Hamburg. Geschäftsführer Tobias Schulz über gestiegene Kosten, Pläne für neue Filialen in Hamburg und das erhoffte Aus für Warteschlangen.

Das Logo der Bäckerei Junge in der Rahlstedter Filiale besteht aus unzähligen Schrauben. Es war eine Menge Arbeit für die Handwerker, als die Lübecker Traditionsfirma das Geschäft vor vier Jahren eröffnete. Der Grund für die Schrauben-Silhouette: Man bemühe sich stets, die Umgebung in die Gestaltung der Läden mit einzubinden, sagt Tobias Schulz, der Geschäftsführer der Kette. Und die Filiale liegt direkt neben dem Hagebaumarkt Möller & Förster an der Bargteheider Straße.

Im Abendblatt-Interview spricht der 54 Jahre alte gelernte Einzelhandelskaufmann, der seit 30 Jahren im Unternehmen und mittlerweile auch Mitgesellschafter ist, dann über die Ukraine-Krise, steigende Preise und die Pläne für Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Herr Schulz, gibt es wegen des Krieges in der Ukraine Engpässe an wichtigen Zutaten wie Mehl oder Öl?

Tobias Schulz: Engpässe bei Lebensmitteln gibt es noch nicht, aber sie werden zeitversetzt kommen. In der Regel decken wir uns für rund ein halbes Jahr ein, fast nur aus der Region. Aber wir hängen natürlich vom Weltmarkt ab. Derzeit gibt es wahnsinnige Preisanstiege: Sonnenblumenkerne sind um 100 Prozent teurer geworden, Mehle 15 bis 25 Prozent. Der Weizenpreis war noch nie so hoch wie derzeit. Heute kostet die Tonne 400 Euro, in der Spitze lag er in der Vergangenheit mal bei 200 Euro. Das war aber die Ausnahme. In der Regel belief sich der Weizenpreis auf 100 bis 120 Euro je Tonne. Milchpreise gehen durch die Decke, weil es keine Futtermittel gibt. Wir überlegen, zumindest für Öle und Saaten wieder ein eigenes, großes Lager zu unterhalten, weil regelmäßige Lieferungen immer schwieriger zu bekommen sind. Es gibt kein Saatgut, weil viel davon aus der Ukraine stammt. Es wird noch viel schlimmer kommen, weil Ernten jetzt nicht ausgebracht werden können. In China gab es eine starke Regen-, in den USA eine starke Trockenperiode. Die Erntemengen fallen. Das schlägt sich auf dem Weltmarkt nieder. Die Preise steigen. Insbesondere für Länder in der Dritten Welt wird es katastrophal werden, weil sie sich Lebensmittel wie Getreide nicht mehr leisten können.

Inflation: Bäckerei Junge erhöht Preise

Die Inflation ist allgegenwärtig – wie stark wird Junge die Preise erhöhen?

Schulz: Wir werden Ende April im Schnitt die Preise um vier bis fünf Prozent anheben. Dabei spielen auch stark gestiegene Preise für Energie, Verpackungen und Plastik eine Rolle. Zudem steigt der Mindestlohn, der das ganze Lohngefüge nach oben drückt. Ich finde den Eingriff des Staates in die Tarifautonomie falsch, weil das die Aufgabe der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände ist. Generell ist der Kostendruck immens, auch durch weitere Vorgaben aus der Politik wie Datenschutzgrundverordnung oder Lieferkettengesetz – oder den Nachhaltigkeitsbericht. Jedes Unternehmen ab 250 Mitarbeitern muss diesen schreiben. Da ist man schnell bei 50.000 bis 60.000 Euro.

Der Bauernverband warnte, dass ein Brot bald zehn Euro kosten könnte ...

Schulz: Das sehe ich nicht. Aber: Die Preisschere zwischen Industrieware, wie sie im Supermarkt und bei Discountern angeboten wird, und im Handwerksbetrieb wird weiter auseinander gehen. Bei uns werden Brot und Brötchen im Gegensatz zur Industrie mit viel Handarbeit hergestellt. In den Filialen nehmen Menschen die Bestellung auf, packen die Ware ein und händigen sie aus – so einen Service gibt es im Supermarkt nicht. Die Menschen werden sich überlegen, kann und will ich mir den Artikel noch leisten.

Schlechte Aussichten für Bäckereien

Das hört sich für Ihr Unternehmen nicht gut an …

Schulz: Stimmt, das hört sich nicht gut für uns an. Wir machen uns große Gedanken, wie wir einen Mittelweg finden können: Auf der einen Seite müssen wir die Preise anheben. Aber es darf nicht zu viel sein, damit wir nicht zu viele Kunden an den Handel verlieren. Die Lage ist dramatisch. Ich glaube, dass es vielen Bäckereien dauerhaft nicht gut gehen wird. Auf dem Hamburger Markt kam Dat Backhus gerade aus einer Insolvenz, von Allwörden ist an Edeka verkauft worden. Neben uns gibt es noch die Braaker Mühle, ansonsten ist der Markt eher kleinteilig. Wer eine Nische findet, für den ist es okay. Ansonsten werden es für viele Betriebe schwierige Jahre werden.

Sie sprachen die Von-Allwörden-Übernahme durch Edeka an. Befürchten Sie Schwierigkeiten durch den noch stärkeren Einstieg von Deutschlands größtem Lebensmittelhändler in den Markt für Backwaren?

Schulz: Nein. Edeka ist mit den Marken Schäfer‘s und Dallmeyers Backhus seit vielen Jahren in dem Markt aktiv. Von Allwörden hat mit seinen 580 Filialen auch viele Standorte in Bahnhöfen oder bei Rewe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Edeka außerhalb der eigenen Märkte dauerhaft auftreten wird. Das Geschäft auf der Straße ist schwierig, es ist ein ganz anderes Geschäftsmodell. Und Rewe wird sicherlich nicht sehr amüsiert sein, ständig einen Mitbewerber im Haus zu haben. Es wird viele Veränderungen geben, interessante Standorte könnten frei werden.

Umsatz in Bahnhöfen zurückgegangen

In der Vergangenheit sind Sie in Hamburg stark gewachsen. Bleibt es dabei?

Schulz: Corona hat den Markt deutlich verändert. Der Umsatz in Einkaufsstraßen und -zentren sowie an Bahnhöfen ist deutlich zurückgegangen und wird auch nicht voll zurückkommen. Filialen, die mit dem Auto angesteuert werden können, legten deutlich zu. Solche Standorte sind für uns attraktiv. Allerdings sind sie wegen der hohen Grundstückspreise in Hamburg auch schwierig zu bekommen. Die Verkaufsregion Hamburg, die für uns von Ahrensburg über Elmshorn, Buxtehude bis Lüneburg und Glinde reicht und derzeit 73 Filialen umfasst, soll für uns aber eine Wachstumsregion bleiben. Im Mai eröffnen wir in den Meiendorfer Höfen ein Geschäft in einem Neubau. Wir werden auch in Bönningstedt und Uetersen neue Filialen und Anfang 2023 in Itzehoe nach Planungsverzögerungen unsere zweite Drive-in-Filiale eröffnen.

Wie ist das zweite Corona-Jahr für Junge gelaufen?

Schulz: Wir haben im Jahr 2021 170 Millionen Euro Umsatz erzielt, inklusive zwei Millionen Euro Staatshilfen. Dank eines guten Sommers an den Küstenstandorten konnten wir einen sehr guten Saisonumsatz erzielen. Geplant waren einst allerdings 200 Millionen Euro Umsatz. Unterm Strich haben wir einen leichten Gewinn gemacht – allerdings nur, weil wir bei Investitionen zum Beispiel in die Modernisierung unserer Filialen kräftig gespart haben.

Brot im Onlineshop bestellen

Wird es dennoch für Kunden Neues geben?

Wir werden unseren Onlineshop deutlich ausbauen. Schon heute kann man bis 14 Uhr online bestellen und bezahlen, muss sich dann beim Abholen am Folgetag aber in der Warteschlange anstellen. Ab Ende Mai soll das anders sein. Kunden können kurzfristig Produkte in allen Filialen bestellen. In den Geschäften gibt es am Tresen Abholregale. Nach der Bestellung zum gewünschten Zeitpunkt erhalten Kunden eine Nummer und greifen sich die entsprechende Tüte aus dem Regal – das Schlangestehen ist passé. Alternativ kann man sich an einen Tisch im Café setzen, die Bestellung übers Handy aufgeben und dort warten, bis die gewünschten Brötchen, Brot und Kuchen eingepackt sind. Dafür zuständig sein wird derjenige Mitarbeiter, der an dem Tag die Brötchen backt oder belegt, nicht der eingeteilte Verkäufer. Dann erhält man eine SMS und geht zum Abholregal. Außerdem wollen wir den Tag über verschiedene Tüten mit Produkten anbieten, die unserem Frischequalitätsanspruch nicht mehr entsprechen, aber grundsätzlich noch in Ordnung sind – und ansonsten weggeworfen würden. Mittags werden es vor allem belegte Snacks sein, im Laufe des Tages kommen Brötchen, Brote und Kuchen hinzu. Der Warenwert wird um die zehn Euro liegen, der Preis für die Tüte aber nur zwischen 3,95 und 4,50 Euro.

Junge ist gerade 125 Jahre alt geworden. Planen Sie besondere Aktionen?

Schulz: Wir werden eine Roadshow machen und in jedem Geschäft mit den Kunden feiern. Es wird an diesen Tagen vor Ort Rabatte geben. Wer das Glücksrad erfolgreich dreht, kriegt kleine Geschenke. Zudem wird es zwei neue Produkte geben: ein Hanse-Dinkel-Brötchen und das rustikale Bauernbrot 1897 – passend zu unserem Gründungsjahr.

Am 1. April 1897wurde die Dampfbäckerei Hansa J. C. D. Junge & Co. von Johannes Junge in Lübeck gegründet. Pferdefuhrwerke lieferten die Ware bald bis nach Wismar, Kiel und Hamburg. Die erste Hamburger Filiale wurde 1986 an der Mönckebergstraße eröffnet. Seitdem expandierte die lange von Axel Junge in vierter Generation geleitete Familienfirma kräftig. Heute gibt es 208 Filialen in sechs Bundesländern im Norden Deutschlands, davon 73 in der Vertriebsregion Hamburg. 4200 Beschäftigte arbeiten für die Kette. Axel Junge ist seit 2021 Beiratsvorsitzender, Reiner Küster und Tobias Schulz sind als Geschäftsführer tätig.