Hamburg. Die traditionsreiche Hamburger Reederei blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Ein Kapitän erinnert sich.

Kapitän Uwe Fiedler fährt seit 47 Jahren zur See. Er hat vielfach die Welt umrundet, als Ausbildungskapitän mehr als 300 nautische Offiziere herangezogen, Stürme überstanden, Piratenüberfälle und den Einzug der Digitalisierung auf den Schiffen erlebt. Ende Juni wird Fiedler noch einmal seine Uniform einpacken, für eine letzte Rundreise: Von Istanbul aus geht es nach Südkorea und zurück. Danach wird er in den Ruhestand gehen.

Fast ein halbes Jahrhundert hat Fiedler dann auf Schiffen verbracht und die wechselvolle Geschichte der Seefahrt erlebt und mitgeprägt. Für ein Menschenleben ist das eine lange Zeit. Für Fiedlers Arbeitgeber ist sie kurz. Denn die Reederei Hapag-Lloyd, deren Uniform Fiedler seit 15 Jahren trägt, gibt es seit 175 Jahren. „Ein Zeitraum, den man kaum fassen kann“, sagt Fiedler.

Hapag-Lloyd feiert Jubiläum: Reederei gibt es seit 175 Jahren

Er selbst habe schon so viele Neuerungen erlebt. „Ich habe den kompletten Wandel der Schifffahrt in den vergangenen Jahrzehnten mitgemacht, kenne noch die Zeit, als man mit Sextant und Sichtfunkpeiler navigierte.“ Heute bekomme man seine Position in Sekundenschnelle per GPS gemeldet. „Die heutigen Schiffe haben nicht einmal mehr einen Sextanten an Bord“, sagt Fiedler. „Es gehört auch gar nicht mehr zur Ausbildung, damit umgehen zu können.“

Fiedler kennt noch die Zeit, als man zu zweit in engen Kammern an Bord hauste, ohne Klimaanlagen und sonstige Annehmlichkeiten. Es war die Zeit, als der Kapitän mit dem Koch zusammen selbst auf die Märkte ging, um den Proviant für die nächste Etappe zu besorgen. „Damals gab es noch viel Abwechslungsreiches.“ Heute warten die Zutaten für alle Schiffe schon fertig verpackt an der Kaikante. Zusammengestellt vom Flottenmanagement der Reederei-Zentrale.

Kapitän Uwe Fiedler (65) fährt seit 47 Jahren zur See.
Kapitän Uwe Fiedler (65) fährt seit 47 Jahren zur See. © Axel Martens

Gleich nach dem Abitur verpflichtete sich der 18-Jährige bei der Marine und lernte dort als Navigator die Seefahrt von der damals noch strengeren Seite kennen, dann absolvierte er ein Studium für das Nautische Patent, war dadurch gut gerüstet für die Handelsschifffahrt. Fiedler hat zahlreiche Schiffstypen und Schiffe in seiner Karriere gefahren, nur die Segelschifffahrt, die hat er nicht kennengelernt.

Hapag-Lloyd: Mit Segelschiffen fing alles an

Dabei hat für Hapag-Lloyd genau damit alles angefangen: Am 27. Mai 1847 gründeten die Hamburger Unternehmer Adolph Godeffroy, Ferdinand Laeisz, Carl Woermann sowie zwei Dutzend weitere Kaufleute und Reeder die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) mit dem Zweck, eine regelmäßige Verbindung Hamburgs mit Nordamerika mittels Segelschiffen unter Hamburger Flagge aufzubauen. Sie legten damit das Fundament für die heute fünftgrößte Reederei der Welt und für ein Stück Schifffahrtsgeschichte.

Die erste große Neuerung gab es bei der Hapag 1856 mit dem Einsatz zweier eiserner Schraubendampfschiffe namens „Borussia“ und „Hammonia“. Für Passagiere der ersten und zweiten Klasse gab es einen mit Spiegeln und Gemälden geschmückten Speise- und Aufenthaltssaal, einen Friseursalon, ein Rauchzimmer mit Maroquin-Mobiliar und Marmortischen sowie eine Bibliothek mit 400 Büchern. Das bordeigene Eishaus sorgte für gekühlte Lebensmittel, eine mitreisende Kuh für frische Milch.

Hapag transportierte Waren – und Passagiere

Die Hapag verstand sich also nicht nur auf den Transport von Waren, sondern vor allem von Passagieren. Sie waren einst die Haupteinnahmequelle vieler Reedereien. Anfangs wurden Auswanderungen vor allem über Bremen durchgeführt. Doch mit dem Bau eigener Auswandererhallen bekam dieser Beförderungszweig auch für Hamburg eine immer größere Bedeutung. Allein zwischen 1896 und 1913 wanderten 1,7 Millionen Menschen über Hamburg aus.

Untrennbar ist die spätere Entwicklung der Hapag mit einem Namen verbunden: Albert Ballin. Nach dem frühen Tod des Vaters hatte er im Alter von 17 Jahren 1877 dessen kleine Auswandereragentur Morris & Co. übernommen und baute sie zur führenden Auswandereragentur aus. Zusammen mit dem Reeder Edward Carr strukturierte Ballin das Auswanderergeschäft um, indem er ein Zwischendeck für Passagiere einzog. Sie verzichteten auf die kostspieligen Kajütenklassen der großen Hapag-Dampfer. Ballin und Carr konnten ihre Passagen dadurch sehr viel günstiger anbieten.

1896 wurde Ballin Chef der Passageabteilung bei Hapag

Die Hapag schrieb hingegen rote Zahlen, „weil die Überfahrtpreise durch Concurrenz in außerordentlichem Maße gedrückt wurden“, wie es im Geschäftsbericht 1884 hieß. So beschloss die Hapag-Führung 1896 ihre Gesellschaft mit Morris & Co. zusammenzulegen. Ballin wurde Chef der Passageabteilung bei Hapag, als er 29 Jahre alt war. Nur zwei Jahre später saß Ballin im Vorstand. Elf Jahre danach wurde er Generaldirektor der Hapag. Eine beispiellose Karriere für den Jungen aus einer armen Einwandererfamilie. Kein Abitur, keine Ausbildung, geschweige denn ein Studium.

Die „Elbe Express“ und die „Weser Express“ am neu entstandenen  Burchardkai-Terminal der HHLA in den späten 60er-Jahren.
Die „Elbe Express“ und die „Weser Express“ am neu entstandenen Burchardkai-Terminal der HHLA in den späten 60er-Jahren. © Hapag-Lloyd

Und sein Erfolg setzte sich auch bei der Hapag fort. Ballin erfand für die stürmischen Wintermonate, in denen die Passagierschiffe nicht ausgelastet waren, die Kreuzfahrt. 1891 schickte er die „Auguste Victoria“ erstmals mit betuchten Reisenden ins Mittelmeer. Unter seiner Führung stieg das Aktienkapital der Firma von 15 Millionen Mark bei seinem Dienstantritt auf 157,5 Millionen Mark im Jahr 1914. Die Hapag unterhielt schließlich 73 Liniendienste und besaß 175 Dampfschiffe, darunter die damals größten Passagierschiffe der Welt.

Hapag war größte Reederei auf der Welt

Hapag war kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die größte Reederei rund um den Globus. Das lag nicht zuletzt an der weitsichtigen, aber auch äußerst kaufmännischen Haltung ihres Chefs. Denn Ballin verdiente letztlich an der Notlage Hunderttausender entwurzelter Menschen, die Hungersnöten, Vertreibungen oder Kriegen in ihrer Heimat zu entkommen versuchten. Andererseits setzte Ballin eine menschenwürdige Versorgung der Auswanderer durch. Dazu gehörten eine ärztliche Betreuung sowie Schlafplätze, in den eigens errichteten Auswandererhallen der Ballinstadt.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges fand die Blütezeit der Hapag ein jähes Ende. Fast die Hälfte der 25.554 Mitarbeiter musste zum Militär, die Reederei stellte ihre Liniendienste ein, mehr als die Hälfte der Flotte ging verloren. Wenige Tage nach dem Matrosenaufstand 1918 starb Ballin am 9. November. Doch seine Reederei überlebte. Unter der Führung von Wilhelm Cuno gelang es dem Unternehmen, innerhalb von fünf Jahren nach dem Krieg wieder zu den Top-Reedereien aufzuschließen.

Im Nationalsozialismus wurde die Flotte der Reichsregierung unterstellt. Mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 durften westdeutsche Reeder allerdings wieder Frachtschiffe bauen und diese auch selbst betreiben. Die Hapag beschloss künftig auf Fracht anstatt auf Passagiertransport zu setzen. Im August 1950 lief bei den Howaldtswerken mit der „Hamburg“ der erste Hapag-Schiffsneubau nach dem Krieg vom Stapel und eröffnete einen neuen Westindiendienst. Wenn man es genau nimmt, liegt die Geburtsstunde des Unternehmens aber erst 52 Jahre zurück: 1970 fusionierte die Hapag mit dem Norddeutschen Lloyd in Bremen zur heutigen Hapag-Lloyd. Davor waren die Reedereien Rivalen, kooperierten nur selten miteinander.

Hapag-Lloyd-Frachter verschwand 1978 spurlos

Kapitän Fiedler war zu der Zeit zwar noch Schüler, aber schon längst auf Seefahrt geeicht. Bereits im Alter von vier Jahren hatte ihn sein Vater, ein Kapitän und Betreiber eines eigenen Küstenmotorschiffs, in den Sommerferien mit auf große Fahrt genommen. „Bei uns zu Hause hängt noch ein Foto an der Wand, das mich als kleinen Jungen eingemummelt in Decken zwischen meinen großen Schwestern auf dem Lukendeckel zeigt.“

Schwer lastete auf der Reederei der Umstand, als am 12. Dezember 1978 der Hapag-Lloyd-Frachter „München“ auf seiner 62. Fahrt von Bremerhaven nach Savannah in einem Orkan vor den Azoren spurlos verschwand. Den Namen „München“ hat die Reederei seitdem für kein Schiff mehr vergeben. Kapitän Fiedler hat auf seinen unzähligen Seereisen auch viele schwere Stürme erlebt, aber alle mit seinen Schiffen schadlos überstanden. Nur vier Container hat er verloren, nicht im Orkan, sondern im Hafen von Norfolk (USA). Und er war selbst nicht einmal schuld: „Ein betrunkener Containerbrückenfahrer hatte mit seinem Hebegeschirr einen Stapel getroffen, wobei die Boxen über Bord fielen.“

Neuausrichtung der Hamburger Reederei in 1990er-Jahren

In den 1990er-Jahren erlebte Hapag-Lloyd eine weitere Neuausrichtung. Das Unternehmen wurde komplett von der Preussag AG, später Tui AG, übernommen und aufgespalten: Das Tourismusgeschäft ging an die Tui. Diese übertrug im Gegenzug ihre Logistikunternehmen VTG-Lehnkering und Algeco an die Hapag-Lloyd AG. Neuer Chef des Unternehmens wurde der ehemalige VTG-Chef, Michael Behrendt. In den folgenden Jahren wuchsen bei Hapag-Lloyd Schiffe wie auch Umsatz und Gewinn gleichermaßen. Aber immer wieder kam es im zyklischen Schifffahrtsgeschäft zu schlechteren Zeiten, sodass Anfang der 2000er-Jahre ein Konsolidierungsprozess einsetzte. Hapag-Lloyd begegnete den Marktveränderungen 2005, indem das Unternehmen die britisch-kanadische Reederei CP Ships übernahm.

Die „Hamburg Express“ fährt mit Schleppunterstützung in den Hafen.
Die „Hamburg Express“ fährt mit Schleppunterstützung in den Hafen. © Hapag-Lloyd

Nur zwei Jahre später, änderte sich die Situation grundlegend. Die Tui beschloss, sich auf Treiben ihrer Aktionäre von der Containerschifffahrt grundsätzlich zu trennen. Als möglicher Käufer stand die Neptun Orient Lines mit Sitz in Singapur bereit. Das hätte den Abzug aus Hamburg und die Zerschlagung der Reederei zur Folge gehabt. Der damalige Hamburger Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) schmiedete mit der Warburg Bank und dem Logistikunternehmer Klaus Michael-Kühne ein Konsortium, das statt der Asiaten die Anteile übernehmen und Hapag-Lloyd so für die Stadt retten sollte.

Hapag-Lloyd: Tui trennte sich von Anteilen

Die Tui ließ sich darauf ein, auch auf eine schrittweise Trennung von ihren Anteilen, weil nach der Finanzkrise 2007 eine veritable Schifffahrtskrise eingetreten und Hapag-Lloyd kaum mehr in der Lage war, die Kosten ihres Transportgeschäfts zu erwirtschaften. Um die Lage der Reederei in dem erneuten Konzen­trationsprozess auf dem Schifffahrtsmarkt zu stabilisieren, stockten die Stadt Hamburg und Kühne ihre Anteile auf. Und mit der chilenischen Reederei CSAV fand Vorstandschef Behrendt 2014 einen wichtigen dritten Ankeraktionär, der Hapag-Lloyd stärkte und gegen feindliche Übernahmen absicherte.

2016 gelang es dem neuen Vorstandschef Rolf Habben Jansen gegen den Eintausch von etwa 23 Prozent der Hapag-Aktien, die arabische Reederei United Arab Shipping Company (UASC) für die Hapag-Lloyd AG zu kaufen. Und so setzt sich der heutige Anteilseignerkreis sehr international zusammen. Kühne und CSAV halten jeweils 30 Prozent an Hapag-Lloyd. Die Stadt Hamburg verfügt über 13,9 Prozent, Katar über 12,3 und Saudi Arabien über 10,2 Prozent.

Kapitän: „Es ist heute hektischer und stressiger als früher“

Ein Stück weit vermisst Fiedler die alten Zeiten: „Früher lag man drei oder vier Tage in einem Hafen. Da hatte man noch genug Zeit, Land und Leute kennenzulernen.“ Fiedler nutzte und genoss diese Abwechslung. „Als Ausbildungskapitän hatte ich sogar ein eigenes Budget, und konnte damit Bustouren für die Mannschaft organisieren.“

Heute liegen die Schiffe weniger als 24 Stunden in den Häfen. Schnell ent- und beladen und dann wieder raus auf See. Für Landgänge reicht die Zeit nicht. „Es ist heute hektischer und stressiger als früher“, sagt Fiedler. Zudem werde vieles bürokratischer. Wenn Fiedler im Herbst seine Uniform ablegt, bleibt seine Familie Hapag-Lloyd verbunden: Denn Tochter Svea hat bei der Reederei eine Offiziersausbildung durchlaufen, arbeitet nun in der Zentrale. So schließt sich der Kreis.