Hamburg. Der Hamburger Konzern steigert Umsatz und Gewinn im zweiten Corona-Jahr erneut deutlich – geht aber von sinkenden Zahlen aus.
Seit einigen Wochen arbeitet Alexander Birken wieder hauptsächlich in seinem Büro in Bramfeld. „Ich bin an vier Tagen in der Woche da“, sagt der Chef der Otto Group. Gerade jetzt, wo sich die Situation normalisiere und viele Corona-Beschränkungen wegfielen, sei die direkte Kommunikation bei vielen Themen und Terminen einfacher und effektiver.
Grundsätzlich stellt es der Hamburger Handels- und Dienstleistungskonzern seinen Beschäftigten frei, wo sie arbeiten – solange das Ergebnis stimmt. Noch ist der Großteil der Beschäftigen im Homeoffice. Da wirkt es wie ein Signal, dass Birken gemeinsam mit seiner Vorstandskollegin Petra Scharner-Wolff zur Vorstellung der Bilanz des Geschäftsjahrs 2021/22 ausdrücklich sowohl in Präsenz als auch per Videoübertragung eingeladen hatte. Von insgesamt 25 Journalisten ist ein Drittel auf den Otto-Campus gekommen. „Es tut richtig gut, wieder Menschen zu begegnen“, so der 58-Jährige.
Bilanz: Otto Group mit einem der besten Jahre der Firmengeschichte
Mit dem Ergebnis des zweiten Corona-Jahrs ist Alexander Birken trotz der Einschränkungen hörbar zufrieden. „Das abgelaufene Geschäftsjahr ist eines der besten in der Firmengeschichte der Otto Gruppe“, sagt er. Der schon im ersten Corona-Jahr deutlich gestiegene Umsatz ist erneut um 12,9 Prozent auf vergleichbarer Basis auf 16,1 Milliarden Euro gewachsen und übertrifft damit die Prognose.
Als Jahresüberschuss weist die Unternehmensgruppe, zu der unter anderem die Otto-Einzelgesellschaft (früher: Otto Versand), Textilanbieter Bonprix, Spielzeughändler MyToys und die Online-Modeplattform About You gehören, mehr als 1,8 Milliarden Euro aus. Das sind 842 Millionen Euro mehr als im Vorjahr – was sich hauptsächlich auf strukturelle Veränderungen durch Verkäufe etwa von Teilen des Logistikdienstleisters Hermes zurückführen lässt. Das wirkt sich auch auf die Mitarbeiterzahl aus, die weltweit von 50.000 auf 43.000 sank.
Keine konkrete Prognose – aber Aussicht auf sinkende Gewinne
Für die Zukunft ist Vorstandschef Birken, der seit fünf Jahren an der Spitze der 1949 gegründeten Otto Group steht, allerdings zurückhaltender. Angesichts der steigenden Inflation, des Ukraine-Krieges und nicht absehbarer Auswirkungen der Pandemie müsse man sich auf sinkende Gewinne einstellen. Die aktuellen Preiserhöhungen könnten nicht eins zu eins an Kunden weitergegeben werden, sagt er. „Das heißt, dass wir teilweise gegen die Marge gehen. Deswegen sprechen wir auch von niedrigeren Gesamterträgen, die wir in diesem Jahr erwarten.“ Auf eine konkrete Prognose für das laufende Geschäftsjahr wollte Birken sich nicht festlegen. Man steuere auf Sicht. Weitere große Transaktionen schloss er derzeit aus.
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Für die Verbraucher hatte der Otto-Chef dennoch eine gute Nachricht: „Die Retouren bleiben bei uns kostenfrei.“ Er sei überrascht über die Debatte, nachdem einige Händler wie die japanische Mode-Kette Uniqlo und jetzt Zara, Flaggschiff des spanischen Inditex-Konzerns, gebührenpflichtige Rücksendungen eingeführt hatten. „Das gehört für uns zum Service dazu. Sie werden ja auch keine Gebühren im Stationärhandel bezahlen, wenn Sie in die Umkleidekabine gehen wollen.“ Auch Amazon und Zalando beabsichtigen nach eigenen Angaben nicht, Gebühren für Retouren zu erheben.
About You - ein besonders erfolgreicher Fall im Otto-Portfolio
Basis des aktuellen Erfolgs ist laut Alexander Birken der 2017 eingeschlagene Weg der fokussierten Wachstumsstrategie mit jährlichen Investitionen im dreistelligen Millionenbereich in Technik, Plattformen und Logistik sowie der Wandel der Unternehmenskultur. Bei den Plattformen habe otto.de den Umsatz um 13,2 Prozent auf 5,12 Milliarden Euro erhöht. 11,5 Millionen Kundinnen und Kunden hätten dort in den vergangenen zwölf Monaten eingekauft, so Finanzvorständin Petra Scharner-Wolff. Ebenfalls deutlich zulegen konnten die Konzernunternehmen Bonprix (+10 Prozent), Crate and Barrel (+ 29 Prozent) sowie die Witt-Gruppe (+12,8 Prozent). Dass die Mytoys-Gruppe im Vergleich zu den anderen Unternehmen den Umsatz nur um 1,2 Prozent auf 905 Millionen steigerte, erklärt Scharner-Wolff mit der extremen Nachfrage nach Spielzeug im ersten Corona-Jahr, die sich wieder normalisiert habe.
Ein besonderer Fall im Otto-Portfolio ist die Online-Modeplattform About You, die ein Umsatzplus von 48,5 Prozent auf 1,73 Milliarden Euro hinlegte. Das 2014 als Otto-Tochter unter anderem von Versandhauserbe Benjamin Otto gegründete Unternehmen war im Juni 2021 an die Börse gegangenen und ist seitdem wieder in die Konzernbilanz zurückgekehrt. Otto ist mit 36,5 Prozent größter Anteilseigner. Offenbar steht die Gruppe trotz Verlusten von knapp 70 Millionen Euro im vergangenen Jahr und einem Aktienkurs im Sinkflug klar hinter diesem strategischen Investment. „Es ist eine großartige Geschichte“, kommentiert Alexander Birken. Die Entwicklung des Mode- und Techunternehmens, das den Angaben zufolge 11,4 Millionen Kundinnen und Kunden aus 26 Ländern hat, laufe nach Plan.
Otto Group verordnet sich neues Corporate Design
Großes Potenzial sieht Birken zudem in einem neuen Geschäftsfeld: dem digitalen Gesundheitsservice. Zu Beginn des laufenden Geschäftsjahrs 2022/23 hatten die Hamburger die Mehrheit der Schweizer Medgate und deren Tochterfirma BetterDoc übernommen. Medgate sei mit 200 eigenen Ärzten in der Schweiz Marktführer für Telemedizin, sagt der Vorstandschef. In Deutschland hinke man da noch deutlich hinterher. Es gebe aber in der Politik etwa zu Fernbehandlungen oder E-Rezepten klare Absichtserklärungen, dies zu ändern.
Dass die Hamburger trotz aller Unwägbarkeiten durchaus positiv auf die nächsten Monate schauen, drückt sich in einer weiteren Neuerung aus. Nach 18 Jahren hat die Unternehmensgruppe sich ein neues Erscheinungsbild verordnet, „Coropate Design“ nennt man das im Fachjargon. Für den Schriftzug aus kleingeschriebenen Buchstaben im bekannten Rot wurde eigens eine neue Schrifttype entwickelt. Der Name: Optimist.