Berlin. Bis 2045 sollen Gebäude in Deutschland klimaneutral sein. Eine Studie beziffert die dafür nötigen Investitionen auf Billionenhöhe.
Es ist eine Herkulesaufgabe, vor der Millionen Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer, Wohnungsunternehmen und Genossenschaften und nicht zuletzt die Mieterinnen und Mieter in Deutschland stehen: Bis 2045 soll das Wohnen klimaneutral sein. Gleichzeitig aber sollen die Mieten bezahlbar bleiben oder für manche bereits heute überforderten Mieter erst noch werden, angesichts einer alternden Gesellschaft soll es zudem mehr altersgerechte Wohnungen geben.
Es sind große Spannungsfelder, die entstehen. Fest steht: Es wird teuer. Wie teuer genau hat nun die gemeinnützige Bauforschungseinrichtung Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) in einer Studie anlässlich des diesjährigen Wohnungsbautages untersucht.
Wohnen: Klimaschutz-Maßnahmen in Billionen-Höhe werden nötig
Die errechneten Summen sind gewaltig. Würde man pro Jahr 1,8 Prozent der bestehenden Wohngebäude bis zum Jahr 2045 auf einen Energieeffizienzhausstandard 115 sanieren, käme ein Investitionsvolumen zwischen 2,6 und 3,6 Billionen Euro zusammen. Der Energieeffizenzhausstandard 115 ist zwar ein hoher Standard für den Bestand, wird seit dem vergangenen Jahr aber im Neubau nicht mehr von der staatlichen Förderbank KfW gefördert. Im Neubau gelten längst höhere Standards.
Doch würde man alle Gebäude auf eine Energieeffizienz 55 und damit auf den Standard, dessen abruptes Förderende vor Kurzem heftige Kritik an der Bundesregierung ausgelöst hat, trimmen, lägen die Kosten laut der Studie bei bis zu 5,1 Billionen Euro.
Nach Einschätzung von Studienleiter Dietmar Wahlberg werden sich die jährlichen Fördersummen, die Bund und Länder für das Erreichen der Ziele zusteuern müssten, auf rund 30 Milliarden Euro pro Jahr.
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Wohnen: Nicht bei jedem Gebäude lohnt die Sanierung
Es stellt sich die Frage, wer das eigentlich bezahlen soll. Die Forscher aus Kiel haben daher auch nach Einsparpotenzialen Ausschau gehalten. Denn längst nicht bei jedem Haus lohnt sich die Sanierung.
Bundesweit gibt es rund 19,25 Millionen Wohnhäuser, das Gros davon sind mit etwas mehr als 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser mit insgesamt 19,2 Millionen Wohnungen. In den gerade einmal 3,2 Millionen Mehrfamilienhäusern befinden sich dagegen 21,7 Millionen Wohnungen.
Das Problem: 60,1 Prozent der Gebäude in Deutschland wurden vor 1979 und damit vor der ersten Wärmeschutzverordnung gebaut. Sie haben einen gewichtigen Anteil daran, dass jede vierte Terrawattstunde des Endenergieverbrauchs und fast jede fünfte Tonne der CO2-Emissionen in Wohngebäuden anfällt.
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4,1 Millionen Wohnungen lassen sich nicht wirtschaftlich modernisieren
Jede vierte Mietwohnung befindet sich dabei in einem Gebäude, das eine besonders schlechte Klimabilanz aufweist, also der Energieklasse G oder H entspricht. In solchen Häusern sei es bisweilen wirtschaftlich gar nicht darstellbar, klimafreundlich zu sanieren, merkt die ARGE an.
Von insgesamt 42,8 Millionen Wohnungen in Deutschland halten die Forscher unter Kostengesichtspunkten 4,1 Millionen Wohnungen für nicht modernisierungsfähig. Bei den Ein- und Zweifamilienhäusern würde sich bei rund 1,76 Millionen Häusern die Sanierung nicht lohnen. Besonders betroffen: Häuser, die zwischen 1958 und 1968 oder vor 1918 gebaut worden sind.
Große Lücke beim barrierefreien Umbau
Nicht nur unter Kostengesichtspunkten warnt die ARGE davor, alle Häuser auf die höchsten Energiestandards zu modernisieren. Viele Wohnungen entsprächen nicht mehr heutigen Anforderungen, heißt es in der Studie. Vor allem sei Deutschland nicht auf die alternde Gesellschaft vorberietet. Schon heute gebe es den Daten zufolge 3,1 Millionen Seniorenhaushalte, in denen mindestens eine Person mit Mobilitätseinschränkungen lebt – es gibt aber nur eine Million barrierefreie Wohnungen.
Die Situation wird sich auf absehbare Zeit verschärfen, warnen die Kieler Forscher: In 18 Jahren werde es 15,6 Millionen Seniorenhaushalte geben, fast jeder vierte werde mobilitätseingeschränkt sein. Der Bedarf an barrierefreien Wohnungen liege bis 2040 bei 3,2 Millionen Wohnungen, die Versorgungslücke bei mindestens 2,1 Millionen Wohnungen. Man müsse also 170.000 Wohnungen pro Jahr altersgerecht machen, wolle man dem demografischen Wandel gerecht werden. Kostenpunkt: 5 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr. Bisherige Förderprojekte sind meist schnell vergriffen.
Viele Familien wohnen in zu kleinen Wohnungen
Doch auch heute gibt es schon Probleme. Der Rat der Immobilienweisen warnte zu Wochenbeginn in seinem Frühjahrsgutachten davor, dass zunehmend Familien in Großstädten unter Druck geraten würden. Gerade Familien mit geringem Einkommen würden oftmals in zu kleinen Wohnungen leben.
Auch die ARGE kommt zu einer drastischen Einschätzung: Jeder zehnte Deutsche lebe in einer sogenannten überbelegten Wohnung. Heißt: Es gibt zu wenig Wohnfläche und daraus resultierend häufig inakzeptable hygienische Rahmenbedingungen.
Besonders betroffen seien armutsgefährdete Personen: Mehr als jede fünfte Person wohne laut den Kieler Forschern auf zu engem Raum. Die durchschnittliche Wohnfläche der überbelegten Wohnungen liege mit 20 Quadratmetern 60 Prozent unter der mittleren Wohnfläche pro Kopf, die im Jahr 2020 bei 47,4 Quadratmeter lag.
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Sanierungen könnten viele Mieter vor Probleme stellen
Kommen nun teure Sanierungen auf die Mieterinnen und Mieter zu, drohen Überlastungen. Die ARGE-Forscher beziffern die öffentlichen Kosten, die nötig wären, um Härtefälle bei der Miete zu verhindern, auf bis zu 8,1 Milliarden Euro pro Jahr – bei höheren Energiestandards sollten es sogar bis zu 14 Milliarden Euro sein.
Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds, appellierte an die Ampel-Koalition, das selbstgesteckte Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr umzusetzen. Dies könne nicht nur über den Neubau, sondern auch über den Ankauf von Wohnungen geschehen.
Bundesbauministerin Klara Geywitz nannte die 100.000 Sozialwohnungen ein "sehr ambitioniertes" Ziel. Ihr sei klar, dass es dafür mehr Förderung brauche als die bisher geplanten zwei Milliarden Euro pro Jahr. Auf eine konkrete Zahl wollte sich die SPD-Politikerin nicht festlegen -- um ihre Verhandlungsbasis bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen nicht zu schmälern, wie sie sagte.
Forscher schließen Abriss nicht aus
Mit Blick auf die Herausforderung, den Gebäudebestand klimaneutral zu machen, müsse es laut den Forschern also auch darum gehen, wie man die bestehenden Missstände beheben kann.
Deshalb schließen die Forscher auch einen Abriss und einen Neubau nicht aus – ein Vorgehen, das von vielen Experten kritisch gesehen wird. Denn Gebäude beinhalten die sogenannte graue Energie, also die Treibhausgasemissionen und den Energieverbrauch, die beim damaligen Bau angefallen sind.
Kaltmiete unter 13,50 Euro ist laut Studie bei Neubau derzeit nicht möglich
Reißt man Gebäude ab und baut sie neu, werde am Ende mehr Energie benötigt, als eingespart werden könne, wird argumentiert. Die ARGE hält dagegen: Auch die Qualität des vorhandenen Wohnraums müsse mitbedacht werden. Nicht nur Barrierefreiheit und ausreichend Wohnraum spiele eine Rolle, sondern auch die Baumaterialien. Laut der Studie befänden sich derzeit immer noch in bis zu einem Fünftel aller Gebäude Asbest in Bauteilen.
Nur sind Wohnungen in Neubauten längst nicht mehr für alle bezahlbar. „Eine frei finanzierte Vermietung lässt eine Kaltmiete von unter ca. 13,50 € auf dem aktuellen Kostenniveau kaum mehr zu“, schreiben die Forscher. Der Median bei den Investitionskosten liege schon heute bei 4.250 Euro. Binnen 20 Jahren haben sich die Baunebenkosten demnach beispielsweise verdoppelt, der technische Ausbau ist gar dreimal so teuer geworden.
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Umbau von Bürogebäuden würde Millionen neuer Wohnungen schaffen
Die Kieler Forscher schlagen daher alternative Wege vor. So ließe sich etwa mit dem Umbau bestehender Bürogebäude oder auch Aufstockungen günstig neuer Wohnraum schaffen. Auf bis zu 1,9 Millionen neue Wohnungen beziffert die ARGE die Potenziale, die durch das Umwandeln von Büroflächen, die durch das zunehmende Homeoffice überflüssig werden würden, entstehen würden.
Mit Dachaufstockungen auf bestehenden Wohngebäuden, aber auch über Supermärkten oder Einkaufshäusern, kämen weitere rund 2,6 Millionen neue Wohnungen hinzu. "So könnten vier Millionen Wohnungen geschaffen werden, bei denen keine zusätzliche Flächenversiegelung notwendig ist", sagte Studienleiter Dietmar Walberg bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag.
Die Kosten dafür wären laut ARGE beim Umbau deutlich günstiger als die neubaugleiche Modernisierung oder der Neubau.
Eine Büroumwandlung koste rund 1.280 Euro pro Quadratmeter zu schaffender Wohnfläche, bei der Aufstockung seien es rund 2.484 Euro. Zum Vergleich: Der Neubau kostet demnach rund 3.405 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, der Bestandsersatz mit Abriss und Neubau 3.616 Euro und die neubaugleiche Vollmodernisierung sogar rund 3.939 Euro.
Positiver Effekt: Dadurch, dass Synergien gehoben werden, es etwa weniger Pendelwege gibt, könnten durch die Umwandlung von Büro- und Gewerbeflächen in Wohngebäude pro Jahr rund 9,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
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Warmmietneutrale Modernisierung laut Forschern kaum möglich
In vielen Gebäuden ist eine Sanierung aber durchaus möglich und auch sinnvoll. Saniert wird dabei sehr unterschiedlich. Die Ein- und Zweifamilienhausbesitzer bessern den Daten zufolge öfter an ihren Häusern etwas aus, allerdings sind es oft Reparaturen oder Optimierungen im kleineren Bereich.
Mehrfamilienhäuser werden zwar seltener saniert, wenn die Sanierung aber angepackt wird, dann richtig. Gerade einmal rund 770.000 und damit nur vier Prozent der über 40 Jahre alten Mehrfamilienhäuser wurden noch gar nicht saniert – bei den Ein- und Zweifamilienhäusern sind es mit 3,19 Millionen unsanierten Gebäuden 16,6 Prozent.
Die von der Politik gelegentlich geäußerte Erwartung, dass nach einer Sanierung Mieterinnen und Mieter entlastet werden könnten, weil sie Energiekosten sparen, weisen die Kieler Forscher zurück. „Eine sogenannte „Warmmieten-neutrale“ Modernisierung mit spürbarem, energetischem Einspareffekt ist, entgegen gelegentlicher anderslautender Behauptung, in der Realität in der Regel nicht realisierbar“, schreiben sie.
Um im Wohnungsbau eine Tonne Treibhausgasemissionen einzusparen seien Investitionen zwischen 800 und 2.500 Euro pro Quadratmeter notwendig – das ließe sich nach einer Umlage auf die Miete nicht mit durch niedrigere Heizkosten einsparen.
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Höhere Energiestandards kosten Mieter bis zu 429 Euro mehr pro Jahr
Auch beim Neubau sparen Mieter demnach nicht. Im Gegenteil. Die höheren Herstellungskosten ließen sich nicht durch die geringen Betriebskosten ausgleichen. Auf einen durchschnittlichen 3-Personen-Haushalt auf 73 Quadratmetern Wohnfläche würde sich der höhere Energiestandard mit teils deutlichen Mehrkosten auswirken.
Im Energieeffizienzhausstandard 70 wären die Mehrkosten noch moderat mit 35 Euro pro Jahr, beim Effizienzhaus 55 wären es schon 175 Euro pro Jahr. Im Effizienzhaus 40 lägen die Mehrkosten bei 429 Euro pro Jahr. Bei vielen Gebäuden würden sich die Kosten erst nach über 50 Jahren durch Einsparungen amortisieren, bei manchen wären es laut der ARGE gar erst nach 83 Jahren so weit. Entsprechend halten die Forscher einen niedrigeren Standard zunächst für zielführend, will Deutschland seine Klimaziele erreichen.
Habeck dringt auf strengere Standards
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dagegen setzt mit Blick auf künftige Fördermodelle auf strenge Vorgaben. "Natürlich kann man auch ein schlecht saniertes Haus mit erneuerbaren Energien heizen und so auf Nullemission kommen", sagte der Vizekanzler beim Wohnungsbautag. Dann aber ginge die volkswirtschaftliche Rechnung nicht auf. Man brauche den grünen Strom auch, um die Industrie und den Verkehr klimaneutral zu gestalten. "Deshalb muss Effizienz nach vorne gestellt werden", mahnte Habeck.
Konkret betonte Habeck, dass die Zahl von derzeit 1,2 Millionen Wärmepumpen innerhalb der nächsten acht Jahre auf sechs Millionen Wärmepumpen gesteigert werden müsse. Viel Potenzial sieht Robert Habeck bei den Wärmenetzen: "Es ist viel einfacher, im System etwas zu verändern, als sich jede Ölheizung einzeln anzuschauen", sagte der Grünen-Politiker.
Es fehlt an Bauarbeitern und Handwerkern
Am Ende könnte die geplante Sanierungswelle aber an einer ganz anderen Hürde scheitern: Es fehlen Bauarbeiter und Handwerker, die die Pläne auch umsetzen können. „Die Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft beträgt ca. 80 Prozent, was einer Vollauslastung der baugewerblichen und bauindustriellen Kapazitäten entspricht“, heißt es in der Studie.
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) verwies darauf, dass die Bauwirtschaft in den vergangenen Jahren bereits 200.000 Vollzeitstellen aufgebaut habe.
Das reiche aber noch nicht aus, mahnte Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Baugewerkschaft IG BAU. Der Gewerkschaftschef will mit höheren Löhnen um Fachkräfte buhlen. „Der Wohnungsbau braucht Fachkräfte: Dazu muss der Bau als Arbeitsplatz noch einmal attraktiver werden. Um junge Menschen für eine Karriere auf dem Bau zu begeistern oder Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, muss der Bau faire und gute Arbeit, vor allem aber auch gute Löhne bieten.“
ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa rechnet mit rund 100.000 zusätzlichen Bauarbeiterinnen und Bauarbeitern, die nötig sein werden, um die Ziele zu erreichen. Möglichkeiten zur Personalgewinnung sei etwa eine Umschulung von Beschäftigten aus der Bergbauindustrie. Aber auch Zuwanderung von Fachkräften sei notwendig.