Hamburg. Die Einkaufs- und Gastrostraße in Winterhude hat von der Pandemie sogar profitiert. Viele neue Läden haben zuletzt eröffnet.
Ein Paar sitzt vor dem Fischrestaurant Liman an einem kleinen Tisch und lässt sich eine Dorade schmecken. Junge Frauen haben sich einen Coffee to go gekauft und schlendern an Boutiquen vorbei in Richtung Alsterkanal. Die Wasserfläche lässt hier schnell Urlaubsfeeling aufkommen, mit der Hawaii-Bar am Ufer, den Palmen auf hölzernen Stegen und dem SUP-Verleih.
Am Mühlenkamp, der das Herzstück des Ausgehviertels im Süden Winterhudes bildet, ist immer etwas los, und die Gegend hat in der Krise sogar noch an Attraktivität gewonnen. In Winterhude, über Jahrhunderte ein kleines Bauerndorf, das erst Mitte des 19. Jahrhunderts erschlossen wurde, trifft sich heute die Szene. Influencer und Reiseblogger loben den Charme des Kiezes mit den Häusern aus der Gründerzeit.
Mühlenkamp: Die Wiege erfolgreicher Start-ups
Vor allem aber sind es die Kaufleute, die hier für Überraschungen sorgen. Immer neue Ladenkonzepte siedeln sich an, es wird nie langweilig. Viele Gründer sehen die Gegend als Testmarkt für ihre Ideen. Elbgold, Mad about Juice oder New York Bagels gehören zu den Start-ups, die hier ihren Anfang nahmen. Aber auch bekannte Namen wie Görtz kommen mit neuen Konzepten in die Einkaufsmeile, eine Gegend, in der sich übrigens auch früher schon ein Treffpunkt für Erlebnisse etabliert hat. 1886 eröffnete hier eine Trabrennbahn.
Selbst trotz Corona-Krise eröffneten zuletzt viele neue Shops. Royal Donuts, die Hamburger Kette „Kind der Stadt“ oder das Schuhgeschäft Cox wagten diesen Schritt trotz der zahlreichen Beschränkungen, die das Virus mit sich brachte. Immerhin prangten am Mühlenkamp große Plakate mit Warnschildern. Die Straße gehörte zu den ersten öffentlichen Plätzen mit Maskenpflicht.
Pandemie hat sogar geholfen
Doch die Pandemie hat den Standortmanagern in dem Kiez nahe der Alster sogar in die Karten gespielt: Die Nahversorgungszentren sind zum Lebensmittelpunkt für etliche Hamburger geworden. „Die Bedeutung des eigenen Kiezes ist in Zeiten von Corona gestiegen“, sagt Leif Krägenau von der Handelsberatung BBE. Der Mühlenkamp, aber auch die Osterstraße und der Stellinger Weg, die Gegend vom Klosterstern bis zur Hegestraße hätten sich zu Ausgeh- und Shoppingmeilen entwickelt.
Hier schaffen zudem Wochenmärkte Identifikation, der Goldbek- und der Isemarkt sind Orte der gelebten Nachbarschaft. Die Menschen hätten ihr Einkaufsverhalten geändert, beobachtet Handelsexperte Krägenau. Anstatt große Einkäufe in Warenhäusern zu erledigen, gingen sie heute häufiger für kleinere Anschaffungen in die Läden in der Nähe ihrer Wohnung. Spezialisierte Shops gehören zu den Gewinnern, große Traditionshäuser wie Karstadt zu den Verlierern dieses Trends. „Kleine Läden sind das Salz in der Suppe“, fasst Krägenau den Zeitgeist im Handel zusammen. Dass das Feinkostgeschäft Lindner am Mühlenkamp gerade geschlossen hat, bleibt dabei eine Ausnahme.
Leerstand? Ein Fremdwort
Die positive Entwicklung zeigt sich auch an den Mieten. Die Nachfrage nach geeigneten Immobilien ist hier größer als das Angebot, Leerstand ein Fremdwort. Die Folge: Während Ladenflächen in der Innenstadt in den vergangenen drei bis fünf Jahren günstiger geworden seien, blieben die Mieten in den Stadtteilzentren stabil, weiß Sven Bechert, Prokurist beim Makler Grossmann & Berger. Am Mühlenkamp müssten Kaufleute derzeit mit 35 bis 50 Euro für den Quadratmeter rechnen, am Eppendorfer Baum auch mal mit bis zu 65 Euro. Dagegen seien die Kosten in der Innenstadt in günstigen Lagen bereits auf 30 Euro gesunken, erreichten für Topflächen allerdings auch 270 Euro, sagt Bechert.
Der Immobilienexperte ist sich sicher: Der Mühlenkamp bleibe auch nach der Pandemie, wenn die Menschen wieder in die Büros zurück kämen, noch eine gesuchte Lage. Dagegen könnten Zentren wie Niendorf oder Langenhorn nach der Rückkehr des Alltags an Attraktivität verlieren. Der Mühlenkamp aber sei zur zweiten Schanze geworden, wenn auch weniger für die Teens, sagt Bechert über das Viertel. Die individuellen Ideen vieler Gründer machen den Charme der Straße aus. Eine Auswahl neuer Läden und Konzepte, die am Mühlenkamp ihren Ursprung haben:
Kind der Stadt
Am 1. Februar hat die Kette ihren dritten Hamburger Laden am Mühlenkamp 48 eröffnet. „Ich bin sehr zufrieden mit unserem Start“, sagt Jan Sundhoff, Inhaber der Geschäfte, die Reisebuggys, Möbel und Accessoires für die Kleinen anbieten.
„Bisher läuft der Start deutlich besser, als direkt nach der Eröffnung der beiden anderen Standorte in Hamburg“, freut sich Sundhoff mit Blick auf die Läden in Eimsbüttel und in der Altstadt. Dabei habe man bisher fast gar keine Werbung für den Shop in Winterhude gemacht.
New York Bagels
„Wir leben selbst direkt um die Ecke und lieben die Vielfalt und das Lebensgefühl hier am Mühlenkamp“, sagt Laura Nahe für das Gründerteam der Bar, die frisch zubereitete Bagels anbietet. „Besonders im Sommer ist die Stimmung einmalig“, findet die Hamburgerin.
„Als sich die Möglichkeit bot, die Ladenfläche am Mühlenkamp zu mieten, haben wir keine Sekunde gezögert“. Der Store wurde Anfang Juni vergangenen Jahres eröffnet, pünktlich zu ersten Corona-Lockerungen und Sommer-Aufschwung. Die Erfahrungen der Gründer sind positiv: Sie eröffnen am heutigen Sonnabend einen zweiten Standort am Gänsemarkt.
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Elbgold Kaffeerösterei
Auch die bekannte Hamburger Kaffeemarke hat am Mühlenkamp ihren Ursprung. Der Anbieter, der nach eigenen Angaben direkt bei den Farmern in Mittel- und Südamerika sowie Afrika kauft, musste seine Rösterei zwar 2010 aus Platzgründen in die Schanzenhöfe verlegen.
Dennoch sind die Gründer der Keimzelle treu geblieben, immerhin wohnen sie hier – und lieben diesen „bunten und lebendigen Mikrokosmos mitten in der Stadt mit besonderen Geschäften, Gastronomien und herzlichen Menschen“, wie Elbgold-Chefin Annika Taschinski betont. 2019 hat Elbgold am Mühlenkamp zudem einen etwas größeren Laden bezogen, der auch viele Außenplätze bietet.
Mad about Juice
Der Mühlenkamp ist auch Keimzelle des Bistros Mad about Juice, einem Anbieter von frisch gemixten Säften und Smoothies. In der Pandemie hätten sich die Umsätze zuletzt sogar verdoppelt, sagt Geschäftsführer Jan Jucknat und zeigt auf die Bar, wo gerade die Saftmaschinen surren.
Viele Menschen, die bisher im Büro in der Innenstadt gearbeitet hätten, schauten jetzt aus dem Homeoffice vorbei, um sich kurz etwas Gesundes für zwischendurch zu holen, eine Acai-Bowl etwa oder ein Avocado-Sandwich. Das Konzept ist inzwischen weit über die Grenzen Winterhudes hinaus gewachsen und nicht nur in Hamburg vertreten.
Royal Donuts
Der Shop von Royal Donuts hat 2020 am Mühlenkamp eröffnet und sorgte zumindest am Anfang für Erstaunen: Oft bildeten sich mehr als 50 Meter lange Schlangen, junge Leute standen selbst an kalten Wintertagen draußen geduldig an, um einen der süßen Leckerbissen zu ergattern.
Inzwischen hat Royal Donuts zahlreiche Standorte, so dass die Schleckermäuler nicht mehr extra nach Winterhude kommen müssen, um einen der opulent mit Schokoriegeln oder Marshmallows gefüllten Teigkringel zu ergattern.
Cox Schuhgeschäft
Cox ist eine Tochter von Görtz. Am Mühlenkamp hat die Hamburger Schuhkette im November 2021 das erste Cox-Geschäft in Hamburg eröffnet. „Für uns ist diese gemütliche Wohnzimmerfiliale auch ein kleines Testlabor“, sagt Lillemor Brandenburg von Görtz über die neue Filiale, in der die Modelle der 1984 gegründeten Eigenmarke verkauft werden.
Die Pandemie hinterlasse aber auch hier ihre Spuren, denn in Zeiten, als Restaurants und Gastronomiebetriebe geschlossen hatten, seien weniger Kunden gekommen.
Docboom
Der Schönheitssalon eröffnete 2020. „Der Standort in Winterhude zählt zu unseren erfolgreichsten und am meisten frequentierten Standorten“, sagt Inhaber Roald Christoph. „Wir haben dort sehr buntes, urbanes, schönheitsbewusstes und einkommensstarkes Publikum“, sagt der Unternehmer.
Die Vielfalt an Geschäften, Bars und die unmittelbare Nachversorgung von Kundinnen und Kunden ermöglichten den Erfolg. Weitere Shops von Docboom, die Hyaluronbehandlungen und minimalinvasive Eingriffe anbieten, betreibt der Hamburger in der Neustadt und in Eppendorf.