Berlin. Junge Menschen möchten Kleidung, Autos oder Ferienwohnungen lieber teilen statt besitzen. Warum der Sharing-Trend jetzt so beliebt ist.
95 Kleidungsstücke. So viele T-Shirts, Hosen oder Pullover besitzt jeder Mensch in Deutschland im Schnitt nach einer Greenpeace-Studie. Allerdings werden knapp 40 Prozent davon selten bis gar nicht getragen und bleiben ungenutzt im Schrank liegen. Viel sinnvoller wäre es doch, wenn man einen Teil der Klamotten gar nicht besitzen, sondern nur leihen müsste – das dachten sich 2019 zumindest Linda Ahrens und Tina Spießmacher.
Die Innovationstrategin und die Informatikerin sind die Gründerinnen des Start-ups Unown, das Mode als Leasing-Modell anbietet. „Wir haben gesehen, wie normal Abo-Modelle in vielen Industrien schon geworden sind und haben uns gefragt, warum es in der Mode noch nicht gang und gäbe ist“, erzählt Ahrens. Bei Unown können Kundinnen einzelne Kleidungsstücke wochen- oder auch monatsweise leihen. Zudem kann man sich jeden Monat eine bestimmte Anzahl neuer Teile aussuchen – das heißt, Kleidung mieten im Abo-Modell.
Corona-Pandemie hat der Sharing Economy nicht geschadet
Aber nicht nur Klamotten können mittlerweile unkompliziert geliehen werden. Auch Fahrräder, Smartphones, Kinderkleidung oder Spielzeug gibt es zu günstigen Preisen zur Miete. In einigen Bereichen hat sich Sharing bereits fest etabliert. Die Plattform Airbnb, über die Unterkünfte und Ferienwohnungen vermietet werden, machte im Vor-Pandemie-Jahr 2019 einen Umsatz von 4,8 Milliarden US-Dollar. Nach einem Einbruch in Jahr 2020, verzeichnet Airbnb nun wieder ein starkes Umsatzwachstum.
Auch Carsharing nutzen in Deutschland schon fast 3,4 Millionen Menschen, rund 30.000 Sharing-Autos sind auf den deutschen Straßen unterwegs. Der derzeitige Preisanstieg könnte günstiges Sharing außerdem für noch mehr Menschen zur Option werden lassen. Ist Nutzen statt Kaufen also das Konsumprinzip der Zukunft?
Sharing Economy: Mobilität und Textilsharing liegen im Trend
Die Einstellung der Konsumenten und Konsumentinnen habe sich mittlerweile deutlich verändert, sagt der Trendforscher Peter Wippermann: „Zwei Drittel der Deutschen sagen, dass Leihen, Teilen und Wiederverkaufen einem neuen Lebensgefühl entspricht.“ Wenn man sich dann anschaue, wie viele Menschen tatsächlich auch Sharing-Konzepte nutzen würden, käme man immerhin auf ein Viertel der Bevölkerung. Befürworten würden Sharing vor allem jüngere Menschen, allen voran die der Generation Z, die um die Jahrtausendwende und später geboren sind, und Generation Y, die etwa zwischen 1980 und 1999 geboren sind.
Interessant sei, dass die Corona-Pandemie sich nicht so negativ auf die Sharing Economy ausgewirkt hätte, sagt Wippermann: „Es gibt zwei Branchen, die sich massiv entwickelt haben, das eine ist der Bereich Mobilität und das zweite ist der Textilsharing-Bereich.“ Gleichzeitig sieht er auch einen Wandel in der gesellschaftlichen Grundstimmung in Bezug auf Sharing. „Auch Themen wie Co-Working oder Desk-Sharing gehören ja im weiteren Sinne zum Sharing dazu und das sind Bereiche, die in der Pandemie plötzlich sehr viel wichtiger geworden sind.“
Sharing: Digitale Infrastruktur ist die Voraussetzung
Die Grundlage für funktionierende Sharing-Konzepte ist immer die digitale Infrastruktur. „Die digitale Vernetzung hat Sharing überhaupt erst möglich gemacht“, sagt Wippermann. „Carsharing beispielsweise hat erst richtig funktioniert, als man das Auto nach der Nutzung einfach irgendwo stehen lassen konnte, wo der Nächste es dann per App aufsperren und weiternutzen konnte.“
Die Wichtigkeit der digitalen Plattformen betont auch Unown-Gründerin Ahrens: „Ich glaube, je einfacher die digitale Oberfläche ist, desto eher werden die Leute etwas nutzen.“ Aus diesem Grund sei für die Gründerinnen von Anfang an klar gewesen, dass sie eine App entwickeln müssen. „Wenn man einmal in Monat oder öfter mit uns Kontakt hat, dann will man eigentlich keine E-Mails suchen, sondern einfach eine App öffnen und direkt sehen, was man gerade geliehen hat“, sagt sie.
Teilen ist nicht immer die nachhaltigere Variante
Viele Menschen nutzen Sharing-Angebote, weil sie günstige und zugängliche Lösungen bieten. Gleichzeitig werben die Anbieter aber auch damit, umweltfreundlichere Alternativen zu schaffen. Aber wie nachhaltig ist Sharing tatsächlich?
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„Welche Nachhaltigkeitspotenziale sich ergeben, ist aus meiner Sicht abhängig von der Branche“, sagt Jonas Pentzien, der am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung zur Sharing Economy forscht. Es bestehe immer die Gefahr, dass Sharing-Angebote einen Anreiz für Mehrkonsum schaffen könnten. Wenn man beispielsweise häufiger in den Urlaub fahre, weil die Übernachtungen über Airbnb günstiger sind, dann könnte sich das aus ökologischer Sicht sogar eher nachteilig auswirken.
„Was wir herausgefunden haben, ist, dass Apartment-Sharing und Gebrauchtwaren-Sharing, also Second-Hand, aufgrund des erleichterten Zugangs tatsächlich häufig eine Art Konsumsteigerung mit sich bringt“, so Pentzien. Grundsätzlich sieht Pentzien dennoch Nachhaltigkeitspotenziale in der Sharing Economy. Positiv seien vor allem auch genossenschaftlichen Ansätze und Plattformen, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind oder Teilhabe ermöglichen.
Sharing Economy: Ein Übergang zur Kreislaufwirtschaft
Zudem dürfte dass Sharing auch ökonomisch einen Wandel auslösen, meint der Trendforscher Wippermann: „Ich würde sagen, Sharing ist der Übergang zur Kreislaufwirtschaft.“ Es gehe immer stärker darum, Ressourcen neuzudenken und die Geschäftsmodelle zur Nutzung neu zu entwickeln. Gleichzeitig prognostiziert er, dass es auch für die Konsumenten immer wichtiger werde, einen Zugang zu Dingen und Dienstleistungen zu haben, ohne sie zu besitzen.
Dieser Text erschien zuerst auf abendblatt.de.