Hamburg. Anne und Stefan Lemcke treiben von Mallorca aus die Expansion ihres Gewürzunternehmens voran. Was sie nun vorhaben.
Blauer Himmel, viel Sonne und Frühlingstemperaturen – genauso wie an diesem Märztag haben die Ankerkraut-Gründer Anne (42) und Stefan (44) Lemcke es sich vorgestellt, als sie im Sommer vergangenen Jahres mit ihren beiden Kindern und zwei Hunden nach Mallorca umgezogen sind.
Ein Jahr Abstand vom Alltagsgeschäft hatte sich das Unternehmerpaar verordnet, nachdem es seit der Gründung seines Gewürz-Start-ups vor neun Jahren vor allem eins gemacht hat: gearbeitet. Kein Sabbatical sollte es sein, sondern ein Selbstversuch in mobiler Firmenführung mit mehr Familienzeit. „Wir nennen es Worktical“, sagt Anne Lemcke acht Monate nach dem Start ihres Experiments.
Ankerkraut: Gründerpaar plant auf Mallorca Expansion
An diesem Vormittag sind die Kinder in der Schule. Die Eltern sitzen nach dem Spaziergang mit den Hunden vor ihren Laptops im Reihenhaus in Santa Ponça, das sie gemietet haben. Sie telefonieren, schreiben Mails, schalten sich in Digitalkonferenzen, manchmal im Stundentakt. Auch das Gespräch mit dem Abendblatt findet per Video statt. Einmal im Monat reist einer von beiden ein paar Tage nach Hamburg. Nach richtig Abstand klingt das nicht. „Es ist schön hier, und wir merken, dass wir mehr zur Ruhe gekommen sind“, sagt Stefan Lemcke, der mit seiner Frau das Gesicht der Marke Ankerkraut ist. „Aber wir vermissen die Firma. So sind wir nun mal.“
Und deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass das Gründerpaar von der Balearen-Insel die Expansion für die nächsten Jahre plant. Wichtigster Meilenstein ist der Bau einer neuen Firmenzentrale. 2020 hatten die Unternehmer, die im vergangenen Jahr mit dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnet worden waren, in einem Gewerbegebiet in Winsen (Landkreis Harburg) ein Grundstück gekauft. Mitte nächsten Jahres sollen die drei bisherigen Standorte des Unternehmens in Sinstorf (Produktion), Stelle (Lager) und Heimfeld (Verwaltung) in den neuen Standort ziehen.
Ankerkraut-Zentrale kostet 13 Millionen Euro
Nur einige Bereiche sollen voraussichtlich am aktuellen Firmensitz am Tempowerkring bleiben. „Der Bauantrag ist gerade genehmigt. Im Sommer wollen wir anfangen zu bauen“, sagt Stefan Lemcke, dessen Schwester Lena Lemcke die Geschäfte der Immobilienfirma Ankerkraut’s Huus leitet. 13 Millionen Euro investiert der Gewürzhersteller nach eigenen Angaben in den Komplex mit 8000 Quadratmeter Nutzfläche.
„Wir bauen quasi um unsere neue moderne Gewürzproduktionslinie herum“, sagt Anne Lemcke. Dabei soll der Neubau, der mit dem Planungsbüro Planwerk Elbe entwickelt wird, mehr sein als eine Fabrikhalle. Anthrazitfarbene Fassaden mit großflächigem Ankerkraut-Logo, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und ein schickes Verwaltungsgebäude – alles über gläserne Gänge miteinander verbunden. „Wie bei allem, was wir machen, wird man schon von Weitem sehen: Das ist Ankerkraut“, sagt die Marketingexpertin. Bis zu 20 Millionen Gewürzgläser und -tüten sollen dort künftig im Jahr gefüllt werden – fast doppelt so viel wie im vergangenen Jahr.
Umsatz auf 40 Millionen Euro gewachsen
Was in der Versuchsküche in Wilhelmsburg begann, hat sich zu einem gewichtigen Spieler in der Branche entwickelt. Das Sortiment ist auf mehr als 500 Gewürze, Mischungen und Tees angewachsen. Ständig kommen neue dazu. Längst gibt es die charakteristischen Korkengläser mit Preisen ab 5 Euro nicht mehr nur im Netz, sondern auch in mehr als 6000 Geschäften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2021 lag der Umsatz bei 40 Millionen Euro. Für dieses Jahr peilt Ankerkraut Erlöse in Höhe von 52 Millionen Euro an. Inzwischen beschäftigt das Unternehmen 250 Angestellte. „Bei uns,“ sagt Stefan Lemcke, „werden nach wie vor viele Mischungen in Handarbeit hergestellt. Dass wir eine Manufaktur sind, liegt in unserer DNA.“
Zugleich stellen die Gründer Ankerkraut gerade neu auf – und setzen verstärkt auf Wachstum. 2020 hatten die Mehrheitseigner den Finanzinvestor EMZ an Bord geholt, der 30 Prozent der Anteile hält – und Anne und Stefan Lemcke zu mehrfachen Millionären und Investoren gemacht hat. Zur Gesellschaftergruppe gehören zudem der frühere Höhle-der-Löwen-Investor Frank Thelen, der 2016 in der TV-Show einen Deal mit den Lemckes gemacht und ihnen damit zu bundesweiter Bekanntheit verholfen hatte, ein familiennaher Finanzier aus der Startphase sowie die beiden langjährigen Mitgeschäftsführer Alexander Schwoch und Timo Haas. „Das Ziel für die nächsten Jahre heißt Internationalisierung“, sagt Stefan Lemcke. Im Moment paukt das Team Business-Englisch. 2022 sollen Onlineshops für Dänemark und Schweden starten, eventuell auch für die Niederlande.
Zweiter Hamburger Ankerkraut-Laden in Eppendorf?
Die eigenen Läden, die Ankerkraut seit 2018 betreibt, sollen zum Wachstum beitragen. Aus aktuell fünf Filialen, unter anderem in Hamburg, Berlin und München, sollen 2022 zehn werden. „Wir haben als Nächstes die Region Stuttgart im Blick“, sagt Anne Lemcke. Auch ein zweiter Standort in Hamburg sei denkbar. „Unser Geschäft in der Mönckebergstraße läuft sehr gut, aber wir strecken unsere Fühler auch in Stadtteillagen wie Eppendorf oder Winterhude aus.“ Die Pandemie hat Ankerkraut in den vergangenen beiden Jahren zusätzlich Schub gegeben. „Die Expansionsschritte, die wir jetzt planen, sind ein Riesenschritt in der Firmenkultur“, sagt Stefan Lemcke.
Inzwischen laufen auch die Planungen für die Rückkehr der Unternehmerfamilie nach Deutschland. Das Mallorca-Experiment, das es bis in die Berichterstattung im „Spiegel“ geschafft hatte, endet im Juli. Es sei ihm nach dem plötzlichen Tod seiner Eltern im vergangenen Jahr nicht gut gegangen, und er habe sich einige grundsätzliche Fragen gestellt, sagt der Ankerkraut-Gründer ungewöhnlich offen für einen erfolgsverwöhnten Topmanager. „Geld ist nicht alles. Natürlich macht es vieles einfacher, aber das letzte Hemd ist taschenlos.“ In den vergangenen Monaten standen deshalb auch Golf, Schwimmen und Tennis auf der Agenda. Jetzt fühle er sich wieder kraftvoll und gesund, sagt Lemcke.
Ankerkraut: Unternehmerfamilie zieht nach Hamburg
Natürlich mit Folgen für die Firma. Noch im März zünden die Gewürzhändler ihre nächste Idee. In dem Projekt „Taste again“ soll sich alles um das Riechen, Schmecken und Kochen nach einer Covid-19-Erkrankung drehen. Aus dem operativen Geschäft, hat das Unternehmerpaar angekündigt, wollen sie sich mehr zurückziehen. Vielleicht. Räumlich allerdings bleiben die Lemckes auf Abstand. Sie kehren nicht zurück in ihr Haus in Jesteburg, sondern ziehen nach Hamburg – in eine Mietwohnung.