Hamburg. Mehr als jedes dritte Hamburger Unternehmen erwartet schlechtere Geschäftslage. Aurubis-Manager: „Wir brauchen den Rohstoff“.
Erdgas sorgt nicht nur in mehr als einem Drittel der Hamburger Haushalte für Wärme. Wirtschaftsvertreter aus der Hansestadt warnen jetzt vor den Folgen eines Embargos für Gas aus Russland für die Hamburger Unternehmen. „Bei anhaltendem Krieg in der Ukraine und zunehmendem Umfang gegenseitiger Sanktionen droht die Gefahr einer tiefen Rezession“, sagte Michael Berlemann, der neue wissenschaftliche Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).
Es ist kaum zu glauben, dass dies erst wenige Monate her ist: „Noch Ende 2021 sind wir alle davon ausgegangen, dass 2022 ein Erholungsjahr sein wird“, sagte Berlemann, der neue wissenschaftliche Direktor am Mittwoch bei der Vorstellung des Handelskammer-Konjunkturbarometers für die Hamburger Wirtschaft. Unter anderem habe man gehofft, dass sich die Lücken in den Lieferketten wieder schließen.
Doch dann rollte nicht nur eine neue Corona-Welle an. Der Ukraine-Krieg hat die Lieferketten-Probleme noch verschärft, und vor allem hat er ein Fragezeichen hinter die Versorgung mit russischem Erdgas und Öl gesetzt, nachdem die Energiepreise ohnehin schon hochgeschossen waren.
Konjunkturbarometer: Hamburger Wirtschaft verliert Optimismus
Aktuell befinde man sich in einer „Situation exorbitanter Unsicherheit“, sagte Berlemann. Vor diesem Hintergrund hat sich das Wirtschaftsklima in Hamburg erheblich eingetrübt. Der entsprechende Indexwert, der sich aus Befragungen von Unternehmen durch die Handelskammer zur Geschäftslage und den Erwartungen ergibt, ist gegenüber dem vorigen Quartal um 19,2 auf 95,6 Punkte gefallen. Damit liegt er nun deutlich unterhalb des langjährigen Mittels von gut 108 Punkten.
Mehr als jedes dritte Hamburger Unternehmen (35,7 Prozent) erwartet nach Angaben von Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Malte Heyne aktuell eine Verschlechterung der eigenen Geschäftslage in den kommenden Monaten. Grund dafür seien vor allem die steigenden Energie- und Rohstoffpreise. Für sieben von zehn Unternehmen sind sie mittlerweile das größte Geschäftsrisiko. Nur 20 Prozent der Unternehmen erwarten derzeit noch bessere Geschäfte.
Hamburg: Energiekosten und Lieferprobleme treffen Industrie
Dabei treffen Energiekostensteigerungen und unterbrochene Lieferketten vor allem die Industrie, wie Heyne sagte: „Viele Unternehmen rechnen mit einem Rückgang ihrer Exporte. Für Deutschlands führenden Außenhandelsstandort sind das düstere Aussichten.“ In Hamburg hänge immerhin jeder vierte Arbeitsplatz an der Industrie, sagte Heyne. Sollte es zu echten Produktionsunterbrechungen kommen, wäre ein „Beschäftigungsabbau nicht auszuschließen“.
Auch die Kupferhütte Aurubis, mit gut 2500 Beschäftigten in Hamburg eines der größten Industrieunternehmen der Stadt, ist mit seinem energieintensiven Geschäft stark betroffen. Zwar könne man die gestiegenen Kosten aktuell durch hohe Metallpreise und eine große Nachfrage nach den unter anderem für Elektroautos und Windturbinen benötigten Produkten ausgleichen, sagte Ulf Gehrckens, Energiechef von Aurubis.
Zudem investiere der Konzern schon seit Jahren in Projekte zum Einsatz alternativer Energieträger, etwa in einen eigenen Solarpark am Standort Pirdop in Bulgarien und in Tests für die Verwendung von Wasserstoff in der Kupferproduktion. Kurzfristig lasse sich Erdgas aber nicht ersetzen, so Gehrckens. „Wir brauchen unbedingt Gas, um weiter produzieren zu können.“ Russland liefere 40 Prozent des in Deutschland verwendeten Erdgases – und das entspreche genau dem Anteil von 40 Prozent, den die Industrie benötige. Sollte ein so großer Teil der Gasversorgung ausfallen, wäre das eine „Horrorvorstellung“, sagt Gehrckens.
Bei Gasknappheit haben private Haushalte Vorrang
In diesem Zusammenhang verwies er auf Signale aus der Politik, dass im Fall einer Gasknappheit – als Folge eines von Europa verhängten Embargos oder eines russischen Lieferstopps – die privaten Haushalte mit erster Priorität weiter beliefert würden, während die Industrie Einschränkungen hinnehmen müsse. „Man muss die Frage stellen, ob die Reihenfolge so richtig ist“, sagte der Aurubis-Manager. Denn die Bürger hätten es dann zwar weiter warm, könnten aber womöglich mit vielen Gütern nicht mehr versorgt werden.
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Gehrckens setzt auf die Stationierung eines Terminalschiffs für die Wiederverdampfung von Flüssiggas (LNG) in Hamburg, um die Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen verringern zu können. „Nach meinen Informationen gibt es auf der Welt 15 solcher Schiffe, von denen sich die Bundesregierung drei gesichert hat“, so Gehrckens. Nur in Moorburg seien die technischen Voraussetzungen schon geschaffen, um ein derartiges schwimmendes Terminal, das Flüssiggas zum Beispiel aus den USA verarbeiten würde, mit dem Gasnetz an Land verbinden zu können. „Bereits im Herbst könnte so ein Terminalschiff in Hamburg angeschlossen sein“, sagte der Aurubis-Energieexperte. An anderen Orten in Deutschland sei das so schnell nicht realisierbar.
Krieg gegen Ukraine wirkt sich auf Wirtschaft aus
Auch nach Auffassung von Heyne hätte der Einsatz des schwimmenden LNG-Terminals einen „sehr stark entlastenden Effekt“. Der Senat bemühe sich darum, so Heyne. Voraussetzung für die Stationierung seien aber behördliche Genehmigungen. „Man hat uns zugesagt, das mit einer ,Es geht‘-Haltung zu prüfen“, berichtete Heyne.
Auch die Aussichten für die deutsche Wirtschaft insgesamt sehen durch den Ukraine-Krieg schlechter aus als zum Jahresanfang. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2021 um 0,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal gesunken ist und für das erste Quartal 2022 ein abermaliger Rückgang erwartet wird, befinde sich Deutschland schon in einer sogenannten „technischen Rezession“, sagte Berlemann.
Gleichzeitig sei auch für die nächsten Monate mit weiter kräftig steigenden Verbraucherpreisen zu rechnen. Angesichts dieser Situation fände es der HWWI-Wissenschaftler „wünschenswert“, dass die Europäische Zentralbank auf eine straffere Geldpolitik umschwenkt. Denn sonst drohe eine Lohn-Preis-Spirale, aus der man nur schwer wieder herauskomme.