Hamburg. Die Stadt sucht dringend eine Lösung. Der Plan mit Scharhörn ist vorerst gescheitert. Nun hilft zunächst der Bund. Und dann?
Eigentlich standen die Pläne fest. In der vergangenen Woche wollte Hamburg damit beginnen, Schlick aus der Elbe in der Mündung bei der Vogelschutzinsel Scharhörn zu verklappen. Doch am spätern Donnerstagnachmittag machte der Senat eine Rolle rückwärts.
Jetzt sollen die Sedimente an einen anderen Ort gebracht werden. Was steckt hinter der Kehrtwende? Warum drängt das Problem mit der Verbringung des Schlicks, und wohin soll das Baggergut nun geschüttet werden? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum muss ständig Schlick gebaggert werden?
Sedimente und Schwebstoffe sind natürliche Bestandteile von Gewässern wie der Elbe Sie werden mit dem Strom nach Hamburg gebracht. Zugleich werden bei jeder Flut die Teilchen, die bereits stromabwärts geschwemmt wurden, Richtung Hamburg zurückgedrückt und setzen sich in den Hafenbecken und in der Unterelbe am Grund ab.
Dadurch werden Schiffe, die den Hafen erreichen wollen, in ihren Tiefgängen behindert. Das ist kein einmaliges Problem, sondern der Eintrag von Schlick in der Elbe ist ein steter natürlicher Prozess. Um der Schifffahrt die versprochenen Tiefgänge zu erhalten, muss gebaggert werden.
Von wie vielen Tonnen reden wir?
Jährlich werden fünf bis sieben Millionen Kubikmeter Schlick aus den Hafenbecken und der Elbfahrrinne auf Hamburger Gebiet ausgebaggert, das sind umgerechnet zwei bis 2,8 Millionen Tonnen Trockensubstanz.
Warum hat Hamburg derzeit ein drängendes Problem mit dem Schlick?
Mehrere Gründe haben dazu geführt, dass Hamburg eine neue Lösung zur Verbringung seines Elbschlicks finden muss. Zum einen werden die jährlich anwachsenden Schlickmengen nicht weniger, sondern eher mehr. Denn es kommt weniger Wasser, das die Sedimente wegspülen könnte, den Oberlauf der Elbe herunter. In der Vergangenheit hat Hamburg die Mengen immer ausgebaggert und an der Landesgrenze bei Neßsand wieder in die Elbe gekippt. Von dort aus wurden die Sedimente mit der Flut aber wieder zurück nach Hamburg getragen, sodass sie immer wieder ausgebaggert werden mussten.
Das nennt man Kreislaufbaggerei. Um dagegen anzugehen, hat sich Hamburg 2005 entschlossen, den Baggerkreislauf zu durchbrechen. Ein Vertrag mit Schleswig-Holstein wurde geschlossen, um jenseits der Elbmündung beim Seezeichen Tonne E 3 Baggergut abzuladen. Doch die Mengen, die Hamburg dorthin bringen kann, sind begrenzt. Der Vertrag mit Schleswig-Holstein läuft Ende des Jahres aus.
Zudem müssen dringend Baggermengen, die zusätzlich im Zuge der Elbvertiefung in der so genannten Begegnungsbox – der verbreiterten Fahrrinne für besonders große Schiffe – angefallen sind, weggebracht werden. Die Zeit drängt: bald laichen die Finte. Dann darf in der Elbe gar nicht mehr gebaggert werden.
Warum hat die Wirtschaftsbehörde Scharhörn als Alternative vorgesehen?
Die für das Sedimentmanagement zuständige Hafenbehörde Hamburg Port Authority hat zur zusätzlichen Verklappung der Schlickmengen einen vermeintlich schnell umsetzbaren Plan entwickelt. Sie hat eine Zone im Mündungsgebiet neben der Vogelschutzinsel Scharhörn ausgemacht, die zu Hamburg gehört.
Hier kann die Hansestadt ohne notwendige Zustimmung der Nachbarländer Schlick verklappen. Zudem ist nach Rechtsauffassung des Senats, kein förmliches Zulassungsverfahren nötig, weil die Verklappung noch im Zusammenhang mit der bereits genehmigten Elbvertiefung steht. Insgesamt eine Million Tonnen Baggergut sollten hierhin gebracht werden.
Woran ist der Plan gescheitert?
Neben regierungsinternen Querelen – denn auch die Grünen waren von dem Plan nicht begeistert – hat Hamburg nicht mit dem massiven Widerstand der Nachbarländer gerechnet. Insbesondere in Niedersachsen hatte sich auch in der Landesregierung schnell eine Front gegen das Vorhaben gebildet. Die geplante Verklappungsstelle liegt nämlich in unmittelbarer Nähe zu Naturschutzgebieten und dem Weltnaturerbe Wattenmeer.
In Niedersachsen steht im Spätsommer der Wahlkampf an. Insbesondere an der Küste geht die Angst um, giftiger Schlick könnte sich von der Verklappungsstelle in die Schutzgebiete ausbreiten. Besonders in Cuxhaven fürchtet man sich vor giftigem Schlick auf den eigenen Wattflächen. Die Umweltverbände drohten mit Klagen.
Wie giftig ist der Schlick eigentlich?
Die Hamburger Behörden haben in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass die Belastung der Sedimente gering sei. Der Schadstoffanteil soll nicht höher liegen als beim Baggergut, das an der Tonne E 3 verklappt wird. Hamburg verweist auf mehrere Gutachten, wonach eine Gefahr für Pflanzen und Tierwelt ausgeschlossen sei. Gleichwohl sind die Sedimente mit Schadstoffen wie Schwermetallen belastet, aber laut Behördenangaben weit unter den Grenzwerten. Der Quecksilbergehalt liege im Mittel bei 0,6 statt der zulässigen 10 Milligramm pro Kilo Schlick.
Wohin soll der Schlick jetzt erst einmal gebracht werden?
Aufgrund des erheblichen politischen Widerstands hat Hamburg seine Pläne zur Schlickverbringung nach Scharhörn vorerst gestoppt. Wie die Wirtschaftsbehörde bekanntgab, soll stattdessen in dieser Baggersaison das Schlickdepot Neuer Lüchtergrund an einer anderen Stelle der Elbmündung genutzt werden. Damit hilft der Bund nun zumindest vorübergehend der Stadt. Neuer Lüchtergrund ist nämlich die Stelle, an welcher der Bund die auf seinem Teil der Elbfahrstrecke anfallenden Sedimente verklappen darf.
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Hier will Hamburg 350.000 Tonnen Schlick abladen. Gleichwohl betont der Senat, dass man Scharhörn nicht grundsätzlich ad acta gelegt habe. Die gewonnene Zeit wolle man aber nutzen, um die Nachbarländer doch noch von einem Schlickdepot bei Scharhörn zu überzeugen.
Was sagen die Umweltverbände?
Sie reagieren erleichtert. Es habe sich gelohnt, „hinsichtlich der Betroffenheit des Unesco Weltnaturerbes Wattenmeer gegenüber der Hamburger Wirtschaftsbehörde und Hamburg Port Authority eine dicke rote Linie zu ziehen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Nabu, BUND und WWF.
Wie reagiert die Opposition?
In Cuxhaven wird gejubelt – wenn auch eigentlich über einen Pyrrhussieg: Der neue Lüchtergrund liegt nämlich zehn Kilometer näher an Cuxhavens Küste als Scharhörn. Die oppositionelle CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft sieht das Problem in einer verfehlten Hafenpolitik. „Die Besetzung mit einem parteilosen Senator ohne Hausmacht und der ewige Zank zwischen Rot und Grün in der Wirtschaftspolitik führen unseren Hafen ins Abseits“, sagt der Abgeordnete Götz Wiese.
Wie sehen die langfristigen Perspektiven zur Schlickverklappung aus?
Neben den Abladestellen bei Neßsand und der Tonne E 3 planen Hamburgs Behörden seit Jahren eine weitere Lösung für ihr Problem: die Unterbringung des Baggerguts in der Ausschließlichen Wirtschaftszone. So wird das Meeresgebiet bis zu 200 Seemeilen jenseits der Küste bezeichnet. 1,5 bis 2,5 Millionen Tonnen Schlick könnten in diesen Gewässern weit draußen in der Nordsee verklappt werden. Bisher wurde diese Lösung aber nicht beantragt.