Hamburg. Bei Laune der Natur können Kunden über eine Monatsgebühr günstiger einkaufen und das Sortiment mitbestimmen. Was dahintersteckt.

Über der Eingangstür steht „Laune der Natur“. Durch Glasscheiben sieht man in einen geräumigen Verkaufsraum. Eine Kühltheke mit Käse, dahinter frisches Brot. Holzregale mit Marmeladengläsern, Müslitüten, Weinflaschen. Gleich vorne sind Äpfel, Bananen, Kartoffeln drapiert und was es sonst gerade so Frisches gibt.

Auf den ersten Blick ein normaler Bioladen. Wenn da nicht die vielen Fragen wären, die draußen auf den Schaufenstern aufgeworfen werden. „Warum hat jedes Produkt zwei Preise?“, steht in einer Sprechblase über der Zeichnung eines Jungen. „Lohnt sich die Mitgliedschaft auch als Familie?“, lautet eine andere Frage. Und noch eine: „Kann das Einkaufsverhalten die Welt verändern?“ Irgendwas ist in diesem Laden besonders.

Laune der Natur in Winterhude gestartet

„Das sind Fragen, die uns immer wieder gestellt werden“, sagt Sarah Ehrich (40). Insgesamt 15 davon hat sie auf die Schaufensterscheiben geschrieben, nachdem sie gemeinsam mit Oliver Frank (50) vor einigen Wochen das Geschäft Laune der Natur am Rand von Winterhude eröffnet hat – „für alle, die anders einkaufen wollen“.

Das Besondere: Der Laden funktioniert auf Basis einer Einkaufsgemeinschaft. „So können wir Discountern, Supermärkten sowie Bestell-Apps und ihren Preisschlachten ein alternatives System entgegensetzen“ sagt Oliver Frank. Das Mitgliedermodell, das über Monatsbeiträge wie eine Vorkasse funktioniert und damit Planbarkeit für die Biohändler bringt, soll es ermöglichen, dass alle in der Lieferkette fairer bezahlt und Kundenwünsche besser umgesetzt werden können.

Mitglieder zahlen weniger in Hamburger Supermarkt

Man muss nicht Mitglied werden, aber es hat Vorteile: Mitglieder zahlen im Schnitt 25 bis 30 Prozent weniger für Brot, Butter & Co. als andere Kunden. „Über die Beiträge können wir die Lebensmittel mit sehr geringen Gewinnspannen anbieten“, sagt Oliver Frank. Statt 2,29 Euro liegt der Mitglieder-Preis für eine Bio-Gurke bei 1,60 Euro. Kostenersparnis: 30 Prozent. Bei Rotwein kann man 22 Prozent sparen, weil die Flasche 6,16 Euro statt 7,90 Euro kostet.

Geringer fällt der Unterschied etwa bei Milch aus. Die Preisdifferenz liegt wegen der geringen Handelsmargen bei Molkereiprodukten bei fünf Cent – statt 1,29 Euro werden 1,24 Euro fällig. Je nachdem, wie viel man bei Laune der Natur kauft, kann sich der Monatsbeitrag von 28 Euro pro Erwachsenem und fünf Euro für Kinder schnell amortisieren. „Wir wollen es einfach machen, mit gutem Gewissen zu konsumieren“, sagt Ehrich.

Zudem ist ein WirMarkt geplant

Vor einem Jahr hat das Gründer-Duo das Projekt gestartet. „Entstanden ist es, weil wir uns hier im Stadtteil so einen Laden gewünscht haben“, sagen sie. Mit Beginn der Pandemie hatte sich das noch verstärkt. Dann zog der Matrazenladen, der in einem Ladenlokal am Winterhuder Weg direkt gegenüber ihrer Wohnung war, aus. Die beiden sahen darin ein Zeichen.

Ehrich, als Journalistin zuletzt Chefredakteurin in einem Verlag für Firmenmagazine, kündigte ihren Job. Oliver Frank, im Hauptberuf selbstständiger Musikmanager, hatte coronabedingt gerade weniger Aufträge. Die beiden, die auch privat ein Paar sind, legten los. „Wir haben unser Konzept entwickelt und uns mit Fachleuten aus dem Biohandel beraten, dann die Finanzierung auf den Weg gebracht und Mitarbeiter eingestellt“, sagt Frank. Ein sechsstelliger Betrag steckt in Laune der Natur. Seit Anfang Mai ist geöffnet.

Die Gründer sind nicht die Einzigen in Hamburg, die mit ihrem Einzelhandelskonzept andere Wege gehen wollen. Ebenfalls in den Startlöchern stehen Fabian Gebert und Barbara Knoben, die mit ihrem WirMarkt ein Netz von Nachbarschaftsläden auf Mitgliederbasis planen. Mit SuperCoop Hamburg will ein Team von Ehrenamtlichen um Maëlanne Bonnicel und Peter Ramelow einen Mitmach-Supermarkt eröffnen, der von erfolgreichen Modellen in New York oder Paris inspiriert ist. Die Ideen sind nicht ganz neu. Schon in den 1970er-Jahren waren in den USA, aber auch in Deutschland die ersten Lebensmittel-Kooperativen entstanden, bei denen es vor allem um die Versorgung mit Bio-Produkten zu erschwinglichen Preisen ging.

Einkaufen mit sozialem Hintergrund

Angesichts einer immer stärker verdichteten Branche zeichnet sich jetzt eine Renaissance ab. In Berlin, München und Köln gibt es ähnliche Initiativen. Schon seit einigen Jahren ist in Bremen myEnso, ein genossenschaftlich organisierter Online-Supermarkt, aktiv. Inzwischen sind auch erste Filialen in ländlichen Regionen im Aufbau. „Die soziale Dimension des Einkaufens spielt zunehmend eine Rolle in der virtuellen Welt und jetzt auch in der realen Welt“, sagt Trendforscher Peter Wippermann. Es bildeten sich neue Gruppen, die etwas anders machen wollen in kreativen Wirtschaftsmodellen. „Mitreden und mitgestalten, das passt dazu.“

Dass das Modell funktioniert, kann man in Ottensen sehen. Vor 13 Jahren hat dort der Bioladen Warenwirtschaft eröffnet – auch auf Mitgliederbasis. „Anfangs war es nicht einfach, weil es so etwas in Hamburg nicht gab“, sagt Anne Knauss, die von Anfang an in dem fünfköpfigen Gründerteam dabei war. Damals habe es große Schwierigkeiten gegeben, einen Kredit für das alternative Geschäftskonzept zu bekommen. Heute sind 650 Mitglieder plus Kinder bei dem Kollektiv anmeldet.

„Das ist die Grenze, die der Laden aushält. Wir haben Aufnahmestopp“, sagt Knauss. Und das, obwohl es in dem Stadtteil zahlreiche Bio-Läden, Bio-Wochenmärkte, Bio-Lieferangebote und Supermärkte sowie Discounter mit einem wachsenden Bio-Sortiment gibt. Wie erklärt sich der Erfolg? „Einkaufen hat mit Vertrauen zu tun, und auch mit Atmosphäre“, sagt Knauss. Auch der Kattendorfer Hof, ein Demeter-Betrieb in Schleswig-Holstein, betreibt mehrere Hofläden und Foodcoops in Hamburg.

Es geht auch um den Klimawandel

Es geht auch um das Große und Ganze. Globale Probleme wie Klimawandel, Massentierhaltung, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen mit ihren direkten Auswirkungen im Einkaufswagen werden besonders von jungen Konsumenten benannt und kritisiert. „Es geht um einen sozialgerechten Lebensmittelkonsum im Einklang mit der Natur“, erklärt Fabian Gebert (36) die Idee hinter dem WirMarkt. Mit Co-Gründerin Barbara Knoben (34), einer Unternehmensberaterin, hat der Software-Entwickler die Initiative für den neuen Supermarkt gestartet. „Immer mehr Bürger und Bürgerinnen wollen Teil der Lösung sein“, sagt er. 15 ehrenamtliche Mitstreiter sind inzwischen im Team.

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Gerade haben die Gründer bei einer Crowdfunding-Kampagne gut 16.000 Euro Startkapital eingesammelt. Insgesamt rechnen die Supermarkt-Rebellen mit einem Investitionskapital von 150.000 bis 200.000 Euro. Auch der WirMarkt setzt auf das Engagement von Mitgliedern, die im Gegenzug von günstigeren Preisen profitieren. Dabei können sie wählen, ob sie einen Monatsbeitrag zahlen oder drei Stunden unentgeltlich mitarbeiten wollen. Auch Investoren seien willkommen. Der erste Laden soll Anfang 2022 eröffnen. „Wir suchen im Moment einen Verkaufsraum. Es laufen Gespräche in verschiedenen Stadtteilen“, sagt Gebert.

SuperCoop bald in der Stadt

Größer denken die Gründer, die hinter SuperCoop Hamburg stehen – und schauen auf das 1973 gegründete Vorbild in New York. Die Park Slope Food Coop in Brooklyn hat heute 18.000 Mitglieder und einen Jahresumsatz von 58 Millionen Dollar. „Dort kann man sehen, dass das Geschäftsmodell erfolgreich ist“, sagt Peter Ramelow aus dem Gründerteam. Der Anstoß für den gemeinschaftlich organisierten Supermarkt an der Elbe mit nachhaltigem Vollsortiment hatte Maëlanne Bonnicel gegeben, die in Paris gute Erfahrungen mit dem Konzept gemacht hatte. Geplant sind auch ein Café und Onlineshop. „SuperCoop ist mehr als ein Supermarkt“, sagt Ramelow, der im Hauptberuf eine Marktforschungsfirma betreibt. „Es soll auch ein Begegnungsort werden.“

Gerade läuft der Aufbau eines Vereins. „Alle Mitglieder sind Eigentümer von SuperCoop Hamburg und beteiligen sich mit gleichem Stimmrecht an Entscheidungsprozessen“, so Ramelow. Zum Start sollen es mindestens 1000 Mitglieder sein. Neben einem Einmalbetrag ab 100 Euro fußt das Konzept auf mindestens drei Stunden Mitarbeit im Monat, um Lohnkosten zu sparen. Parallel treiben die Initiatoren die Gründung der Purpose GmbH in Verantwortungseigentum für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb voran.

Auch SuperCoop ist inzwischen auf der Suche nach einer Handelsfläche von 800 bis 1500 Qua­dratmetern. Den Kapitalbedarf schätzen die Gründer auf bis zu 700.000 Euro, die auch über Förder- und Finanzinstrumente finanziert werden sollen. Das klingt nach richtig viel Geld für ein alternatives Wirtschaftskonzept. Ramelow ist optimistisch. „Wir rechnen mit einem Umsatz von 1,4 Millionen Euro nach zwei Jahren.“ Der Start von SuperCoop ist bis Ende des Jahres geplant.

Schon 200 Mitglieder bei Hamburger Supermarkt

In Winterhude sind Sarah Ehrich und Oliver Frank mit ihrem inhabergeführten Mitglieder-Supermarkt Laune der Natur schon im wahren Leben angekommen. Im Angebot haben sie 2000 Artikel, vom Apfel bis zur Zahnbürste. „Die Resonanz ist gut“, sagt Ehrich. 200 Kunden haben eine Mitgliedskarte, 100 Plätze sind noch frei. „Das Ganze ist für die Kunden nicht komplizierter als ein Netflix-Account“, sagt Frank. In den vergangenen Wochen haben die beiden schon viele Gespräche geführt.

„Wir möchten erreichen, dass das Einkaufen weniger anonymisiert ist und sich Verbraucher durch das Gemeinschaftsgefühl mehr Gedanken über ihren Konsum machen“, sagt Ehrich. Da wirkt es schon ein bisschen wie Ironie des Schicksals, dass der Online-Lieferdienstes Flink gegenüber gerade einen Stützpunkt aufgemacht hat, mit dem Versprechen Lebensmittel in maximal zehn Minunten nach Hause zu bringen. „Wir sind das analoge Modell“, sagt Laune-der Natur-Gründer Frank. „Essen ist ja auch analog.“