Hamburg. Die neue Astra-Sorte vereinigt drei Trends miteinander – und kommt ganz ohne Alkohol aus. Das kann ein Erfolgsrezept sein.

Die braunen, bauchigen Flaschen rasen so schnell durch die Etikettiermaschine in der Holsten-Brauerei, dass ihnen das Auge kaum folgen kann. Dahinter wird das Fließband breiter, die Flaschen auf ihm langsamer.

Als Nächstes werden sie in eine rote Kiste mit dem Aufdruck Astra gehoben. An diesem Vormittag füllen sie Kiezmische ab in Hausbruch, das Alsterwasser von der Hamburger Kult-Biermarke. Halb Astra, halb Zitronenlimo, 2,5 Prozent Alkohol. „60.000 Flaschen pro Stunde“, sagt Brauereidirektor Jan Freitag. Das sind mehr als 2200 Kisten mit je 27 der charakteristischen Knollen.

Astra bringt neues Getränk auf den Markt

Ein paar Tage zuvor ist erstmals eine andere Flüssigkeit durch die Leitungen der Füllanlage geflossen. Die gedrungenen Flaschen wurden mit grün-blauen Kronkorken verschlossen und mit einem knallig-bunten Etikett beklebt. Unter dem weißen Schriftzug Astra auf rotem Grund und dem Ankerherz-Markensymbol steht Granate Energy und 0,0% sowie Fruchtiger Kick, Geil Alkoholfrei. Es ist die neue, die fünfte, Astra-Sorte und die erste ohne Alkohol. Es ist ein Bier-Frucht-Mix und ein Energy-Drink zugleich, der in diesen Tagen in die Regale von Getränke- und Supermärkten kommt. Es ist die Antwort der Hamburger Brauer auf die Umwälzungen auf dem deutschen Biermarkt.

Und: „Es ist ein Getränk, das es so bisher noch nicht gab“, sagt Gunnar Fischer über Granate Energy. Fischer ist Geschäftsführer Marketing in der Hamburger Deutschlandzentrale von Carlsberg. Zum dänischen Mutterkonzern von Astra und Holsten gehören hierzulande unter anderem die Marken Lübzer, Duckstein, Carlsberg, Wernesgrüner. Allesamt sind sowohl mit fruchtigen Biermischungen als auch mit Sorten mit weniger als 0,5 Prozent Alkohol am Start. Bei Astra deckt seit 2015 das 5,9-prozentige Rakete mit „Citrus-Vodka-Aroma“ die zunehmend beliebte Biermisch-Schiene ab. Astra alkoholfrei? Gab es bislang nicht.

Astra ohne Alkohol blieb lange nur eine Plan

„Die Idee gab es schon lange. Aber sie ist in der Schublade geblieben“, sagt Fischer. Weil alkoholfrei und Astra nicht zusammenpassen und womöglich das Markenimage hätte beschädigen können? Fischer hat eine andere Erklärung: „Wir wollten nicht einfach mit etwas kommen, was der Markt schon kennt und haben uns gesagt: Wenn wir mit Astra mal etwas Alkoholfreies machen, wollen wir damit ein jüngeres Publikum erreichen.“

„Es ist ein Getränk, das es so bisher noch nicht gab“, sagt Carlsberg-Marketinggeschäftsführer Gunnar Fischer über das neue Getränk von Astra.
„Es ist ein Getränk, das es so bisher noch nicht gab“, sagt Carlsberg-Marketinggeschäftsführer Gunnar Fischer über das neue Getränk von Astra. © Michael Rauhe

Laut Etikett ist Granate Energy ein „Biermischgetränk mit 50 Prozent alkoholfreiem Bier und 50 Prozent koffeinhaltigem Erfrischungsgetränk mit Granatapfelgeschmack“. Der Fruchtgehalt beträgt 5,5 Prozent, neben Koffein sind auch die Wachmacher Guarana und Taurin drin.

Energy-Drinks werden immer beliebter

Im neuen Astra sind damit drei Trends auf dem Bier- und Getränkemarktmarkt vereinigt. Der Absatz von alkoholfreiem Bier mit 0,5 Prozent oder weniger legt seit Jahren zu. Zuletzt kam es auf 7,2 Prozent Marktanteil, der Deutsche Brauerbund erwartet weiteres kräftiges Wachstum. „Die Zuwächse bei den 0,0-Prozent-Sorten sind besonders groß“, weiß Marketingmanager Fischer.

Biermischgetränke zumeist mit Zusätzen wie Zitrone, Grapefruit, Orange legten 2021 beim Absatz ebenfalls zu und kommen inzwischen auf 5,2 Prozent Marktanteil. Und die angeblich belebenden und leistungssteigernden Energy-Drinks von Red Bull, Monster und Co. sind insbesondere bei jüngeren Konsumenten beliebt. Mittlerweile trinken fast neun Millionen Menschen hierzulande sie.

Mit dem Pils geht es abwärts

Beim Bier mit Alkohol dagegen geht es seit Jahren tendenziell bergab. Von der Pandemie wurde diese Entwicklung noch beschleunigt. So sank der Absatz der deutschen Brauereien im eigenen Land 2021 erneut – um 3,4 Prozent auf insgesamt 7,0 Milliarden Liter. Gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 waren es sogar 8,6 Prozent weniger. Für die Brauereien kam erschwerend hinzu, dass sie wegen der langen Lockdowns in der Gastronomie deutlich weniger Fassbier absetzen konnten. Damit verdienen die Hersteller sehr viel besser als mit Flaschenbier, das sie an Getränke- und Supermärkte liefern.

Im Jahresergebnis der Carlsberg Deutschland Holding GmbH hinterließ Corona Spuren: Der Absatz von Fassbier brach 2020 um die Hälfte ein. Das konnte durch Lieferungen an den Handel nicht komplett ausgeglichen werden, zeigt der jüngst veröffentlichte Konzernabschluss. Der Umsatz ging leicht auf gut 285 Millionen Euro zurück, der Verlust war mit 22,8 Millionen Euro etwas höher als 2019 und der gesamte Bierabsatz fiel von 2,59 auf 2,57 Millionen Hektoliter. 2021 sei es besser gelaufen, heißt es in der Zentrale in Othmarschen: In einem rückläufigen Markt habe Carlsberg 4,2 Prozent mehr im Handel abgesetzt und sei damit „eine der wenigen so erfolgreichen deutschen Braugruppen“ im vergangenen Jahr.

Wachstum in Süddeutschland

Astra kam noch besser durch die Pandemie. „Im Handel hat die Marke zwischen 2016 und 2021 im Schnitt um acht Prozent pro Jahr zugelegt“, sagt Fischer. Noch größer sind die Zuwächse im Süden Deutschlands. „In großen Studentenstädten funktioniert die Marke gut“, heißt es. In der Branche gilt Astra inzwischen nicht mehr als Regionalbier, sondern als nationale Marke. Die Leser des Branchenportals about-drinks.de kürten sie vor wenigen Wochen zur zweitbesten – hinter Krombacher und vor Beck’s.

Andererseits ist auf dem Heimatmarkt im Norden noch Luft nach oben und die Marktführerschaft fern. Mit 127.000 im Handel verkauften Hektolitern und 5,8 Prozent Marktanteil belegte Astra 2020 Platz fünf der erfolgreichsten Biermarken in Hamburg und Schleswig-Holstein. Hinter Holsten, den Handelsmarken der Supermarkt- und Discounter-Ketten sowie Flensburger – und weit hinter Krombacher. Vom Bier aus Nordrhein-Westfalen wird nördlich der Elbe fast doppelt so viel verkauft.

Das erste Bier mit Fanartikel-Shop

Das frühere Image des Bauarbeiter-Biers hat Astra mit witzig-schrill-schrägen Kampagnen und Werbegesichtern längst überwunden, das Marketing setzt auf St.-Pauli-Charme und Kiez-Folklore. „Immer ein bisschen drüber“, sagt Fischer. Seit 2014 verkauft der Astra-Shop online Fan-Artikel zum Kultbier wie Astra-Fußmatte, Herzanker-Schmuck, Seifenspender im Knollen-Look.

Bestseller ist der Hoodie mit Herzanker-Logo in ­3-D-Optik. Der Umsatz mit den Merchandising-Artikeln habe sich in den vergangenen fünf Jahren annähernd verzehnfacht, sagt ein Unternehmenssprecher, ohne absolute Zahlen zu nennen. Doch das Konzept geht offenbar auf, und Astra lieferte damit das Vorbild für die größere Schwester Holsten. Deren Fan-Shop startete 2020 mit eher seriöser Kleidung. Für andere Marken werde am Merchandising gearbeitet, heißt es.

Neue Astra-Sorte: Flasche oder Dose?

Mit Granate Energy zielt Astra nun vor allem auf die jüngere Zielgruppe. „Menschen, die Mate, Eistee, Energy-Drinks trinken und auch schon mal tagsüber Spaß aus der Flasche haben wollen – aber ohne Alkohol“, sagt Gunnar Fischer. Eine Art explodierender Granatapfel ziert das Etikett in Graffiti-Optik, das Erscheinungsbild und der leicht süßliche Geschmack wurden ausgiebig an Konsumenten getestet. Vor wenigen Tagen wurde die erste Kiste an einen Händler in Schleswig-Holstein ausgeliefert. Bis der Bier-Frucht-Energy-Drink flächendeckend im Handel ist, wird es noch einige Wochen dauern.

„Wo man heute Kiezmische findet, wird man voraussichtlich dann auch Granate Energy finden“, sagt der Marketing-Manager voraus. Entweder in der braunen Knollen-Flasche oder in der Dose mit ebenfalls 0,33 Liter Inhalt. Und auch die unverbindliche Preisempfehlung orientiert sich am Astra-Alster und an Astra-Rakete. Ein Kasten dürfte im Handel um die 14 Euro kosten, eine Flasche wohl meist 79 Cent.

Astra setzt auf Produkte mit dauerhaftem Erfolg

Und was kommt dann Neues? Ein Weizenbier mit Ankerherz? Ein Astra-Helles – der Biersorte, die in Deutschland ebenfalls eine Wachstumsgeschichte schreibt? Falls Gunnar Fischer da schon eine Idee haben sollte, lässt er sich jedenfalls nicht in die Karten gucken, seine Antwort bleibt vage: „Unsere Idee ist nicht, jedes Jahr etwas Neues auf den Markt zu bringen. Das, was wir machen, soll dauerhaft ein Erfolg sein.“