandelt und bin enttäuscht von der Politik.“ Angesichts der steigenden Corona-Ansteckungen und neuen Kontaktbeschränkungen wachsen auch bei ihm die Sorgen. Wenn er sagt, er erwarte keinen dritten Lockdown bei den Friseuren, klingt das ein bisschen wie eine Beschwörungsformel. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Es kann nicht sein, dass wir wieder bestraft werden.“

Jetzt ist er erst mal froh über einige freie Tage über Weihnachten. Am 27. Dezember wird er wieder im Laden stehen. „Ich liebe meinen Beruf und arbeite gern mit Menschen“, sagt Dumm-Hallwachs. Wenn die Kunden dann zufrieden aus dem Laden gehen, macht es auch ihn glücklich.

Wie sein ganzes Team ist er doppelt geimpft. Sobald der Stress am Jahresende vorbei ist, will er sich in der ersten Januarwoche endlich boostern lassen. „Ich hätte das längst gemacht, aber ich hatte Bedenken, dass ich mit einer Impfreaktion flachliege und Termine absagen muss.“