Hamburg. Nicht nur Lieferkettenprobleme dürften sich verschärfen. Der Lockdown trifft auch Hamburger Unternehmen anderer Sektoren.
Mehr als acht Millionen Menschen wurden allein am ersten Tag des Lockdowns in Shanghai auf das Coronavirus getestet. Seit Montag gilt im Osten und Süden der 26 Millionen Einwohner zählenden Küstenstadt eine viertägige Ausgangssperre. Am Freitag wechselt der Lockdown auf die anderen Stadtgebiete. Mit der leicht übertragbaren Omikron-Variante erlebt China die schlimmste Corona-Welle seit Beginn der Pandemie.
Zwar wurden in dem Riesenreich am Montag nur knapp 7000 Neuinfektionen – der Großteil symptomfrei – gemeldet, aber die Regierung verfolgt eine Null-Covid-Strategie. Und weil Shanghai für mehr als die Hälfte der Fälle verantwortlich war, ruht dort nun tagelang das öffentliche Leben.
Hamburger Hafen und Shanghai haben enge Verflechtung
Bei per Luftlinie rund 8500 Kilometer Entfernung könnte man das aus Hamburger Sicht gelassen sehen. Aber zum einen haben die Hansestadt an der Elbe und die Handelsmetropole am Jangtsekiang traditionell eine enge Verflechtung. Mehr als 90 Hamburger Firmen unterhalten offizielle Präsenzen in Shanghai. Und zum anderen ist der Containerhafen der ostchinesischen Stadt der größte der Welt. 47 Millionen Boxen wurden dort im vergangenen Jahr umgeschlagen. Die Lieferketten in der globalisierten Welt sind ohnehin bereits angespannt – und das dürfte durch die Ausgangssperre nicht besser werden.
„Lockdowns in China sind weltweit spürbar“, sagt HHLA-Sprecher Hans-Jörg Heims. Die konkreten Auswirkungen auf die Hamburger Hafen und Logistik AG seien derzeit zwar noch offen. Für Heims ist aber klar: „Sicherlich werden die Schiffe in den nächsten Wochen nicht pünktlicher ankommen.“ Derzeit kämen sie mit zwei bis vier Wochen Verspätung beim Terminalbetreiber an. Die Probleme für das Unternehmen: Die Slots für die Anlieferung der Container müssen stets an die sich veränderten Ankunftszeiten der Schiffe angepasst werden. Das ist ein hoher Aufwand.
Hamburger Hafen: Verschlechterung der Lieferketten?
Und die Standzeiten für alle vollen Import- und Export-Container nehmen deutlich zu. Die Lagerkapazität sei daher um 25 Prozent erhöht worden. Allein am Terminal Altenwerder wurden Abstellflächen für 8000 zusätzliche Boxen aktiviert. Diese müssten größtenteils maschinell und personalintensiv bearbeitet werden. Aber: „Die HHLA ist ein Umschlagbetrieb und kein Lagerplatz“, sagte Heims. Eine Normalisierung der Lieferketten – sowohl auf den Land- als auch auf dem Seeweg – sei aktuell nicht zu erwarten.
Kurzfristig könnte es sogar zu einer Verschlechterung der Lieferketten kommen, heißt es beim Verein Hafen Hamburg Marketing. Falls es Auswirkungen auf die Hansestadt geben sollte, werde sich dies aber „erst in ein paar Wochen bemerkbar machen“, sagte Sprecher Ralf Johanning. China ist der größte Handelspartner Hamburgs. 2021 gingen 2,561 Millionen Container im Austausch beider Länder über die Kaikanten – mehr als jede vierte Box im Hafen. Verlader und Reeder könnten jedoch auch auf andere chinesische Häfen ausweichen, heißt es.
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An der Nummer eins kommt man so leicht aber nicht vorbei. „Shanghai ist der größte Containerhafen der Welt und entsprechend wichtig für die Linienreedereien. Das gilt selbstverständlich auch für uns“, sagte Tim Seifert, Sprecher von Hapag-Lloyd. Rund 1,4 Millionen Container schlug die Traditionsreederei 2021 in der ostchinesischen Stadt um. Etwa ein Viertel der 126 Dienste läuft Shanghai an. Von Hamburg dorthin bringt die Reederei vor allem Maschinen, Autoteile, chemische Produkte, Elektrotechnik und optische Erzeugnisse.
In der Gegenrichtung werden Datenverarbeitungsgeräte, elektrische Erzeugnisse, Bekleidung, Maschinen und Metallerzeugnisse transportiert. Für Aussagen über Folgen der Ausgangssperre sei es zu früh, so Seifert. „Allerdings sind Lockdowns wie diese meist vergleichsweise kurz – auch um wirtschaftliche Auswirkungen zu minimieren – und nach ein bis zwei Wochen entspannt sich die Situation in der Regel.“
Hamburg Süd erwartet höhere Transportkosten
Laut Medienberichten soll der Tiefwasserhafen zwar offenbleiben, aber es sollen strenge Bewegungsbeschränkungen geben und nicht genehmigte Fahrzeuge von den Straßen verbannt werden. Der Lkw-Verkehr von und nach Shanghai werde sich um etwa 30 Prozent verringern, habe der Reedereikonzern Maersk seinen Kunden mitgeteilte, so die Nachrichtenagentur Reuters. Zudem hätten Lagerhäuser bis Freitag geschlossen. Folglich erwarteten die Experten von Maersk – zu der auch die Tochter Hamburg Süd gehört – längere Lieferzeiten und höhere Transportkosten.
Mit steigenden Frachtraten rechnet auch Analyst Alex Irving vom US-Analysehaus Bernstein Research. Shanghai sei der denkbar sensibelste Ort für die globalen Lieferketten. Eine Normalisierung der Situation 2022 rücke für ihn in weite Ferne. Hapag-Lloyd will sich zu möglicherweise steigenden Frachtraten nicht äußern. Grundsätzlich könne und möchte man nicht darüber spekulieren, so Seifert.
Dem Aktienkurs verhalf der Shanghai-Lockdown in dieser Woche zu einem Rekordhoch von 366,60 Euro. Das ist im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten mehr als das Vierfache. Einschränkungen in der Lieferkette sowie knappe Frachtkapazitäten gelten als Preistreiber für Seefracht – und macht Hapag-Lloyd zu einem Corona-Gewinner.
Beiersdorf vom Lockdown in Shanghai betroffen
Der Lockdown trifft aber auch Hamburger Unternehmen, die nicht im maritimen Sektor tätig sind. Ganze OP-Tage absagen muss der Augenlaserspezialist Euroeyes. 2013 eröffnete das Unternehmen mit Sitz am Valentinskamp die Augenklinik in Shanghai, weitere in China folgten. 2020 mussten die Häuser wegen der Null-Covid-Politik monatelang schließen.
„Aber trotz der Pandemie sind wir weiterhin sehr erfolgreich in China“, sagte Geschäftsführer Markus Braun: „Auch weil unsere Patienten, statt einen Urlaub zu buchen, sich fürs Augenlasern oder Linsen-OPs entschieden haben, hatten wir eine sehr positive Geschäftsentwicklung.“ Er erwartet, nach dem Ende des Lockdowns die Termine schnell nachholen zu können. Und hofft, dass die gut 25 Mitarbeiter vor Ort bald in die Klinik und die Normalität zurückkehren.
Beiersdorf hat in Shanghai ein Werk sowie ein Forschungs- und Innovationszentrum mit insgesamt rund 300 Mitarbeitern. „Wir produzieren dort hauptsächlich für den chinesischen Markt“, sagt eine Sprecherin. Hergestellt würden Produkte zur Gesichts-, Haar- und Körperpflege sowie Deodorant. „Vom 1. bis 4. April wird unser Werk vom Lockdown betroffen sein“, sagte die Sprecherin zu den Planungen in Shanghai. „Aller Voraussicht nach kann das zu Produktionsunterbrechungen führen. Unser lokales Team ist aber darauf gut vorbereitet.“
"Zufahrtswege zum Hafen in Shanghai großteils blockiert"
Seit 2005 ist der Hamburger Schraubenspezialist Reyher in Shanghai mit einer Niederlassung vertreten. 40 Mitarbeiter verantworten das Asien-Pazifik-Geschäft von dort seit Corona aus dem Homeoffice. Der Lockdown treffe sowohl Kunden als auch Lieferanten, der Großteil befände sich aber außerhalb der Stadt. Daher laufe auch die Fertigung zumeist weiter. Allerdings gebe es Probleme auf der Logistikseite. „Die Zufahrtswege zum Hafen in Shanghai sind großteils blockiert, und wir versuchen deshalb auf andere Häfen auszuweichen, wie zum Beispiel Ningbo“, sagt Firmensprecher Axel Hahne.
Ningbo liegt rund 150 Kilometer weiter südlich. Allerdings fehlten den Speditionen auch Lkw-Fahrer. Konsequenz: Es kommt momentan zu größeren Störungen bei Verschiffungen. Eine weitere Herausforderung seien die sich täglich ändernden Bedingungen, wechselnden Lockdown-Gebiete und Veränderungen bei der Dauer der Maßnahmen. Hahne: „Planungssicherheit besteht momentan kaum bis keine.“
Baustellen sind vom Lockdown betroffen
Das Architekturbüro gmp liegt im westlichen Teil der Stadt, der ab Freitag für fünf Tage in den Lockdown geht. Derzeit arbeiten dort 76 Beschäftigte. Das Unternehmen ist seit 2004 in Shanghai. Da es in China immer mal zu Schließungen von Wohnquartieren kam, ist Homeoffice auch dort gelebte Realität.
„Aber es gibt Auswirkungen auf das tägliche Geschäft von gmp, denn auch Baustellen, Behörden und Bauherrn sind von den Mobilitätseinschränkungen betroffen und viele Termine verzögern sich aktuell“, sagt Standortleiterin Magdalena Weiss. Weil die Projekte langfristig angelegt sind, seien kurzfristige Verschiebungen aber verkraftbar. Bei standortübergreifenden Projekten wirke sich die Situation auch auf Teams in Hamburg aus.
Für die Firma Eppendorf ist China ein wichtiger Markt
Für den Laborbedarfshersteller Eppendorf, der 2020 bei Umsatz und Gewinn Bestmarken aufstellte, ist China ein wichtiger Markt. Rund 14 Prozent der Erlöse stammen von dort. Von Shanghai aus werden Vertrieb und Service in dem Land gesteuert. „Damit kommt diesem Standort für den wirtschaftlichen Erfolg von Eppendorf große Bedeutung zu“, sagte Unternehmenssprecher Ralph Esper.
Mehr als 130 der 300 in China tätigen Eppendorf-Beschäftigten arbeiten in der Lockdown-Stadt. Weil viele der Mitarbeiter aus dem Homeoffice arbeiten würden, laufe der Betrieb mit wenigen Einschränkungen weiter. Der Lockdown habe nur dort Auswirkungen, wo „die Servicemitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht mehr in die Labore der Kunden können“, sagt Esper. Da es sich um eine temporäre und lokal eingegrenzte Maßnahme handelt, rechne man aber nicht mit gravierenden, negativen Auswirkungen auf das Geschäft im laufenden Jahr.