Hamburg. Hamburger Gewürzfirma soll eigenständiges Unternehmen bleiben. Das Gründerpaar Lemcke verrät exklusiv im Abendblatt seine Pläne.
Es war ein ungewöhnlicher Schritt, als Anne und Stefan Lemcke sich im vergangenen Sommer Abstand vom Alltagsgeschäft in ihrem Gewürzunternehmen Ankerkraut verordneten und für ein Jahr mit der ganzen Familie nach Mallorca zogen. Jetzt zeigt sich, dass das erfolgreiche Unternehmerpaar diese Zeit auch für eine strategische Neuausrichtung genutzt hat. Um weiter zu expandieren, haben sie jetzt den Lebensmittelkonzern Nestlé als Mehrheitseigner an Bord geholt.
„Wir sind unglaublich stolz auf das, was wir geschafft haben. Aber um Ankerkraut auf die nächste Stufe zu heben, brauchen wir Unterstützung“, sagen Stefan (44) und Anne Lemcke (42) im Exklusiv-Interview mit dem Abendblatt. „Wir sind sicher, dass wir mit Nestlé einen starken Partner gefunden haben. Das ist ein Ritterschlag für uns.“
Nestlé übernimmt Ankerkraut: Überraschung auch für Mitarbeiter
Und es ist erneut ein Überraschungscoup. Auch die Mitarbeiter in Hamburg erfuhren erst am Mittwoch von den Plänen – per Video. Die Familie macht gerade Osterurlaub in Namibia. Mit der Neuordnung im Gesellschafterkreis verschieben sich die Machtverhältnisse. Die Schweizer übernehmen nicht nur die Anteilspakete der bisherigen Investoren in Höhe von etwa 30 Prozent, auch Anne und Stefan Lemcke verkaufen weitere eigene Anteile.
„Ankerkraut ist weiterhin ein eigenständiges Unternehmen und wird nicht in den Konzern integriert“, betont Stefan Lemcke. Die Gründer, bislang maßgeblich für den Erfolgskurs der Gewürzmanufaktur verantwortlich, bleiben Gesellschafter „mit einem relevanten Anteil“ und fungieren künftig als Markenbotschafter. „Wir haben in Zukunft mehr Zeit, an der Entwicklung der Marke mitzuarbeiten, uns um unsere Beschäftigen und die Unternehmenskultur zu kümmern“, sagt Anne Lemcke. Das operative Geschäft werde weiterhin von den Geschäftsführer Timo Haas und Alexander Schwoch geführt, die ebenfalls Anteile verkauft haben.
Ankerkraut wurde durch „Die Höhle der Löwen“ bekannt
Ankerkraut hat seit der Gründung 2013 einen rasanten Wachstumskurs vorzuweisen. Bundesweit bekannt wurde das Unternehmen 2016 mit einem Auftritt in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“. Inzwischen ist das Sortiment auf mehr als 500 Gewürze, Mischungen und Tees angewachsen. Längst gibt es die charakteristischen Korkengläser mit Preisen ab fünf Euro nicht mehr nur im Netz, sondern auch in mehr als 6000 Geschäften in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in fünf eigenen Läden.
2021 lag der Umsatz bei 40 Millionen Euro. Für dieses Jahr peilt Ankerkraut Erlöse in Höhe von 52 Millionen Euro an. Inzwischen beschäftigt das Unternehmen 250 Angestellte. Im Sommer soll der Bau einer neuen Firmenzentrale in Winsen/Luhe mit deutlichen Kapazitätserweiterungen starten. Investitionsvolumen: 13 Millionen Euro.
"Bei bestimmten Themen fehlt die Kraft"
„Wir haben gemerkt, dass uns bei bestimmten Themen die Kraft fehlt“, sagt Stefan Lemcke. Bereits im vergangenen Sommer hätten sie begonnen, sich nach einem neuen Partner umzusehen und Gespräche mit mehreren Unternehmen geführt. Schon 2020 hatten die Gründer ein großes Anteilspaket an den Finanzinvestor EMZ Partners verkauft – und waren mit Anfang 40 Multimillionäre geworden. Zwei Jahre später steigen jetzt alle bisherigen Investoren mit Gewinnen aus, darunter auch die Start-up-Schmiede Freigeist Capital des ehemaligen Höhle-der-Löwen-Investor Frank Thelen. Über den Kaufpreis und die neue Anteilsverteilung ist Stillschweigen vereinbart worden. Rechtlich soll das Geschäft im Juni abgeschlossen sein.
„Uns geht es weniger um die Anteile“, sagt Stefan Lemcke und spricht von einem langwierigen Entscheidungsprozess auch in Hinblick auf den Nahrungsmittelhersteller und seine globalen Geschäfte, für die dieser immer wieder in der Kritik steht (s.u.). „Wir haben es uns nicht leicht gemacht“, sagt der Sohn von Entwicklungshelfern, der in Tansania aufgewachsen ist. Die Gesprächspartner bei Nestlé hätten sie offen, kritikfähig und kompetent erlebt. „Es ist ein Unternehmen, das nicht nur viel Wissen in den Bereichen Produktion und Vertrieb hat, sondern auch unsere Leidenschaft für Lebensmittel teilt“, sagt Anne Lemcke. „Für uns ist es ein unglaubliches Kompliment, dass wir gemeinsam mit so einem großen Konzern an unserer Vision von Ankerkraut arbeiten.“
Just Spices an US-Konzern Kraft Heinz verkauft
Dass die Hamburger dabei auch eine Menge in die Waagschale legen, zeigt die Entwicklung auf dem Gewürzmarkt der vergangenen Jahre. Nachdem die Branche mit einigen wenigen großen Unternehmen wie dem Marktführer Fuchs lange als angestaubt galt, haben Start-ups wie Ankerkraut aus Hamburg oder Just Spices aus Düsseldorf für frischen Wind gesorgt – und die Umsätze steigen lassen, die durch die pandemiebedingte neue Lust am Kochen noch verstärkt wurden. Das weckt Begehrlichkeiten.
Ende 2021 wurde Just Spices mehrheitlich an den US-Konzern Kraft Heinz verkauft. Die Verkaufssumme ist unbekannt. Experten gehen von einer Bewertung 300 Millionen Euro aus. „Wir sind beide davon überzeugt, viel voneinander lernen zu können und das Beste aus zwei Welten zusammenzubringen“, freut sich auch Nestlé-Deutschlandchef Marc Boersch. „Etwa, wie Marken aufgebaut werden, Trends aufgegriffen werden, Innovationen entstehen oder wie ein Portfolio erfolgreich wachsen kann. Ankerkraut mit seiner starken Omnichannel-Präsenz ergänzt uns sehr gut.“
Ankerkraut-Gründer wollen Mitarbeitern danken
Über konkrete Schritte für die Zukunft von Ankerkraut wollten Stefan und Anne Lemcke sich im Moment nicht äußern. Es liegt nahe, dass die Hamburger mit dem starken Partner jetzt auch international durchstarten wollen. Persönlich hat das Unternehmerpaar allerdings einige konkrete Pläne.
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„Wir wollen uns bei unseren Mitarbeitern bedanken, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre“, sagt Anne Lemcke. Dabei gehe es nicht nur um Worte, sondern auch um eine Erfolgsprämie. Geplant ist zudem die Gründung einer Stiftung, die sich weltweit in sozialen und gesellschaftlichen Fragen engagieren soll. Als nächstes Projekt steht im Sommer aber erstmal die Rückkehr nach Deutschland auf der Agenda. Eine neue Wohnung in Hamburg ist schon gemietet.
Nestlé übernimmt Ankerkraut – ein Konzern in der Kritik
Nesquik, Vittel, Maggi oder KitKat – unter dem Dach des größten Lebensmittelherstellers der Welt versammeln sich tausende Marken. Das Unternehmen mit Sitz im schweizerischen Vevey hat 2021 einen Umsatz von 87,1 Milliarden Schweizer Franken erwirtschaftet – ein Plus von 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Deutschlandsitz ist in Frankfurt. In Hamburg gehört das Chocoladen-Werk in Wandsbek zu Nestlé.
Der Konzern steht immer wieder in der Kritik. Dabei geht es um Vorwürfe wie die Abrodung des Regenwalds, Ausbeutung von Wasserressourcen, umweltschädliche Kaffeekapseln, ungesunde Babynahrung oder wie jüngst Geschäfte mit Russland während des Ukraine-Kriegs. Es gab viele Boykott-Aufrufe, gegen die Nestlé sich teilweise auch juristisch gewehrt hat.