Hamburg. Die Firma Nexxoil will CO2-freien Diesel aus Altfett produzieren. Perspektivisch sei auch die Verwertung von Plastikmüll möglich.
Ein Treibstoff, der nicht nur klimaneutral ist, sondern bei der Erzeugung sogar mehr CO2 bindet, als er bei der Verbrennung freisetzt – das klingt geradezu märchenhaft. Doch das Hamburger Unternehmen Nexxoil will genau diese Idee verwirklichen. Der Ausgangsstoff ist reichlich vorhanden und zudem erneuerbar: Müll.
Schon im nächsten Jahr sollen die ersten zwei oder drei Anlagen bei Entsorgungsfirmen in Betrieb gehen und dort Abfälle in Diesel umwandeln. Entwickelt hat das Verfahren Thomas Willner, Professor für Verfahrenstechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). „Die Idee hat ihre Wurzeln in der Ölkrise der 1970er-Jahre“, sagt er. Willner beschäftigte sich im Rahmen seiner Promotion in den früher 1990er-Jahren damit, bevor der damalige Ölpreisverfall die entsprechenden Forschungsaktivitäten beendete.
Energie aus nicht recyclebarem Müll
„Wir haben aber schon damals über Klimawandel gesprochen und überlegt, wie man erneuerbare Energiequellen stärker nutzen kann“, sagt Willner. „Um das Jahr 2000 kam das Thema wieder hoch – diesmal angestoßen durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz, das auch die Verwertung von Abfällen behandelte.“ Allerdings könne der größte Teil des Mülls nicht recycelt werden. Daher liege es nahe, ihn in einen Energieträger zu verwandeln.
Zwar versuchten international etliche Teams, ein Verfahren zu entwickeln, das aus den Abfallstoffen eine Art Bio-rohöl erzeugt. In der Regel musste man aber feststellen, dass sich immer mehr Schlacke in der Anlage ansammelt und der Prozess dadurch zum Halten kommt. „Der Durchbruch ist uns 2019 gelungen, auch wenn uns die Fachwelt das zunächst nicht geglaubt hat“, so Willner. „Es kommt nicht mehr zu einer Verkokung des Reaktors, der Prozess läuft jetzt kontinuierlich ab.“
Erfolgreiche Forschung trotz kritischer Stimmen
Man müsse wohl „ein Stück weit verrückt sein, gegen die Expertenmeinung immer weiterzumachen“, sagt der Wissenschaftler. „Aber wir sind auch unseren Investoren zu großem Dank verpflichtet, dass sie an den Erfolg geglaubt und uns vertraut haben.“ Bisher sind dies vier Privatpersonen, darunter der Nexxoil-Mitgeschäftsführer Georg Schlingensiepen. Derzeit sammelt das Unternehmen aber über eine Crowdinvesting-Runde sowie von sogenannten Business Angels weiteres Kapital ein.
Gewissermaßen im Labormaßstab funktioniert die Methode am HAW ganz nach den Wünschen von Willner. „Die Pilotanlage verträgt sehr ‚schmutziges‘ Material“, sagt er: „Wir nutzen Mensafett, was schon ziemlich eklig ist.“ Das von ihm entwickelte Verfahren erspare die „enorm aufwendige Vorreinigung“ und sei außerdem relativ energieeffizient: „Wir benötigen für das Endprodukt im Vergleich zu anderen Verfahren weniger als die Hälfte des ‚grünen‘ Wasserstoffs aus erneuerbaren Energien, der in Zukunft heiß begehrt sein wird.“
Entlastung der Meere möglich
Zwar werden die ersten kommerziellen Anlagen noch Altfette nutzen, wie sie unter anderem in großen Schlachtbetrieben anfallen. „In der nächsten Phase wollen wir aber auch mit Kunststoffabfällen arbeiten“, sagt Willner. „Sie belasten die Meere sehr stark, das muss unbedingt gestoppt werden.“ Der Plastikmüll müsste nicht einmal weit transportiert werden: „Unsere Anlagen wären klein genug, um sie auf Schiffen installieren zu können. Darüber denken wir tatsächlich nach.“
Eine Anlage, die pro Jahr 1000 Tonnen Müll verarbeitet und einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag kostet, wird derzeit entwickelt. Sie soll in mehrere Standardcontainer eingebaut werden und damit transportabel sein. Man denkt aber auch schon an Kapazitäten von 10.000 Jahrestonnen; eine solche Installation wäre dann jedoch ortsfest.
Vorerst soll nur Diesel erzeugt werden
„Wir sprechen derzeit mit sehr vielen Entsorgungsfirmen“, sagt Nexxoil-Geschäftsführer Thorsten Dunker. Die Fuhlsbütteler Firma, gewissermaßen eine Ausgründung aus der HAW, wird die Vermarktung übernehmen und hält außerdem die Patente, von denen einige bereits erteilt worden sind. „Für die Fertigung der Anlagen verhandeln wir mit einem Unternehmen aus der Metropolregion“, so Dunker.
Zwar kann man mit dem Verfahren im Prinzip alle möglichen Erdölersatzstoffe produzieren. Nexxoil hat sich nach den Worten des Geschäftsführers aber festgelegt: „In der ersten Phase wird Diesel erzeugt, denn der Bedarf dafür wird auch mittelfristig noch hoch bleiben.“ Später könnten Grundstoffe für die chemische Industrie hinzukommen.
- Wer bekommt das Müllgrundstück? Urteil fällt im Mai
- Tage im Zeichen der Jugend und des Ukraine-Krieges
- Schwämme aus Gurken – warum der Deal noch geplatzt ist
Nach Verfahren: deutlich mehr Energie gewonnen
Außer dem „Biorohöl“, das dann zum gewünschten Endprodukt weiterverarbeitet wird, entstehen nach Angaben von Willner bei dem Prozess nur kleine Mengen an Abwasser, das für eine Biogasanlage genutzt werden könne, sowie ein Feststoffrest, der als Dünger vermarktbar sei. „Der gewonnene Treibstoff hat 88 Prozent des Energiegehalts, den das Eingangsmaterial aufweist“, sagt Willner.
Damit schlage man mit dem künstlichen Kraftstoff im Hinblick auf die Energieeffizienz locker den batterieelektrischen Antrieb: „Auf Basis eines Verbrauchs von fünf Liter Diesel auf 100 Kilometer kommen wir auf fünf Kilowattstunden für die 100 Kilometer Fahrstrecke, ein Elektroauto benötigt drei- bis fünfmal mehr Energie.“
Nexxoil muss wachsen
Laut Nexxoil liegen von interessierten Entsorgungsfirmen bisher Absichtserklärungen mit einem Umsatzpotenzial von 80 Millionen Euro vor, der europaweite Markt für Anlagen dieser Art werde aber auf ein Volumen von etwa 30 Milliarden Euro geschätzt.
Um diesen Markt bearbeiten zu können, wird die Firma deutlich wachsen müssen: Aktuell hat Nexxoil erst fünf Beschäftigte, hinzu kommen zehn bis 15 Personen aus Willners Forschungsgruppe. Dunker plant aber schon den Hochlauf: „Im Jahr 2025 sollen es 40 bis 50 Mitarbeiter sein.“