Hamburg. Der Konsumgüterkonzern strukturiert um. In der Deutschland-Zentrale sorgt das für Unruhe – auch weil ein Hedgefonds-Manager mitmischt.

Gerade erst hat Unilever seine neue Verwaltung bezogen, Büros mit viel Holz und Pflanzen, mit Dach­terrasse und stylischem Café. Doch der Umzug aus der HafenCity in die Altstadt fiel mitten in die Pandemie. Etliche Mitarbeiter konnten sich an ihren Arbeitsplätzen mit Blick auf das Mahnmal der Kirche St. Nikolai noch gar nicht richtig einleben. Der Konzern hat mit dem Wechsel des Domizils in Hamburg bereits bewegte Zeiten hinter sich – und schon steht neue Unruhe bevor.

Denn gleich mehrere Baustellen beschäftigen das Unternehmen: Im Management sollen 1500 Stellen wegfallen, hieß es jüngst aus der Zentrale in London. Die geplante Übernahme der Gesundheitspflegesparte des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) ist gescheitert. Und ein neuer Investor droht den Kostendruck bei dem Hersteller von Marken wie Coral, Langnese oder Knorr erneut zu erhöhen.

Unilever: Wie viele Stellen werden in Hamburg abgebaut?

Die Erwartungen an Vorstandschef Alan Jope sind groß, zumal der Konzern im Vergleich zur Konkurrenz an der Börse hinterherhinkt. In den vergangenen fünf Jahren ist der Aktienkurs um knapp zehn Prozent gefallen. Wettbewerber im Geschäft mit Waren des täglichen Bedarfs wie Nestlé oder Procter & Gamble konnten ihren Wert dagegen deutlich steigern.

Zwar erhöhte Unilever zuletzt seinen Nettogewinn. Die Summe stieg im vergangenen Geschäftsjahr auf 6,05 Milliarden Euro, ein leichtes Plus, verglichen mit 5,58 Milliarden Euro 2020. Doch das Unternehmen hat diesen Erfolg vor allem mit Preiserhöhungen erzielt. Dabei wurde der Bogen zuweilen überspannt. So errechnete die Verbraucherzentrale Hamburg zum Beispiel bei der „Rahm Soße“ von Knorr einen Preisaufschlag von 50 Prozent. Unilever hingegen argumentierte, bei der Soßenvariante sei man auf „veränderte Konsumentenwünsche“ eingegangen.

Kritik von Hamburger Verbraucherschützern

Um die Kosten zu verringern, will der Vorstand das Unternehmen künftig stärker auf Produktkategorien ausrichten. Die fünf neuen Geschäftsbereiche werden aufgeteilt in Schönheit und Wohlbefinden, Körperpflege, Haushaltspflege, Lebensmittel und Speiseeis mit Marken wie Langnese und Ben & Jerry’s. Die jeweiligen Chefs sind dann in jeder Hinsicht für ihre Strategie und die eigene Gewinnentwicklung verantwortlich. Durch die Neuorganisation will Unilever in den kommenden zwei Jahren 600 Millionen Euro einsparen.

Der Umbau folgt auf eine Reihe von Umstrukturierungen. Veränderungen, die auch in der Hansestadt spürbar waren, von wo aus die Manager die Geschäfte des Konzerns für Deutschland, Österreich und die Schweiz lenken. „Ich bin inzwischen 32 Jahre im Unternehmen und mehr als 25 Jahre davon als Betriebsrat“, sagt Hermann Soggeberg. „Dabei habe ich schon viele Organisationsveränderungen miterlebt – und nun den Eindruck, dass wir jetzt wieder große Ähnlichkeit mit der Organisation vor 20 Jahren haben“. Grundsätzlich befürwortet der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats aber den erneuten Umbau: „Ich halte es für richtig, dass Unilever sich wieder stärker nach den Kategorien ausrichtet.“ In der bisherigen Matrixorganisation habe es zu viele Schnittstellen gegeben. Auch Analyst Romano Monsch vom Vermögensverwalter Albin Kistler in Zürich lobt die neue Struktur. So seien die Verantwortlichen autonomer und könnten sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren, die Effizienz erhöhe sich.

Neuer Investor: Hedgefonds-Manager Peltz steigt bei Unilever ein

Wie wirkt sich das Vorhaben, im Management zugleich Hunderte Stellen einzusparen, aber auf Hamburg aus? Aus der Unternehmenszentrale heißt es lediglich, die Auswirkungen auf den Standort seien noch nicht abzusehen. „Zunächst wird in den nächsten Wochen festgelegt, wer in die entsprechenden Führungs­rollen kommt“, wird Soggeberg etwas konkreter. Erst danach werde sich abzeichnen, wie genau der Prozess weitergehe. „Ich rechne für Ende März, Anfang April mit mehr Klarheit“, ergänzt Soggeberg, der zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Unilever Deutschland Holding ist.

Auch wenn die anstehenden Veränderungen in der Führungsetage derzeit den Flurfunk beherrschen, der Gewerkschafter ist vor allem über den kürzlichen Einstieg des Investors Nelson Peltz bei Unilever beunruhigt. Der Hedgefonds-Manager ist als sehr aktiver Investor bekannt, also als ein Anteilseigner, der versucht, die Strategie eines Unternehmens zu beeinflussen. „In der Regel kommen diese aktivistischen Investoren mit einer straffen Sparagenda, das macht mir größere Sorgen als die Organisationsveränderung“, sagt Soggeberg über den 80-Jährigen, der bereits viel Erfahrung im Konsumsektor gesammelt hat.

Absatz von Hygieneprodukten ging zuletzt zurück

Mit seinem Fonds Trian beteiligte er sich vor vier Jahren auch am Konkurrenten Procter & Gamble und mischte in den Verwaltungsräten bei Mondelez und Heinz mit. Marktbeobachter erwarten, dass Peltz bei Unilever die immer wieder diskutierte Trennung des Lebensmittelbereichs vom Haushalts- und Körperpflegegeschäft im Visier haben könnte. Am Ende könnte ein Verkauf der Ess­waren stehen, schätzt auch Konsumanalyst Monsch. Durch das Preisbewusstsein der Verbraucher und die Macht der Discounter stünden Nahrungsmittelproduzenten hier zunehmend unter Druck. Dagegen befördere die „Instagram-Gesellschaft“ mit ihrem Fokus auf Äußerlichkeiten gute Geschäfte mit Beauty-Produkten. Diese könnten auch profitabler verkauft werden, wie etwa der Erfolg von L’Oréal zeige.

Beide Bereiche spielen in Deutschland bisher eine große Rolle: Unilever betreibt hierzulande neben der Hauptverwaltung in Hamburg fünf Produktionsstandorte mit mehr als 3000 Beschäftigten, darunter in Buxtehude eine Fabrik für Dove-Seife und Axe-Duschgels. Während die persönliche Hygiene zu Beginn der Pandemie einen regelrechten Schub erfahren hat, ging der Absatz hier zuletzt zurück. Offenbar springt nicht jeder im Homeoffice morgens unter die Dusche. Dagegen hat sich der Erlös mit Haushaltsreinigern wie Viss und Domestos auf einem hohen Niveau eingependelt.

Zwischen neuen Marken und Traditionsprodukten

Lebensmittel für die Marke Knorr stellt Unilever in Heilbronn (Baden-Württemberg) und im sächsischen Auerbach her. Mit den Würzmischungen hat der Konzern ebenfalls von Corona profitiert, beflügelte das Virus doch den Trend, zu Hause zu kochen. Deutschland-Chef Peter Dekkers sagte kürzlich im Interview mit dem Abendblatt, die Verbraucher achteten zudem vermehrt auf eine gesunde Ernährung, die in den hektischen Alltag passen soll. 30 Prozent der Konsumenten wollten diese ge­sunden Essgewohnheiten auch nach der Krise beibehalten, betonte der Niederländer. Auf dieses neue Bewusstsein reagiert­ Unilever etwa mit der Marke Vegetarian Butcher, die pflanzenbasiertes Hackfleisch oder Schnitzel anbietet.

Gleichzeitig setzt der Konzern aber auch auf Großkunden wie Kantinen oder die Gastronomie. Ebenfalls mit der neuen Marke Vegetarian Butcher, die etwa Burger King in seinen fleischlosen Gerichten verwendet. Aber auch mit Traditionsprodukten wie Knorr Professionell, die Suppen und Saucen für Profiköche umfassen. Dieser Bereich hat, wenig überraschend, in Zeiten der Lockdowns mit zwangsweise geschlossenen Restaurants gelitten. Das Geschäft mit den Gastronomen hängt nach wie vor von der Entwicklung der Pandemie ab. In der starken Ausrichtung auf Essen außer Haus sehen die Analysten der Berenberg Bank daher auch weiterhin Unsicherheiten für Unilever.

Unilever verkaufte Ende des Jahres seine Teesparte

So breit gefächert das Angebot der Marken auch heute noch erscheint – der Konzern, der nach Nestlé, Procter Gamble und PepsiCo zu den weltweit größten Herstellern von Konsumgütern gehört, hat bereits etliche Schrumpfkuren hinter sich. Als die Deutschland-Zentrale 2009 vom Valentinskamp in die HafenCity verlegt wurde, packten noch mehr als 1100 Beschäftigte die Umzugskartons. Heute liegt die Zahl der Jobs in Hamburg nur noch bei knapp 800.

Der Konzern verschlankte sich auch in jüngster Zeit, nachdem Jope 2019 das Steuer übernommen hatte. So hat Unilever Ende vergangenen Jahres seine Teesparte verkauft. Insgesamt rund 4,5 Milliarden Euro zahlte ein Finanzinvestor für Marken wie Lipton, PG Tips und Pukka. Damit hat der Konzern seine vielversprechende Position gerade im stark wachsenden deutschen Markt für Kräuter- und Früchtetees verloren.

Analysten der Berenberg Bank sehen Risiken

So wichtig die deutschsprachigen Kunden aus Hamburger Sicht sind, so dominant sind andere Märkte für den Konzern. Die Analysten der Berenberg Bank warnen hier vor Gefahren – sie betrachten die Abhängigkeit Unilevers von Käufern in Schwellenländern als besonders risikoreich. In Märkten wie Brasilien oder Indien erzielt der Konzern immerhin fast 60 Prozent seiner Umsätze. Die Aktivitäten des 1929 gegründeten Unternehmens sind heute weltumspannend. Insgesamt verwenden etwa 2,5 Milliarden Menschen in 190 Ländern jeden Tag ein Unilever-Produkt.

Nicht zuletzt steht der Konzern, der sich Nachhaltigkeit als Ziel auf die Fahnen geschrieben hat und in fünf Jahren nur noch recyclingfähige Verpackungen auf den Markt bringen will, auch bei den Kosten stark unter Druck. Die immense Teuerung bei Rohstoffen wie Mineral­ölen, die Unilever selber einkaufen muss, verringert die Gewinnchancen. Zwar rechnet der Konzern für 2022 mit einem Umsatzwachstum zwischen 4,5 und 6,5 Prozent, doch zugleich schätzt man die Inflationskosten allein im ersten Halbjahr auf über zwei Milliarden Euro.

Kampagne „Mensch vor Marge“ gestartet

Diese Warnung kam für Analysten überraschend. Denn einst hatte Jope eine ehrgeizige Messlatte vorgegeben: Die operative Marge sollte auf 20 Prozent steigen. Diesen Wert musste der Konzernchef nun kassieren. Jope, der in Edinburgh Wirtschaft studiert hat und sich auch schon mal im Schottenrock ans Rednerpult stellt, rechnet für 2022 nur noch mit einer Marge zwischen 16 und 17 Prozent.

Für Soggeberg bedeutet dies aber auch ein maßvolleres Ziel: Es ließe sich darüber streiten, ob 20 Prozent Marge für Lebensmittel gerechtfertigt seien. „Für uns Betriebsräte ist es zumindest dann nicht akzeptabel, wenn dieser Gewinn auf dem Rücken der Beschäftigten und Zulieferer verdient wird.“ Um auf diesen Missstand hinzuweisen, sagte Soggeberg, „haben wir zusammen mit der Gewerkschaft NGG die ,Mensch vor Marge‘-Kampagne gestartet.“ Die Aktion soll auf einen ungezügelten finanzmarktgetriebenen Kapitalismus in der Ernährungsindustrie hinweisen, in dem Investoren profitmaximierend agieren.