Rotterdam. In Europas größtem Hafen stehen modernste Umschlagterminals. Es gibt aber eine Sache, bei der die Hansestadt die Nase weit vorn hat.

Weit und breit keine Menschenseele. Aber viel Betrieb. Roboter steuern eine Containerbrücke zur Entladung eines Schiffs. Selbstfahrende Fahrzeuge bringen die Boxen an Land zum Blocklager, wo andere roboter­gesteuerte Kräne sie stapeln und auf Lastwagen hieven. Im Hamburger Hafen sind solche hoch automatisierten Abläufe zum Teil noch Zukunftsmusik. In Rotterdam sind sie Realität.

So ist es in vielen Dingen. Die niederländische Hafenstadt Rotterdam, dieser Eindruck drängt sich dem Besucher auf, ist dem Hamburger Hafen einen Schritt voraus. Was an der Elbe noch geplant wird, ist in Europas größtem Hafen schon vorhanden. Beispielsweise am Rotterdam World Gateway (RWG), dem neuesten Containerterminal im jüngsten Rotterdamer Hafengebiet, der Maasvlakte II, zu Deutsch: Maasfläche. Hier werden die 14 Containerbrücken nicht mehr mit der Hand gesteuert. Stattdessen sitzt der Brückenfahrer 200 Meter entfernt in einem Kontrollzentrum, führt das Gerät per Joystick und blickt dabei auf einen Bildschirm.

Hafen Hamburg: Zukunftsmusik statt Realität

„Sie erleben jetzt das modernste Containerterminal der Welt“, sagt der RWG-Sprecher Niels Dekker, der die Besucher an diesem Tag über das Terminal führt. „85 Prozent aller Bewegungen auf diesem Terminal sind automatisiert. Das macht den Ablauf schneller und effizienter.“ Vieles von dem, was Dekker zeigt, kennt das Fachpublikum schon.

Auch am HHLA-Containerterminal Altenwerder (CTA) geschieht der Weitertransport der Container mit selbstfahrenden Transportfahrzeugen, und die Kräne des Blocklagers arbeiten automatisch. Das ist eindrucksvoll. HHLA-Chefin Angela Titzrath führt gerne und oft prominente Besucher über das Terminal in Altenwerder. Jüngst war die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, dort zu Gast.

Hamburger Hafen wurde überholt

Auch das CTA ist ein Vorzeigeterminal. Das modernste ist es aber nicht. Das liegt an der Maasvlakte II. Jan Ninnemann, Hafenexperte und Logistikprofessor an der Hamburg School of Business Administration, sagt es so: „Mit der Inbetriebnahme des CTA hat die HHLA im Jahr 2002 einen auch im internationalen Kontext viel beachteten Maßstab in puncto Terminalautomatisierung gesetzt. Seitdem wurde das CTA maßgeblich mit dem Ziel weiterentwickelt, das Terminal CO2-neutral zu machen. Die Automatisierung der anderen Terminals im Hamburger Hafen ist dagegen in den vergangenen Jahren nur vergleichsweise langsam fortgeschritten.“

In der Zwischenzeit hätten andere Standorte aufgeholt beziehungsweise den Hamburger Hafen im Hinblick auf Automatisierung und Prozesseffizienz sogar überholt. „Beispielhaft sind hier die Terminals auf der Maasvlakte II in Rotterdam zu nennen. Der Verweis auf das CTA darf in Hamburg nicht dazu führen, sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen“, warnt Ninnemann vor Selbstgefälligkeit. Die weitere Automatisierung von Anlagen und Prozess­abläufen sei ein wichtiger Schlüssel, um die Produktivität des Hafens und damit seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Hafen Hamburg: Führerkanzel soll durch Kontrollzentrum ersetzt werden

Von 2025 an will die HHLA die Führerkanzel an den Containerbrücken abschaffen und durch ein Kontrollzentrum ersetzen. Dann soll ein Brückenfahrer künftig zwei Entladekräne gleichzeitig bedienen. Was das für die andere Hälfte der Mitarbeiter bedeutet, bleibt offen.

Zu solchen Problemen äußert sich der smarte RWG-Mitarbeiter Dekker nicht. Knapp 400 Mitarbeiter in fünf Schichten halten den Terminalbetrieb am Laufen. Würde der Containerumschlag hier konventionell durchgeführt, wären viel mehr Mitarbeiter notwendig. Aber das ist eben der Vorteil der Maasvlakte II: Sie ist bereits automatisiert geplant worden, anders als zum Bespiel der Burchardkai in Hamburg, der in den 1960er-Jahren entstand, und nun von Titzrath und ihren Kollegen mühsam ins Automatikzeitalter übergeführt werden muss.

Rotterdam hat deutlich mehr Hafenfläche als Hamburg

Das wird nicht ohne Arbeitsplatzabbau geschehen. Die Unruhe unter den Beschäftigten ist groß. Am Burchardkai sind die Kosten für jeden umgeschlagenen Container 30 bis 40 Euro höher als in Rotterdam, heißt es aus der Unternehmensführung. So sei man nicht wettbewerbsfähig.

Muss sich der Hamburger Hafen überhaupt mit dem Konkurrenten in Rotterdam messen? Schon der schiere Größenunterschied lässt daran zweifeln. Rotterdam hat 12.464 Hektar Hafen­flächen, Hamburg nur 7200. Allein die Maasvlakte II ist mit 2000 Hektar größer als ganz Finkenwerder. Von einem Boot aus macht der Vorstand für das operative Geschäft der Hafenverwaltung Port of Rotterdam, Boudewijn Siemons, deutlich, was Platz für ihn bedeutet: Er zeigt mal hierhin, mal dorthin und sagt: „Da ist das 1,2 Kilometer lange Kai von RWG, gegenüber ist das APM-Terminal von Maersk. Wir können hier noch 400 Meter ausbauen, dahinten auch.“ Der Besucher sieht nur eine schier endlose Sandfläche mit noch sehr viel Platz. Die Maasvlakte II ist eine künstliche Insel weit von der Stadt Rotterdam entfernt.

Hafen in Rotterdam zog mehrmals um

Am Anfang stand eine Grundsatzentscheidung: Rotterdam hatte seinen Hafen immer dem schnell wachsenden Bedarf angepasst. Ende des 19. Jahrhunderts war er noch in der Stadt. Doch die Schiffe wurden größer, die Seegüter mehr, und der Hafen zog mehrmals um: Erst in den Maashaven, dann in den Waalhaven und immer weiter raus. Hamburg hat diesen Weg nicht gewählt, sondern seinen Hafen immer als integrativen Bestandteil des Stadtbilds erhalten wollen. Pläne für große Containerhäfen, etwa bei Cuxhaven, gab es genug. Durchsetzen konnten sie sich nicht.

Stattdessen wurden die Terminals in der Stadt erweitert und mit Altenwerder neu gebaut. Das hat seine Vorteile: Wer nach Feierabend kurz Hafenluft schnuppern will, hat es in Hamburg nicht weit. Aus Rotterdams Innenstadt muss man bis zur Maasvlakte 50 Kilometer auf der Autobahn zurücklegen. Dabei fährt man eine halbe Stunde an Hafenkränen, Raffinerien, Kraftwerken und riesigen Öltanks vorbei.

Rotterdam besitzt auch ein LNG-Terminal

Schön ist etwas anderes, aber es ist funktional. Ein LNG-Terminal, das flüssiges Erdgas zur Energieversorgung bereitstellt und um dessen Entstehung Deutschland so dringend kämpft, um sich von russischem Gas unabhängig zu machen, hat Rotterdam längst.

Um neue Technologien zu entwickeln, zu testen und zur Anwendung zu bringen, hat der Rotterdamer Hafen viele Projekte wie den sogenannten Makers District. Auf dem Gelände einer ehemaligen Werft haben sich zahlreiche Start-ups angesiedelt, die hier in Kontakt zu großen Firmen kommen. Diese wiederum können hier mit neuen Produkten oder Verfahren experimentieren.

Containergigant: Altenwerder liegt bei einer Sache vorne

„Wir arbeiten eng mit der Technischen Universität Delft zusammen, mit der Erasmus-Universität und einigen Fachhochschulen“, sagt Frans van Keulen von der Hafenverwaltung. Auch das ist etwas, was in Hamburg intensiviert werden könnte. „Bei uns ist der Hafen von großem nationalen Interesse“, sagt van Keulen. Nicht zufällig ist der Staat zu 30 Prozent an der Hafenverwaltung Port of Rotterdam beteiligt. 70 Prozent gehören der Stadt. Hamburg betont immer die große Bedeutung seines Hafens für die deutsche Wirtschaft und wirbt mit Millionenkampagnen für ihn, muss aber regelmäßig darum bangen, dass ein Bundesverkehrsminister sich hier einmal blicken lässt. Das sollte bei einem Vergleich nicht vergessen werden.

Es gibt aber eine Sache, bei der hat das Containerterminal in Altenwerder die Nase weit vorn: Es war die erste Anlage ihrer Art, die klimaneutral arbeitet, weil der Energieverbrauch aus regenerativer Erzeugung stammt oder durch entsprechende Projekte kompensiert wird. Dafür ist das CTA schon vor vielen Monaten ausgezeichnet und zertifiziert worden. Das supermoderne RWG-Terminal an der Maasvlakte erhielt diese Zertifizierung erst in den vergangenen Tagen. Immerhin.