Hamburg. Tarek Müller über die Pläne mit seinem Modeunternehmen, ungerechte Vermögensverteilung und politische Ambitionen.
Tarek Müller ist aus dem Homeoffice zugeschaltet, wo er sich seit nunmehr zwei Jahren befindet. Dieser neuen Art des Arbeitens kann der 33-jährige Mitgründer und Co-Chef des Online-Modeunternehmens About You durchaus positive Seiten abgewinnen, wie er sagt.
Im Abendblatt-Gespräch spricht er nicht nur über Geschäftliches: den Börsengang im vergangenen Jahr, den unbefriedigenden Verlauf des Aktienkurses, die Pläne mit About You. Tarek Müller wird auch persönlich, wenn er über den Ukraine-Krieg, die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland und seine Liebe zu Hamburg redet.
Hamburger Abendblatt: Was war das für ein Gefühl, als im vergangenen Sommer das erste Mal die Aktie von About You an der Börse gelistet wurde?
Tarek Müller: Der Tag kam natürlich nicht überraschend, schließlich war er das Ergebnis eines neunmonatigen, sehr arbeitsintensiven Prozesses – und dennoch musste ich mich an dem Tag selbst ein paar Mal kneifen, um zu realisieren, dass dies tatsächlich passiert.
About-You-Gründer Müller von Erfolg überrascht
War ein wenig Stolz dabei?
Müller: Ja, aber es hat sich auch ein wenig surreal angefühlt: Dass unsere kleine Firma, für die ich mir vor langer Zeit den Namen mit überlegt habe, plötzlich an der Frankfurter Börse gelistet ist. An einen solchen Erfolg hatten wir Gründer damals niemals gedacht.
Was sind Ihre nächsten Ziele für About You?
Müller: Wir haben schon vor längerer Zeit die Vision formuliert, die Nummer eins im globalen Online-Modebusiness werden zu wollen. Wir sind bereits in 26 Ländern lokal aktiv und haben über unsere weltweite Versandoption weitere hundert Länder, die wir logistisch bereits erreichen, jedoch bisher ohne lokalen Auftritt. Diesen Weg der Expansion wollen wir fortsetzen. Schaut man auf das Wachstum, auf bestimmte Zielgruppen und einzelne Länder sind wir bereits die Nummer eins. Beim absoluten Gesamtvolumen und Umsatz sind wir das jedoch noch nicht – deshalb ist es unser Anspruch, weiter Marktanteile gegenüber Wettbewerbern zu gewinnen.
About You: Verlust von Müller geplant
Der Umsatz legt zu, der Verlust aber ebenfalls – wann wird About You Gewinne schreiben?
Müller: Zunächst einmal muss man festhalten: Kein anderes Modeunternehmen wächst im Umsatz so stark wie wir - und unsere Marge verbessert sich ebenfalls stetig. Richtig ist: Der absolute Verlust ist 2021 zum Vorjahr gestiegen – doch das war auch so geplant und angekündigt. Im Endeffekt haben wir sogar weniger Verlust geschrieben, als wir es beim Börsengang prognostiziert hatten und sind stärker gewachsen als geplant. Der Grund für die Verluste sind große Markteintritte gewesen mit entsprechend hohen Marketingausgaben. Unter anderem in Spanien, Frankreich, Italien, Portugal und Griechenland. In neuen Ländern müssen wir zunächst hohe Marketinginvestitionen tätigen - bis diese Märkte dann profitabel werden, dauert es drei bis fünf Jahre. In Deutschland schreiben wir bereits seit Jahren hohe Gewinne. Die Strategie, am Anfang in neue Länder zu investieren, und nach drei bis fünf Jahren die Gewinne abzuschöpfen, geht bisher in allen Ländern auf. Als Gruppe wollen wir im nächsten Geschäftsjahr den Break-even schaffen.
Der Börsenkurs entwickelt sich seit Monaten schlecht, die Aktie hat seit dem Börsenstart die Hälfte an Wert verloren. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Müller: Das ist etwas, was mich traurig macht und ganz besonders für diejenigen, die zum Zeitpunkt des Börsengangs unsere Aktie gekauft haben. Denn sie haben zum Status quo Wert verloren. Die Entwicklung des Aktienkurses ist jedoch nicht getrieben von unseren Ergebnissen, die sind nämlich besser als zum Zeitpunkt des Börsengangs prognostiziert. Gründe für den Rückgang des Kurses sind makroökonomische Faktoren, mit denen vor knapp einem Jahr niemand in der Form gerechnet hat – auch ich nicht: Da sind zum einen die höheren Zinsen, die Wachstumsunternehmen besonders hart treffen, und zum anderen die gestörten Lieferketten, die stark gestiegene Inflation und nun auch noch der Ukraine-Krieg. Dennoch bestärken uns die Investoren, dass wir einen guten Job machen, da sie About You mit den Wettbewerbern in der Branche vergleichen. Im Schnitt haben unsere Wettbewerber über 70 Prozent an Wert verloren. Daran sieht man, dass es eher ein Sektor-Problem ist. Denn bei uns waren es wenigstens „nur“ rund 50 Prozent. In den Bereichen, die wir selbst beeinflussen können, haben wir unsere weltweiten Konkurrenten geschlagen, und wir haben unsere eigenen Prognosen übertroffen. Die makroökonomischen Einflüsse, und entsprechenden Reaktionen des Kapitalmarktes, können wir aber leider nicht beeinflussen.
Mit 15 Jahren den Gewerbeschein angemeldet
Sie sind erst 33 Jahre alt, lenken eines der aus Expertensicht zukunftsträchtigsten Online-Handelsunternehmen in Europa. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Müller: Das ist schwer zu sagen. Fakt ist: Ich bin nie Erfolg oder Geld hinterhergerannt. Ich habe immer das gemacht, bei dem ich das Gefühl hatte, das kann ich gut und das stiftet Kundenmehrwert. Ich habe im Alter von 13 Jahren mit meinen ersten Aktivitäten im Internet begonnen und habe mit 15 Jahren einen Gewerbeschein angemeldet. Ich bin also schon mehr als die Hälfte meines Lebens Unternehmer. Erfolg kommt nicht über Nacht, er fußt auf viel Arbeit, Durchhaltevermögen, und man muss mit Rückschlägen umgehen können. Zudem benötigt man auch immer etwas Glück.
Wie finden Sie jeden Morgen wieder den Antrieb für Ihre Arbeit?
Müller: Das fällt mir nicht schwer. Ich kann mich immer noch sehr für das begeistern, was wir bei About You machen. Vor allem bin ich getrieben von Innovationen und Fortschritt - und das sehe ich jeden Tag in unserem Unternehmen. Mir macht die Arbeit weiterhin großen Spaß.
Pandemie trug zu Entschleunigung bei
Wie sehr hat die Corona-Pandemie Ihr Tun verändert?
Müller: Vor allem das Arbeiten im Homeoffice war für mich die größte Veränderung. Ich sitze jetzt seit zwei Jahren an diesem Platz in meiner Wohnung. Ich habe vorher so gut wie nie zu Hause gearbeitet. Natürlich war während der Pandemie beruflich extrem viel los. Es war die verrückteste Zeit in meinem bisherigen Unternehmerleben, aber privat hat die Pandemie bei mir auch zu einer gewissen Entschleunigung beigetragen. Ich rede natürlich aus einer sehr privilegierten Situation heraus: Schließlich habe ich keine Kinder und eine große Wohnung. Ich bin in meinem Leben noch nie so viel spazieren gegangen, habe noch nie zuvor so viel Zeit mit meiner Freundin verbracht, so viel gelesen, Podcasts gehört. Weil Anfahrtswege zur Arbeit und Geschäftsreisen weggefallen sind, hatte ich plötzlich diese Zeit. Ich möchte mich nicht falsch verstanden wissen: Ich freue mich, wenn die Pandemie endlich vorbei ist, und weiß, dass zum Beispiel junge Familien extrem unter der Pandemie leiden – und dennoch hatten diese Jahre für meine eigene Entschleunigung auch eine gute Seite.
Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei, da hält der Ukraine-Krieg die Welt in Atem. Wie sehr beschäftigt Sie dieser neue Konfliktherd?
Müller: Ich reagiere normalerweise nicht sehr emotional auf Weltgeschehnisse, aber dieser Krieg in der Ukraine nimmt mich jeden Tag sehr mit. Ich bin in einer Generation groß geworden, die dachte, Krieg ist etwas Vergangenes. Ich hielt Militär stets für etwas derart Überholtes. Nun wurde ich eines Besseren belehrt und muss miterleben, dass ein Krieg quasi vor unserer Haustür stattfindet und auch Menschen betrifft, die ich gut kenne. Wir haben bei About You mehr als zehn ukrainische Mitarbeiter. Das ist ein sehr komisches Gefühl mit Blick auf unsere, auf meine Zukunft. Ich möchte schon eines Tages Kinder haben, und jetzt denke ich: Neben der Klimakrise, die uns bereits mehr als herausfordert und nur über einen globalen Schulterschluss gelöst werden kann, leben wir nun auch noch in Kriegszeiten. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass so etwas wiederkommt. Schließlich sehe ich mich als Europäer, als Weltbürger, der Feindseligkeiten gegenüber anderen Nationen nicht kennt und nicht kennen möchte. Nun hat sich die Welt in wenigen Wochen so radikal verändert. Ein globaler Schulterschluss ist in weite Ferne gerückt. Welch ein schrecklicher Rückschritt in der Menschheit.
Vermögensverteilung: Entwicklung ist bedenklich
Mit dem Börsengang 2021 haben Sie Unternehmensanteile verkauft und sind Multimillionär. Was machen Sie mit dem Geld?
Müller: Ich war ja schon vorher als Unternehmer erfolgreich und habe auch vor About You bereits erfolgreiche Firmen aufgebaut. Es ist also nicht das erste Mal gewesen, dass ich viel Geld verdient habe. Die mittlerweile erreichte finanzielle Unabhängigkeit gibt mir das Gefühl von Freiheit. Ein Gefühl, das ich immer angestrebt habe. Niemand kann mich mehr zwingen, etwas zu tun, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das empfinde ich als größtmögliches Glück und Privileg im beruflichen Kontext. Mir ist aber auch noch mal bewusst geworden, dass ich eine bestimmte Haltung zu Vermögen haben will. Ich bin der Meinung, es ist nicht verwerflich, Vermögen aufzubauen, wenn man dies auf moralisch vertretbare Art getan hat. Und das ist bei mir der Fall. Ich finde es aber bedenklich, wie sich die Vermögensverteilung in unserer Gesellschaft entwickelt. Die Abstände zwischen einem Durchschnittsverdiener und Vermögenden laufen Gefahr, aus den Fugen zu geraten. Vererbtes Vermögen vermehrt sich in Windeseile und macht reiche Menschen noch reicher, während sich selbst gut Verdienende nicht mal mehr eine adäquate Wohnung kaufen können, ohne große Kredite aufzunehmen. Doch was ist die Lösung des Problems? Kapitalismus per se ist, glaube ich, nichts Böses, und der Sozialismus ist schließlich gescheitert. Ich glaube, wir brauchen aber eine Art soziale Marktwirtschaft 2.0. Meine persönliche Antwort darauf lautet: Ich leiste mir zu Lebzeiten einen überdurchschnittlichen, aber nicht übertriebenen Lebensstil. Aber ich möchte dieses Vermögen zu meinen Lebzeiten auch wieder abbauen und meinen Kindern nicht mehr als eine Immobilie und Geld zur Existenzsicherung vererben. Denn ich halte das Vererben großer Vermögen für eines der Grundprobleme sozialer Ungleichheit. Stattdessen möchte ich der Gesellschaft, die mir ein so gutes Leben ermöglicht hat und die Bildung und Infrastruktur bot, von der ich profitieren konnte, mein Vermögen zurückgeben, indem ich es über soziale und gemeinnützige Aktivitäten wieder abbaue. Sollte ich sterben und es wäre dann noch mehr Vermögen übrig als das, was ich für meine Kinder als Existenzsicherung plus Immobilie definiere, würde ich es der Stadt Hamburg schenken.
Sie haben bereits vor mehreren Jahren gesagt, dass Sie mit spätestens 40 in die Politik gehen wollen. Steht der Plan noch?
Müller: Ich möchte in der Tat spätestens 2030 aus der Wirtschaft raus und mich um gesellschaftspolitische Themen kümmern. Das heißt nicht, dass ich dann auch direkt in die Politik gehe. Aber eines Tages will ich dorthin. Zunächst möchte ich mich ab 2030 mit gesellschaftspolitischen Themen intensiver beschäftigen und auf diesen Feldern lernen.
About-You-Gründer will Bürgermeister werden
Sie wollen sogar eine eigene Partei gründen, wie genau soll deren programmatische Ausrichtung sein? Sozial, ökologisch, liberal?
Müller: Ich habe für die Partei bisher weder ein konkretes Wahlprogramm noch einen Namen. Meine Grundidee für das Programm klingt vermutlich etwas langweilig. Es sollte technokratisch sein. Das heißt: Die Arbeit der Partei muss von konkreten Inhalten getrieben werden. Das kann ich am besten regional, also in Hamburg, nicht bundesweit umsetzen. Deshalb möchte ich auch „nur“ eine Partei auf Hamburger Ebene gründen. Nicht darüber hinaus. Denn eine Stadt kümmert sich um Bildung, Wohnen, Gesundheit, Straßen, Nahverkehr, Sicherheit – an diese Themen kann und sollte man auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Daten herangehen. Dabei will ich in Hamburg mithelfen.
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Das heißt: Sie streben das Amt des Hamburger Bürgermeisters an?
Müller: Mein Ziel ist es tatsächlich, Hamburger Bürgermeister zu werden. Das ist aktuell mein Plan, meine Ambition. Aber ich weiß auch, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass das nicht klappt. Dennoch hätte ich großen Spaß daran, es zu probieren. Ich liebe diese Stadt und möchte sie lebenswerter und besser machen. Wenn mich im Endeffekt niemand als Bürgermeister möchte, könnte ich damit aber auch gut leben. Ich habe bereits mehr erreicht als ich mir je zu träumen gewagt hätte. Mein Ehrgeiz ist mehr als befriedigt. Dann würde ich versuchen, Hamburg eben auf eine andere Art und Weise zu helfen. Und wenn niemand meine Hilfe will, dann sitze ich halt einfach auf einem alten Klappstuhl, gucke meinen Enkelkindern beim Spielen zu und spende mein Vermögen. Wäre auch keine schlechte Aussicht.