Berlin. Wie wird Deutschland unabhängig von Russlands Gas? Auch hartes Sparen würde bei einem Förderstopp nicht ausreichen, zeigt eine Studie.
Einen großen Teil der Gasimporte aus Russland könnte Deutschland kurzfristig einsparen – aber nicht alles. Zu diesem Ergebnis kommt die Organisation Agora Energiewende in ihrer neuen Studie „Energiesicherheit und Klimaschutz vereinen“. Das Ergebnis stützt die Strategie der Bundesregierung, die Gaslieferungen trotz des russischen Kriegs in der Ukraine aufrechtzuerhalten.
Zwar erhielt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gerade in Norwegen die Zusage für kurzfristige Lieferungen an verflüssigtem Erdgas (LNG). Perspektivisch könnte auch Wasserstoff hinzukommen, um Erdgas in Wohngebäuden, Fabriken und Kraftwerken zu ersetzen. Aber grundsätzlich lehnt Habeck es ab, die Gasimporte aus Russland als Sanktion aktiv zu blockieren.
Ukraine-Krieg: Öl und Kohle können früher ersetzt werden
Das führe zu schwer beherrschbaren Problemen in Deutschland, warnt der Minister. Anders könnte es bei Öl- und Kohleimporten aus Russland aussehen. Hier hält es das Wirtschaftsministerium für möglich, die Lieferungen im Laufe diesen Jahres zu ersetzen. Lesen Sie auch: Ukraine-Krieg: Wie Deutschland seine Gasversorgung sichert
Doch was würde bei einem völligen Lieferstoff passieren? Agora Energiewende hat die Auswirkungen eines kompletten Ausfalls der russischen Gaslieferungen mögliche Gegenmaßnahmen hierzulande innerhalb der ersten beiden Winter (2022 bis 2024) untersucht.
Während Deutschland im vergangenen Jahr rund 400 Terawattstunden (TWh) Energie auf Basis russischen Gases verbrauchte, könnten etwa 100 TWh schnell durch Gas aus anderen Quellen ersetzt werden. Bliebe ein „Ersatzbedarf“ von knapp 300 TWh, den man durch Sparmaßnahmen kompensieren müsste.
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Größe der Lücke hängt vom Wetter ab
Den Berechnungen zufolge könnten es Privathaushalte und Unternehmen schaffen, relativ schnell 160 bis 260 TWh einzusparen. Die übrig bleibende Lücke hätte beispielsweise zur Folge, dass Fabriken den Betrieb einstellen müssten, sie Unternehmen Milliarden-Kompensationen vom Staat erhielten und die Arbeitslosigkeit wüchse – Effekte, die Habeck vermeiden will. Wie groß die Lücke ausfällt, hängt vom Wetter ab. Wird der nächste Winter kalt, wächst der Bedarf, der ohne Russland nicht zu decken ist. Auch interessant: Erdgas: 60 Prozent plus - Preis schnellt in die Höhe
Die Gegenmaßnahmen und Folgen bezeichnete Studienleiter Simon Müller als „hart“. Er betonte, es handele sich um eine energiepolitische Analyse, kein politisches Plädoyer für eine Strategie.
Warmwasser in Duschen und Küchen minimieren
Um den Gasverbrauch schnell zu verringern, ist es etwa möglich, die Raumtemperatur in Wohnungen um ein, zwei Grad zu senken. Privathaushalte könnten auch flächendeckend Spararmaturen installieren, um den Durchfluss von Warmwasser in Duschen und Küchen zu minimieren.
Bürgerinnen und Bürger mit niedrigen Einkommen müssten vom Staat angesichts der stark steigenden Preise finanziell unterstützt werden. Sparmaßnahmen in der Industrie wären etwa der vorübergehende Ersatz von Gas durch Kohle und Öl, sowie der Import von Produkten, die normalerweise hiesige Unternehmen fertigen.
Schnelle Umstellung auf Wasserstoff nötig
Analysiert hat Agora in Zusammenarbeit mit der Beratungsfirma Prognos und dem Wuppertal-Institut für Klima und Energie auch die mittelfristige Perspektive. Demnach könnte Deutschland bis 2027 etwa die Hälfte der russischen Lieferungen ersetzen – einen Verbrauch von rund 200 TWh. Weitere Informationen: Der Pleitegeier kreist über Russland
Nötig ist dafür zum Beispiel die schnelle Umstellung auf Wasserstoff in der Industrie, die Wärmedämmung der Gebäude und der Ersatz der fossilen Heizungen durch Wärmepumpen und Solarkollektoren. Diese Politik würde die „strukturelle Abhängigkeit“ vom russischen Erdgas „beenden“.
Die bisherige Strategie „Erdgas als Brückentechnologie“ bezeichnen die Autorinnen und Autoren als „hinfällig“. Weil nun Klimaschutz und Sicherheitsinteressen parallel wirkten, komme der Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft deutlich früher als bisher geplant.
Wirtschaftsminister Habeck reist derweil am Wochenende nach Katar am Persischen Golf. Die Monarchie ist kein Hort der Demokratie, aber reich an Öl und Gas. Auch dort geht es um Flüssiggas als Ersatz für russische Lieferungen.
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