Hamburg. Hamburger Unternehmen Ankerkraut entwickelte mit Koch Ryan Riley Mischungen, die Geschmacksverluste mildern sollen.
Aus der Pfanne duftet es sehr pfeffrig, im Topf daneben erwärmt Ryan Riley Cannellini-Bohnen. Das, was der britische Koch gerade in der Versuchsküche des Hamburger Gewürzunternehmens Ankerkraut vorbereitet, ist die Basis für eins seiner neuesten Rezepte. Exotische Cannellini-Parmesan-Suppe nennt er es. Das Besondere: Das Gericht soll nicht nur schmecken und satt machen – es ist auch eine Art Trainingsprogramm für Menschen, die nach einer Covid-19-Infektion unter Geschmacksverlust leiden.
„Der Pfeffer ist als Reizstoff für den Trigeminusnerv wichtig“, sagt der Kochbuchautor und Gründer der gemeinnützigen Organisation „Life Kitchen“. Das ist einer von mehreren Faktoren, das Essen wieder genussvoller machen zu können. In diesem Fall verwendet Riley gleich vier Teelöffel einer speziellen Gewürzmischung, die er mit den Ankerkraut-Gründern Anne und Stefan Lemcke entwickelt hat.
Ankerkraut Box mit drei Gewürzmischungen für knapp 20 Euro
„Taste again“ (Schmecke wieder) heißt das Ergebnis der Kooperation. Postvirale Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns gehören zu den häufigsten Langzeitsymptomen einer Corona-Erkrankung. Die Gewürzbox, deren Zusammensetzung nach eigenen Angaben auf wissenschaftlichen Erkenntnissen von „Life Kitchen“ und der University of London basiert, soll helfen, den Geschmackssinn wiederzubeleben.
Enthalten sind drei Gewürzmischungen: „Exotisches Comeback“ (pfeffrig – unter anderem mit Kubebenpfeffer, Paprika und Zitronensalz), „Würziges Revival“ (rauchig – mit Rauchsalz, Tomatenpulver und Steinpilzpulver) und „Sinnliche Rückkehr“ (süß – mit Rohrzucker, Kardamom und Vanillepulver). Dazu gibt es drei Rezepte, um die Produkte zu testen. Das Set kostet 19,95 Euro und ist online und in Ankerkraut-Läden erhältlich.
Geschmackstraining mit bestimmten Lebensmitteln
„Es ist natürlich nicht so, dass man unsere Gewürze verwendet und dann wieder schmecken kann“, sagt Anne Lemcke. Aber durch die gezielte Auswahl von Lebensmitteln und die Kombination bestimmter Inhaltsstoffe könne man seine Sinne trainieren. Die Zusammenarbeit mit Ryan Riley nennt sie eine Herzensangelegenheit.
„Bei Ankerkraut geht es immer auch um die Liebe zum Essen, um Genuss und Gemeinschaft. All das geht Menschen mit Geschmacksstörungen verloren“, so die erfolgreiche Unternehmerin, deren 2013 gegründete Gewürzmanufaktur inzwischen zweistellige Millionenumsätze erwirtschaftet. Das Projekt soll dabei auch dem guten Zweck dienen. Mit den Gewinnen der limitieren Sonderedition unterstützen die Hamburger die gemeinnützige Arbeit von Life Kitchen.
Umami – der fünfte Geschmackssinn
Ryan Riley hatte die Kochschule im englischen Sunderland 2018 mitgegründet, nachdem seine Mutter nach einer Krebserkrankung nicht mehr schmecken konnte. Ziel ist es, den Betroffenen wieder Freude am Essen zu vermitteln. Im vergangenen Jahr hatte der umtriebige Brite das Kochbuch „Taste & Flavour“ für Menschen mit Geschmacksstörungen veröffentlicht. Wissenschaftlich unterstützt wurde er dabei von Professor Barry Smith, Gründer des Centre for Study of the Senses der University of London.
„Zwiebeln, Knoblauch oder Eier sind ein No-Go, weil die Betroffenen den Geschmack abstoßend finden. Auch der Geschmack von Kaffee oder Fleisch ist problematisch“, sagt Riley. Stattdessen setzt er auf säurehaltige Zutaten und überraschende Kombinationen, etwa aus Schärfe und Kälte, und auch besondere Konsistenz und Textur der Speisen. Wichtig ist auch Umami, ein würziger Geschmack wie er etwa in Parmesan oder Pilzen vorkommt, der als fünfter Geschmackssinn gilt – und als eine Art Stufenleiter für die Geschmacksknospen fungiert.
Ärzte haben keine schnelle Therapie
Zahlreiche Studien belegen inzwischen die postvirale Beeinträchtigung von Riechen und Schmecken durch Corona-Erkrankungen. Oftmals kehren die Sinne nach einigen Wochen von selbst zurück. Jan Dahnke, der als Testesser von Ankerkraut eingeladen wurde, leidet auch zwei Monate nach seiner Covid-Diagnose noch unter massiven Beeinträchtigungen. „Der Geschmacksverlust kam ganz plötzlich, als ich gerade einen Donut gegessen habe. Und total“. Anfangs habe er gar nichts mehr geschmeckt, auch das Riechen war stark eingeschränkt. Inzwischen gebe es bessere Tage. „Aber ich schmecke nur etwas, wenn ich zum Beispiel scharfe Gerichte extrascharf würze“, sagt er.
Der Familienvater hat die Lust am Essen verloren und inzwischen acht Kilo abgenommen. Auch sein Arzt habe ihm nicht helfen können. Bislang ist unklar, wie und bei wem der Geschmackssinn zurückkehrt. Es werden Riech- und Geschmackstrainings angewendet, bei denen die Patienten ihr Geruchsgedächtnis und ihre Geschmackserfahrungen aktivieren sollen.
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Auch „Taste Again“ versteht sich vor allem als Übungsprogramm. Eine Art „kulinarische Physiotherapie“, wie Fernsehkoch und Kochbuchautor Alex Wahi das Projekt nennt. Jan Dahnke nickt, als er als Erster vorsichtig die Cannellini-Parmesan-Suppe von Koch Ryan Riley testet. Probieren kann man es ja.