Hamburg. Kreuzfahrtunternehmen stehen vor schwieriger Entscheidung. Hapag-Lloyd stoppt Fahrten nach Russland. Gibt es bald Probleme mit Zügen?
Zwei Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zeichnen sich Auswirkungen auf Hamburgs Wirtschaft ab. Die Wirtschaftsbehörde hat einen eigenen Krisenstab eingerichtet, „Dort befassen wir uns in erster Linie mit der Versorgungslage. Was ist mit Strom, Gas und Öl? Auch die Sicherstellung der Lieferketten in der Logistik hat für uns Vorrang“, sagte Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). Der Hamburger Hafen sieht sich zudem gegen mögliche Cyberattacken Russlands gewappnet. „Wir sind vorbereitet“, sagte am Freitag der Chef der Hafenbehörde HPA, Jens Meier.
Besonders in Sorge ist die Kreuzfahrtbranche. Sie hat ab dem Frühjahr und im Sommer zahlreiche Ostseekreuzfahrten mit Besuchen des russischen Hafens St. Petersburg im Programm, die bei Reisenden sehr beliebt sind. Deutschlands größter Kreuzfahrtanbieter Aida Cruises mit Sitz in Rostock und Hamburg bietet mehrere Reisen nach Russland an.
Ostsee: Kreuzfahrten haben Zwischenstopp in Russland
Ab April plant die „Aidamar“ zehntägige Kreuzfahrten ab Warnemünde, die auch St. Petersburg als ein Ziel haben. Die „Aidanova“ soll ab Kiel am 14. Mai dorthin in See stechen. Die „Aidavita“ plant ab 21. September eine große Baltikumfahrt ab Kiel. Doch ob alle diese Angebote aufrecht erhalten bleiben, ist offen. „Wir analysieren die Lage und werden zu gegebener Zeit informieren“, sagt ein Aida-Sprecher dem Abendblatt.
Inzwischen haben mehrere Reedereien ihre geplanten Stopps in St. Petersburg gestrichen: Lesen Sie hier mehr dazu.
Die Hamburger Reederei Tui Cruises plant ab Mai vier Reisen ins Baltikum mit der „Mein Schiff 6“, die je nach Anlaufhäfen zwischen acht und zwölf Tage dauern sollen. Sie haben aber alle eines gemeinsam: einen Zwischenstopp in St. Petersburg, wo die berühmte Eremitage, die Peter-und-Paul-Festung und die Blutskirche bewundert werden können. Doch nun befindet sich das Land im Krieg.
Und Tui Cruises steht vor der Entscheidung, ob die Besuche stattfinden sollen. „Mit großer Anteilnahme und Besorgnis verfolgen wir die jüngsten Geschehnisse in der Ukraine. Wir beobachten die Situation aufmerksam und bewerten die Fahrpläne unserer ab Mai geplanten Kreuzfahrten mit Anläufen in St. Petersburg und anderen Zielen in Russland kontinuierlich und individuell hinsichtlich der Entwicklung der Lage“, so Sprecherin Godja Sönnichsen. Die Reederei stehe in engem Austausch mit lokalen Behörden und Agenturen. „Die Sicherheit unserer Gäste und Crew steht dabei immer an oberster Stelle.“
Kreuzfahrt: „Mein Schiff Herz“ soll Odessa ansteuern
Das sollte insbesondere für eine Reise gelten, die Tui Cruises mit der „Mein Schiff Herz“ vom 26. August an ins Schwarze Meer und in den ukrainischen Hafen Odessa durchführen will. Auch diese Reise bietet Tui Cruises derzeit noch an, obgleich der Hafen von Odessa seit Donnerstag gesperrt ist. „Selbstverständlich informieren wir bei allen Änderungen umgehend und unaufgefordert unsere gebuchten Gäste und Partner“, sagt die Sprecherin.
Für den Reisekonzern Tui ist der Angriff auf die Ukraine auch deshalb brisant, weil der russische Oligarch Alexej Mordaschow gut 30 Prozent der Anteile am Unternehmen hält. Es ist allerdings fraglich, ob die Sanktionen Deutschlands oder der EU auch gegen ihn greifen könnten – und welche Folgen dies für den größten deutschen Reiseveranstalter am Ende hätte. Der Konzern ist Mordaschows größte verbliebene Beteiligung im Ausland. Reisen in die Ukraine oder Russland gehören allerdings nicht zum Portfolio der Tui, sodass nach der Pandemie wohl nicht noch weitere finanzielle Risiken für den angeschlagenen Konzern zu befürchten sind.
Ukraine-Krief: Sorgen in Hamburger Reisebüros
In Hamburger Reisebüros, die sich auf die Region spezialisiert haben, herrscht nicht nur Sorge vor wirtschaftlichen Konsequenzen, sondern auch persönliche Betroffenheit. Der Inhaber der CliP Reisebüros in Hamburg und Hannover, Igor Pigrich, ist in Moskau geboren, seine Gattin kam 1998 aus Kiew nach Deutschland. „Für mein Business ist es ein Todesurteil“, sagt der Unternehmer, der aber auch noch eine andere Perspektive einnehmen kann: „Als ehemaliger Geschichtslehrer sehe ich eine Wiederholung von 1938.“
Er sei vor wenigen Tagen zurück aus Kiew gekommen, berichtet Pigrich. „Ich war als Tourist bei Bekannten. Einer davon versucht gerade jetzt die polnische Grenze zu erreichen. Meine Frau hält Telefonkontakt zu einer ehemaligen Kollegin in Kiew“, so der Unternehmer. Es sei die Rede von Explosionen, gesprengten Brücken, Panzern auf den Straßen, von Schock und Tränen, erzählt Pigrich, der schon seit 1991 in Deutschland lebt.
Hamburg: Anbieter setzen Reisen nach Russland aus
Beim Reisebüro Baltic Travel auf der Uhlenhorst heißt es, die Aktivitäten in Bezug auf Russland seien völlig zum Erliegen gekommen. Auch indirekt seien Reisen stark beeinträchtigt, im gesamten Baltikum, sagt Inhaber Bernd Schimpke. Das Reisebüro NN Reisen am Hofweg hat viele Kunden, die aus den betroffenen Regionen stammen, oft mit deutsch-russischer Herkunft, dazu kommen deutsch-russische Unternehmen aus verschiedenen Wirtschaftsbereichen etwa aus der Landwirtschaft, der Öl- und der Lebensmittelindustrie. Das jetzige Geschehen könne dazu führen, dass der Luftverkehr stärker beeinträchtigt werde und dass es zur gegenseitigen Einstellung der Visabeschaffung für Touristen, Privatreisende und Geschäftsleute kommen könnte, hieß es von NN Reisen.
Es gibt unterdessen auch Anbieter, die von sich aus nun Reisen nach Russland aussetzen. Beim Trekking-Spezialisten Hauser Exkursionen heißt es, dass das Verhalten eines Landes, das Völkerrecht mit Füßen trete und zudem militärisch aktiv in ein Nachbarland einmarschiere, nicht toleriert werden dürfe. Auch der Veranstalter Berge & Meer setzt Russland-Reisen aus, mit Hinweis auf ethische und moralische Gründe, wie das Magazin ReisevorNeun schreibt.
Hapag-Lloyd stoppt Reisen nach Russland
Unterdessen wurden die Warenverkehre in die betroffenen Länder bereits reduziert. Alle großen europäischen Transportreedereien wie Maersk, MSC, CMA CGM und Hapag-Lloyd haben Buchungen für die Ukraine gestoppt und ihre Schiffe umgeleitet. Die Reederei Maersk, zu der auch Hamburg Süd gehört, hat angekündigt, für die Ukraine bestimmte Ladung, die derzeit unterwegs ist, in Port Said (Ägypten) und Körfez (Türkei) zu löschen.
Die Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd hat darüber hinaus auch einen vorläufigen Buchungsstopp für Ladung nach Russland verhängt. Zu den Gründen wollte sich die Reederei nicht offen äußern, sie liegen aber auf der Hand: Kein Transportunternehmen möchte derzeit unwissentlich Container mit Gütern auf seinen Schiffen haben, die dem Embargo unterliegen. Hapag-Lloyd betreibt derzeit einen Liniendienst von Hamburg nach Kaliningrad, der wöchentlich bedient wird und einen weiteren von Antwerpen und Rotterdam nach St. Petersburg.
Neben Kreuzfahrten auch Probleme mit Zugverkehr
Einschränkungen gibt es auch beim Güterverkehr auf dem Gleis. Der Präses der Bremer Handelskammer sagte, dass es bei den Bahntransporten aus China „massive Einschnitte“ geben werde. „Wir müssen befürchten, dass das, was derzeit unterwegs ist, stehen bleibt und möglicherweise gar nicht mehr aus Russland heraus- und nach Polen hineinkommt“, so Eduard Dubbers-Albrecht.
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„Für eine ganze Weile wird der Bahntransport keine Alternative darstellen – zumindest nach heutigem Stand, der ja auch von einer großen Unsicherheit geprägt ist.“ Mehr als 200 Züge verkehren derzeit wöchentlich zwischen China und Hamburg. Allerdings ist ihr Anteil am Gesamthandel gering: Im Jahr 2020 wurden 700.000 Standcontainer (TEU) über die Schiene nach Hamburg gebracht. Hingegen werden im Seeverkehr jährlich 2,4 Millionen TEU aus China in der Hansestadt umgeschlagen.
Mitarbeit: Heiner Schmidt/Wolfgang Horch