Berlin. Die Reiselust ist bei vielen nach zwei Jahren Pandemie groß. Der Präsident der Luftverkehrswirtschaft rechnet mit steigenden Preisen.

Für viele Urlauber fiel der Flug zur Trauminsel oder zum Städtetrip seit Ausbruch der Corona-Pandemie flach. Nach zwei Jahren Pandemie ist die Sehnsucht umso größer geworden, sich ins Flugzeug zu setzen und den Urlaub in der Ferne nachzuholen. Doch der Krieg in der Ukraine belastet auch die Flugbranche.

„Ich gehe davon aus, dass Fliegen teurer wird“, sagt Peter Gerber. Der 58-Jährige ist Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und kennt die Branche bestens. Denn Gerber blickt auf eine steile Karriere im Lufthansa-Konzern zurück. Seit 1992 ist er für die Kranich-Airline tätig, seit März 2021 ist er Vorstandsvorsitzender der Lufthansa-Tochter Brussels Airlines.

Im Interview mit unserer Redaktion spricht Gerber über die höheren Ticketpreise, drohende Flugausfälle – und die Gefahr, dass bei einem Energieembargo gegen Russland der Berliner Hauptstadtflughafen BER stillstehen könnte.

Herr Gerber, es herrscht Krieg mitten in Europa. Dämpft das die hohe Reiselust nach zwei Jahren Corona-Pandemie?

Peter Gerber: Schaut man sich den Gesamtmarkt an, dann wird die Reiselust derzeit nicht gedämpft. Der Flugverkehr in Deutschland ist stark auf Europa und den Westen ausgerichtet. Wir haben mit Beginn des Sommerflugplans das Angebot verdoppelt und werden auf ungefähr 85 Prozent des Verkehrs von 2019 kommen.

Also kommt die Branche bisher glimpflich durch den Krieg?

Peter Gerber: Flüge nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine finden derzeit nicht statt, diese Ziele haben vor der Pandemie zwei bis drei Prozent des Passagieraufkommens sowie fünf Prozent der Frachtflüge ausgemacht. Ein Problem ist der asiatische Markt. Da der russische Luftraum nicht überflogen werden darf, braucht man einige Stunden länger, um etwa nach China oder Japan zu kommen. Ein Problem sind zudem die gestiegenen Kosten, etwa beim Treibstoff.

Was bedeutet das für die Ticketpreise?

Peter Gerber: Ich gehe davon aus, dass Fliegen teurer wird. Die Kerosinkosten steigen, aber auch die Infrastrukturkosten werden höher, weil etwa die Flugsicherungen höhere Kosten weitergeben.

Peter Gerber ist Vorstandsvorsitzender von Brussels Airlines und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).
Peter Gerber ist Vorstandsvorsitzender von Brussels Airlines und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). © imago images/Belga | DIRK WAEM via www.imago-images.de

Wie viel teurer wird es?

Peter Gerber: Das kann niemand genau sagen, die Preise ändern sich stetig. In kaum einer anderen Branche gibt es einen so intensiven Wettbewerb und damit auch dynamische und schnelle Auswirkung auf die Preise.. Aber jeder kann sich ausrechnen: Treibstoff ist neben Personalkosten und den Gebühren der größte Posten für die Fluggesellschaften.

Auf der anderen Seite gibt es immer noch Flüge für 20 Euro von Deutschland nach Mallorca. Wie passt das zusammen?

Peter Gerber: Gar nicht. Als seriösere Branchenvertreter stören uns solche Lockangebote, weil sie das Gesamtbild verzerren. Es sind nur sehr wenige Tickets, die für diesen Preis verkauft werden. Auch bei Billigfluggesellschaften liegen die Erlöse im Schnitt über 80 Euro pro Passagier und auch andere haben Preiserhöhungen angekündigt.

Wird die Inflation das Geschäftsmodell von Billigfliegern befeuern?

Peter Gerber: Das kommt auch auf die Art der Nachfrage an. Wer nach Amerika will, kommt dort mit dem Billigflieger nicht hin. Bezieht man den bei den sogenannten Billigfliegern alle Kosten, also etwa für Gepäck und Sitzreservierungen, mit ein, dann sind die Preisunterschiede zu den anderen Airlines oft nicht hoch. Der Preisdruck wird aber auf die ganze Branche groß sein.

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Rechnen Sie damit, dass der Geschäftsverkehr zurückkommt?

Peter Gerber: Für die Zeit nach Ostern liegen wir teilweise bereits wieder bei 75 Prozent des Vorkrisenniveaus. Die Firmen sind wieder bereit, zu reisen. Angefangen hat es mit den Parlamentariern, dann mit den NGOs, später kamen die kleinen Firmen und die Berater hinzu und nun kommen auch die großen Firmen. Wenn alles stabil bleibt, werden wir schon im Mai und Juni wieder auf einem ordentlichem Niveau sein.

Während der Pandemie haben viele kurzfristig gebucht. Gibt es weiterhin einen Ansturm auf „Last Minute“?

Peter Gerber: Der Trend ändert sich gerade wieder in Richtung längerer Planung. Derzeit sehen wir eine Tendenz, dass die Kunden bereits für den Sommer und auch für den Winter buchen. Andere buchen nach wie vor ganz kurzfristig. Wer jetzt schon längerfristig bucht, kommt womöglich in den Genuss günstigerer Preise, gerade mit Blick auf mögliche Preiserhöhungen.

Lohnt es sich für Fluggesellschaften, in anderen Ländern als in Deutschland Kerosin zu tanken?

Peter Gerber: Nein, der Preis ist weltweit im Wesentlichen gleichhoch. Wir haben derzeit das Problem, dass viele Raffinerien entweder Diesel oder Flugzeug-Treibstoff herstellen. Wenn sie wie zuletzt bessere Marktchancen im Automobilverkehr sehen, stellen sie auf Diesel um. Das erhöht den Nachfragedruck.

Eine wichtige Raffinerie steht in Schwedt in der Uckermark, sie gehört zu Rosneft und versorgt die Region Berlin-Brandenburg. Stehen am Hauptstadtflughafen BER die Flugzeuge still, sollte es zu einem Einfuhrstopp russischer Energie kommen?

Peter Gerber: Ich gehe derzeit nicht davon aus, dass ein vollständiger Stillstand realistisch ist. Auf der anderen Seite ist zuletzt einiges eingetreten, was lange als unvorstellbar galt, daher sollte man nichts ausschließen. Wichtig ist es, Alternativen zu erarbeiten. Für die meisten Flughäfen ist es möglich, den Sprit auch anders zu bekommen, etwa per Schiff – oder wenn alle Stricke reißen per Lkws.

Wie schwer würde ein Energieembargo die Luftverkehrswirtschaft treffen?

Peter Gerber: Wir würden Einschränkungen erleben und höhere Preise. Schon heute kommt aber das meiste Öl, das die Branche nutzt, in den Nordseehäfen an. Zu großen Ausfällen sollte ein Embargo daher nicht führen. Wichtig ist, dass wir die strategische Bedeutung der Luftfahrt erhalten.

Was meinen Sie damit?

Peter Gerber: Wenn Europa langfristig eine Rolle in der Welt spielen soll, müssen wir unsere strategischen Stärken sichern. Wir haben schmerzlich lernen müssen, dass es ohne eine militärische Stärke nicht geht. Bei der Energie- und Rohstoffversorgung dürfen wir in Zukunft nicht mehr von fragwürdigen Systemen abhängig sein. Europa mit seiner Wirtschaftskraft braucht eine Verbindung zur Welt – und die liefert das Fliegen. Wir sollten aufpassen, dass wir uns nicht in eine ähnliche Lage wie beim Militär oder der Energieversorgung manövrieren.

Droht diese Gefahr?

Peter Gerber: Wir sehen, dass Fluggesellschaften aus den USA oder auch dem Nahen und Fernen Osten teils besser aus der Pandemie gekommen sind, weil sie üppige Hilfen erhalten haben. Zugleich müssen wir beim Erreichen der Klimaziele darauf achten, dass wir es klug anstellen. Um es klar zu sagen: Wir stehen zu unseren Zielen und wollen 2050 klimaneutral sein. Wir müssen aber aufpassen, dass wir durch eine schlechte Ausgestaltung von Klimaschutzauflagen nicht das größte Konjunkturprogramm für die Fluggesellschaften im Nahen Osten etablieren und uns selbst schwächen.

Was schlagen Sie vor?

Peter Gerber: Ein wesentlicher Punkt ist die Beimischung von nachhaltigen Flugtreibstoffen, die die EU in Zukunft vorschreibt. Wir unterstützen schon das Prinzip. Wir brauchen aber ein Modell, bei dem die Mehrkosten für nachhaltiges Kerosin ausgeglichen werden. Ansonsten verlagern sich Verkehrsströme auf Drehkreuze außerhalb der EU, wo diese Kosten nicht anfallen und Flugtickets dann günstiger sind, etwa Istanbul. Wir schlagen daher eine endzielabhängige Abgabe vor, die für alle gleich gilt, unabhängig über welche Route das Ziel erreicht wird. Damit könnten die Mehrkosten für nachhaltige Flugtreibstoffe fair finanziert werden, ohne dass Airlines von außerhalb der EU erhebliche Wettbewerbsvorteile erhalten. Alternativ könnten wir die Beimischung von nachhaltigem Kerosin zunächst auf die EU beschränken, dafür aber ambitionierter vorgehen, um insgesamt das gleiche Level an Klimaschutz zu erreichen. Die Vorgaben könnten dann in Zukunft ausgeweitet werden auf Flüge in Länder, die vergleichbare Klimaschutzauflagen haben und somit faire Wettbewerbsbedingungen bieten.

In der Corona-Krise haben Flughäfen und Airlines Stellen abgebaut. Wie groß ist der Personalmangel?

Peter Gerber: Wir tun bereits das Maximale, um auf Personalengpässe zu reagieren, versuchen Beschäftigte anzuwerben, entzerren Spitzen, setzen auf Automatisierung. Aber alles in allem hat die Branche derzeit zu wenig Leute. Das lässt sich nicht einfach beheben. Viele ehemalige Beschäftigte sind in anderen Branchen wie der Logistik untergekommen und bleiben dort. Zugleich sind die Sicherheitsanforderungen im Flugverkehr hoch, die Zuverlässigkeitsüberprüfungen dauern aber sehr lange.

Betrifft das auch die Piloten?

Peter Gerber: Bei Piloten haben wir derzeit keinen Engpass – was nicht heißt, dass sich das nicht ändern kann. Ich habe es in der Branche eigentlich noch nie erlebt, dass wir genau die richtige Anzahl von Piloten haben.

Während der Pandemie gab es massive Kritik, weil etwa die Lufthansa trotz gültiger Verträge die Pilotenausbildung abgebrochen hat. Wie stehen Sie zu dem Vorgehen?

Peter Gerber: Aus der persönlichen Sicht kann ich es sehr gut nachvollziehen, dass jemand, der eine Lebensentscheidung getroffen hat, enttäuscht ist, wenn so etwas passiert. Aber wäre etwas anderes möglich gewesen? Auch andere, die lange bei den Firmen beschäftigt waren, haben ihre Jobs verloren. Das sollte man nicht vergessen.

Muss die Ausbildung insgesamt überarbeitet werden? Derzeit kostet sie teils mehr als 100.000 Euro. Oder will man keine Anwärter aus niedrigen Einkommensverhältnissen?

Peter Gerber: Es ist unser Interesse, aus allen Bereichen die besten Piloten zu bekommen. Die Situation wird sich durch Angebot und Nachfrage regeln. Es ist mit Zuschüssen in der Regel auch finanzierbar. In anderen Ausbildungsberufen müssen die Kosten auch getragen werden.

Wird das Lohngefüge in der Branche höher werden, um ehemalige Beschäftigte zur Rückkehr zu bewegen?

Peter Gerber: Wir bemühen uns, Beschäftigte zurückzuholen. Es kann natürlich sein, dass man teilweise mehr bezahlen muss. Ob das aber langfristig zu einem deutlich höheren Lohngefüge führen wird, muss man sehen. Wenn man derzeit versucht, Leute zu bekommen, dann häufig über Prämien. Es ist eine gewisse Tragik: Es war nötig, das Personal anzupassen, ansonsten hätten die Firmen die Pandemie nicht überlebt. Wir sind dankbar, dass die Bundesregierung mit dem Kurzarbeitergeld geholfen hat. So wurde verhindert, dass es noch schlimmer gekommen ist.

Neben der Kurzarbeit gab es unter anderem den Rettungsschirm WSF, unter den die Lufthansa geschlüpft ist. Wie zufrieden waren Sie mit den Hilfen?

Peter Gerber: Wir sind sehr dankbar, dass der deutsche Staat einen Konkurs der allermeisten Fluggesellschaften verhindert hat. Gerade beim WSF hat aber auch der Steuerzahler ein sehr gutes Geschäft in sehr kurzer Zeit gemacht – immerhin wird der Staat mehr als eine Milliarde Euro durch die Lufthansa-Rettung verdienen. Man darf nicht vergessen: Ein Teil dieses Gewinns ist auf dem Rücken der Mitarbeiter erbracht worden. Die haben verzichtet, die haben gezahlt. In Zukunft wird man sicher über die Struktur der Hilfen sprechen müssen.

Was meinen Sie damit?

Peter Gerber: Viele Regeln sind teilweise bürokratisch, da sie auf die Bankenrettung zurückgehen. Wir dürfen aber nicht europa- oder deutschlandzentriert denken. In den USA gab es echte Hilfen, ebenso im Nahen und Fernen Osten. Die Europäer mussten aber alles zurückzahlen.

Bei Steuergeschenken ist der Weg nicht mehr weit zurück zur verstaatlichten Fluggesellschaft.

Peter Gerber: Wir wollen keine Verstaatlichung. Aber es kann nicht im Sinne Europas sein, wenn wir uns Wettbewerbsnachteile schaffen. Vor der Pandemie gehörten die großen europäischen Gesellschaften Lufthansa, IAG und Air France-KLM zu den Marktführern. Ob sie dazu zurückfinden können, wird man sehen müssen. Und das liegt nicht an den hiesigen Fluggesellschaften.

Sind die Maschinen technisch ok, nachdem sie lange standen?

Peter Gerber: Bei Sicherheit gibt es keine Kompromisse. Die Maschinen sind alle wieder fit gemacht.

Lufthansa-CEO Carsten Spohr hat bereits vor Flugausfällen gewarnt. Wird es dazu kommen?

Peter Gerber: Wir versuchen, Flugausfälle zu verhindern. Aber viele Dinge liegen gar nicht in der Macht der Fluggesellschaften oder der Flughäfen. Dann gibt es auf einmal fehlende Verfügbarkeiten bei den Fluglotsen oder bei der Sicherheitskontrolle. Derzeit gibt es Engpässe bei der Abfertigung. In der Leistungskette sind viele beteiligt. Fehlen Teile der Kette, kann es zu Ausfällen kommen. Es war richtig und ehrlich, dass Carsten Spohr vor Problemen gewarnt hat.

Ist das Personal der Branche derzeit von Corona-Erkrankungen stark betroffen?

Peter Gerber: Es gibt noch Erkrankungen, aber derzeit führt es nicht zu Problemen in der Flugdurchführung. In Großbritannien gab es in der vergangenen Woche Probleme wegen Personalausfällen, das war allerdings die Grippe und nicht Corona.

Sind während der zwei Jahre Pandemie viele Beschäftigte und Reisende beim Fliegen erkrankt?

Peter Gerber: Die Flieger waren und sind fast immer coronafrei. Das beste Belüftungssystem, das man haben kann, ist in Flugzeugen verbaut. Die Ansteckungsgefahr im Flugzeug beim Tragen einer Maske ist ungefähr so hoch wie ein 6er im Lotto – 1 zu 17 Millionen.

Sollte die Maskenpflicht in Flugzeugen erhalten bleiben?

Peter Gerber: Nein. Wenn anderswo keine Masken gebraucht werden, dann ist es ja geradezu widersinnig, wenn im Flugzeug, wo die Belüftung am besten ist, Masken getragen werden müssen.

Bei Ihrem Lotto-Vergleich haben Sie aber auf das Maskentragen verwiesen.

Peter Gerber: An der Haltestelle und am Flughafen steht man ohne Maske nebeneinander und dann zieht man im Flugzeug, wo der Schutz höher ist, die Maske an – das macht keinen Sinn.

Wie groß sind die Nachholpotenziale bei Langstreckenflügen?

Peter Gerber: Als es wieder los ging mit Flügen über den Nordatlantik war die Nachfrage sehr groß, dann gab es mit Aufkommen von Omikron einen Dämpfer. Jetzt aber ist die Nachfrage wieder sehr hoch, es gibt Nachholpotenzial. Auch zu Destinationen wie Singapur, Bangkok und Indien gibt es Potenzial, das ist verglichen mit Amerika aber geringer. Für uns ist es schmerzlich, dass Japan und China noch nicht funktionieren, die zu Normalzeiten etwa zehn Prozent des Marktes ausmachen.

Wird sich die Fusionswelle unter Fluggesellschaften fortsetzen?

Peter Gerber: In Europa gibt es noch eine übersichtliche Anzahl an Kandidaten. Wir sehen eine Welt aus zwei großen Systemen: Air France-KLM, IAG und die Lufthansa Gruppe auf der einen Seite und die Billigflieger Ryanair und Easyjet auf der anderen. Kleinere Gesellschaften schauen sich um, etwa ITA, TAP oder SAS. Da könnte man sich vorstellen, dass sich diese Gesellschaften umschauen. International sind die rechtlichen Rahmenbedingungen so, dass man nirgendwo einen beherrschenden Anteil einer Fluggesellschaft erwerben kann, wenn man nicht Bürger des Landes ist. In den USA etwa kann man als Europäer nur 24,9 Prozent einer Fluggesellschaft erwerben. Große Fusionswellen sehe ich daher nicht.