Linau. Jurist Harald Quint wohnte in Hamburgs Villenviertel nahe der Alster. Aus der Not heraus zog er aufs Land. Eine Spurensuche.
„Kommt mal, ihr Schnecken“, ruft Harald Quint in Richtung von Freddie und Willem, und ganz langsam setzen sich die 350-Kilo-Eber in Bewegung. Mitten im Schweineauslauf steht Quint im Matsch und klackert mit den Walnüssen in der Hand, „und da kommt Wilma auch schon“, lockt Quint auch noch die Dame aus der Truppe der kroatischen Turopolje-Schweine zu sich. „Was man essen will, muss man streicheln“, sagt der Landwirt lachend und tätschelt die Tiere, die laut knuspernd auf den Leckerbissen herumkauen.
Heute läuft Quint in braunem Poloshirt, fleckiger Hose und robusten Arbeitsschuhen über seinen Betrieb mit Schweinen, Gänsen, Hühnern und Apfelbäumen. Früher trug er den feinen Zwirn der Businesswelt und wohnte in Hamburgs Villenviertel nahe der Alster. Arbeitete als Direktor beim Geldhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. am Ballindamm, betreute Kunden in Düsseldorf und lebte zeitweise in Belgien.
Von der Alster aufs Land: Hamburger Jurist wird Landwirt
Doch dann wurde der Banker zum Bauern. Seither lebt Quint nicht mehr nach dem Diktat der Wirtschaft, sondern richtet sich nach dem Wetter. Auf dem Hof sei jeder Tag anders, erzählt der Selfmade-Landwirt, während die Schweine in den Stall zurücktrotten. Die eigene Wetterstation gebe vor, wann der Boden bearbeitet werden muss, wann Zeit für die Kunden im Laden bleibe. Überhaupt, die Gespräche mit den Leuten über die Ware, das Feedback auf seine Bioprodukte, das sei mit das Schönste, sagt Quint und hat ein Strahlen in den Augen.
Der drastische Wandel im Leben des 68-Jährigen geschah mehr aus Zufall als aus Planung. Er kaufte 2007 das Areal „Vogelfängerkaten“ im Herzogtum Lauenburg, mit Land, Scheunen und Häusern. Als Kapitalanlage. Doch mit einem lukrativen Investment wurde es zunächst nichts. Es gab Unstimmigkeiten mit dem Betriebsleiter, der die Flächen bewirtschaften sollte. Schließlich musste Quint selber Hand anlegen, aus der Not heraus. Denn auch unter dem Nachwuchs der Landwirte fand er keinen Bewerber. Die jungen Leute etwa aus dem Alten Land wollten oder mussten die eigenen Höfe übernehmen, es zog niemanden zu ihm nach Linau, in die weite Landschaft zwischen Knicks und Teichen eine halbe Stunde mit dem Auto von Hamburg.
Quint vermarktet Apfel-Produkte im Hofladen, online und in Geschäften
„Mein Wunsch war damals ein Obsthof“, sagt er, „und das war leicht naiv“, gibt er rückblickend über seine Anfänge als Landwirt zu. Es sei nicht getan mit dem Pflanzen von Apfelbäumen, „und im Herbst kommen dann die Helferlein, die alles pflücken“. Das Problem: Die Äpfel müssen vor Schorf geschützt werden, sonst sind sie wegen der dunklen Flecken unverkäuflich, selbst im Bioladen. Und dieser Pflanzenschutz darf bei einem Demeterbetrieb, für den sich Quint wegen der schonenden Kreislaufwirtschaft entschieden hat, nur mit schwachen Mitteln betrieben werden – mit etwas Schwefel, der gespritzt wird. Von Mostäpfeln allein hätte er den Betrieb nicht wirtschaftlich führen können, daher der große Aufwand bei der Aufzucht. „Und dann wurde mir noch die Abhängigkeit vom Großhandel bewusst“, sagt Quint, eine Machtkonstellation, bei der nicht die Bauern die Preise diktieren.
Also erdachte Quint gemeinsam mit seiner Frau und befreundeten Profis alle möglichen Produkte, die er aus seinen bis zu 200 Tonnen Äpfeln im Jahr heute im Hofladen, online und über Geschäfte wie Violas Delikatessenladen in Hamburg vermarktet.
Quint entdeckte schon als Kind seine Liebe zu Bioprodukten
So wurde der Betrieb zu dem, was er heute ist. Ein Ensemble aus Ställen, Scheunen und Fachwerkhäusern, mit einer Mosterei, einem Café und einem bunten ländlichen Leben, von dem die Quints „auskömmlich leben können“, sagt der Unternehmer, „so sagt man das doch in Hamburg?“ Im Hofladen gibt es neben Apfelsaft, Balsamico auch Obstringe, die in einer Behindertenwerkstatt gefertigt werden, Braten der eigenen Gänse und Honig von den Bienen, die hier in den ersten frühlingshaften Tagen umherschwirren.
Quint hat als Kind viel Zeit im Kleingarten der Eltern verbracht, hat es schätzen gelernt, wie frisches Obst schmeckt, musste auch schon mal Unkraut zupfen. „Ich habe gesehen, wie die Dinge wachsen“, erinnert er sich an seine ersten Eindrücke von der Landwirtschaft im Kleinen, und aus dieser frühen Erfahrung hat er sich bis heute die Liebe zu Bioprodukten erhalten.
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Als Jurist in Hamburg geriet er immer mehr in die Mühlen des Büroalltags
Den Einklang mit der Natur allerdings hatte er in seinem Leben in Hamburg zunächst verloren. Nach der Zeit bei der Bank arbeitete der Jurist als Anwalt am Oberlandesgericht, geriet immer mehr in die Mühlen des Büroalltags. „Ich arbeite auch jetzt noch 70 Stunden“, sagt Quint, „aber jetzt geben die Tiere das Tempo vor“. Ab 6.45 Uhr füttern, „schauen, ob alle tipptopp sind“, dann Arbeit in der Apfelplantage.
Die Tiere seien ihm ans Herz gewachsen. Eine schöne Zeit, wenn Nachwuchs käme, und auch die Erntesaison auf den Apfelfeldern sei natürlich eine große Freude. Ob seine Helfer aus der Ukraine dieses Jahr zum Pflücken anreisen, steht in den Sternen. Ihre Familien könnten jedenfalls mitkommen, er nehme die Flüchtlinge gerne auf, sagt Quint. Platz sei vorhanden, ergänzt der Arbeitgeber von durchschnittlich fünf Beschäftigten und zeigt auf die roten Klinkerbauten neben der Scheune.
Von Rotherbaum aus Land: Umzug war nicht immer leicht
So idyllisch die Anlage im Grünen ist, für Quints Frau Bianca sei der Umzug aus der alten Heimat in Rotherbaum nicht immer leicht gewesen. Ihren Beruf als Lehrerin habe sie weitestgehend aufgegeben. Und die Freunde aus Hamburg seien anfangs noch aus Neugier auf das Landleben gekommen, ließen sich dann aber immer seltener blicken. Früher seien sie in Urlaub gefahren, um einmal durchzuatmen, jetzt arbeitet das Paar ohnehin jeden Tag an der frischen Luft. „Wir sind in den letzten zehn Jahren nur drei Mal verreist“, sagt Quint. „Und auch nur, weil meine Frau das wollte“.
Er selber aber bereut den Schritt aufs Land an keinem Tag. Immer wieder Neues belebt den Hof. Freilaufender Betrieb heißt es humorvoll auf der Homepage über sein Gut „Vogelfängerkaten“. Der ungewöhnliche Name stammt aus der Zeit im 18. Jahrhundert, als die Fischteiche in der Gegend frei von Nahrungskonkurrenten wie Kormoranen gehalten werden sollten.
Heute erfordert die Kreislaufwirtschaft des biodynamischen Betriebs viel Kreativität. Die Hühner erzeugen den Mist für die Äpfel, zugleich muss Quint ihre Eier vermarkten. Auf dem Logo seines Hofs steht denn auch ein Apfel auf Hühnerfüßen. Alles wird verwertet. Die Brüderhühner werden zu Frikassee oder Bolognese, die Äpfel mit Schorf zu Saft.
Die Eber und Sauen hält er auch, um die alte Rasse zu erhalten. Willem und Wilma, die Quint aus Belustigung über städtische Modenamen wie Marie-Chantalle lieber altdeutsch nennt, haben weltweit nur noch 600 Verwandte.
Hamburger Jurist wird Bauer – und baut Hofladen neu auf
Letztlich aber leben die Tiere für den Betrieb. „Was nicht schmeckt, darf hier nicht leben“, sagt Quint. Einzige Ausnahme: die Katzen seiner Frau, die über das Kopfsteinpflaster huschen. Und die Mauerbienen, die keinen Honig herstellen, dafür aber die Bäume bestäuben.
Und Quint plant sogar schon weiter. Was wäre mit Fischen? Tilapias zu züchten, das wäre vielleicht noch etwas für die Zukunft, findet der Feinschmecker, der nicht nur an die Produktion, sondern auch an den Profit denkt: Den Hofladen baut der Unternehmer in einer 250 Jahre alten Scheune gerade völlig neu auf und aus. Bald können die Kunden auf mehr als 200 Quadratmetern, unter alten Holzdielen, Apfeltee, Brände oder Biogänse kaufen.