Hamburg. Gunther Bonz will die EU-Kommission verklagen – und spricht über seine Befürchtungen über Hamburgs riesiges Bauprojekt.

Gunther Bonz ist Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg (UVHH) sowie der europäischen Organisation der Hafenunternehmen Feport. Im Gespräch mit dem Abendblatt spricht er über Versäumnisse bei den Planungen zur Köhlbrandbrücke, seine nicht allzu großen Erwartungen an das Wachstum im Hamburger Hafen – und warum er eine Klage gegen die EU-Kommission vorbereitet.

Hamburger Abendblatt: Herr Bonz, die Corona-Krise scheint in vielen Ländern zu Ende zu gehen. Der Stau im Suezkanal wegen eines Schiffsunfalls ist mittlerweile schon ein Jahr vorbei. Warum gibt es immer noch Lieferengpässe? Warum klagt der Einzelhandel noch immer über mangelnde Waren?

Gunther Bonz: Aus zwei Gründen. Erstens ist es sehr schwierig, etwas an den gestörten Lieferketten zu ändern, weil aufgrund der in den verschiedenen Häfen der Welt immer wieder auftretenden Lockdowns die Schiffsfahrpläne außer Takt und leere Container nicht zeitgerecht am benötigten Ort sind. Das zweite ist, dass die Reedereien gar kein Interesse daran haben, freiwillig etwas an der Situation zu ändern, weil sie derzeit immens viel Geld verdienen. Das kann man ihnen auch nicht verdenken. Ich rechne nicht damit, dass sich die Lieferkettenproblematik in diesem Jahr wesentlich verbessern wird. Dazu ist das ganze System zu sehr in Schieflage.

Geben Sie den Reedereien eine Mitschuld an der Situation?

Bonz: Dazu verweise ich auf die US-amerikanische und die südkoreanische Regierung, die genau das behaupten. Die dortigen Vorwürfe sind, dass einige Reeder Schiffsraum verknappen und die außer Takt geratenen Fahrpläne nicht wieder einfangen. Deswegen haben südkoreanische Behörden bereits eine hohe Geldstrafe gegen mehrere Reedereien verhängt, und in den USA laufen Initiativen der Kartellbehörden und im dortigen Parlament. Es ist auf der Verladerseite ein unguter Wettbewerb um Schiffstransportkapazitäten entstanden, der die Preise extrem in die Höhe treibt. Das ist volkswirtschaftlich schädlich. Bei diesem Vorwurf müssen einige Reedereien ausdrücklich ausgenommen werden, wie zum Beispiel die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, die sich nach meiner Kenntnis sehr darum bemüht, die Pro­bleme in den Griff zu bekommen.

Was bedeutet das für die Häfen?

Bonz: Die leiden weltweit darunter, weil sie ihre Arbeitsabläufe an den Terminals kaum noch planen können, und weil die auf die verspäteten Schiffe wartende Exportladung die Häfen verstopft. Dabei steht der Hamburger Hafen noch ganz gut da, weil die Betriebe hier sehr flexibel auf die Situation reagiert haben. Aber auch hier ist die Mehrzahl der Schiffe aus dem Fahrplan.

Was kann man dagegen tun?

Bonz: Wie bereits gesagt hat Südkorea eine Kartellstrafe verhängt, mit der Feststellung dass einige Reeder ihre Marktmacht zulasten der dortigen Wirtschaft ausnutzen. In den USA haben Demokraten und Republikaner im Rahmen einer überparteilichen Gesetzesinitiative festgestellt, dass Reeder der dortigen Exportwirtschaft durch wettbewerbswidriges Verhalten einen Schaden zugefügt haben. Hier steht eine Gesetzesänderung an, die den Kartellbehörden mehr Rechte gegenüber den Reedern einräumen wird. Diese soll noch bis März beschlossen werden. Und was passiert in Europa? Nichts. Die Generaldirektion Wettbewerb der EU erachtet es nicht für nötig einzugreifen, noch nicht einmal eine Untersuchung zu starten. Sie ist keine objektive Wettbewerbshüterin, sondern in Teilen zu eng mit Schifffahrtsinteressen verwoben.

Das ist ein schwerer Vorwurf. Was sind Ihre Belege?

Bonz: Die Beweiskette ist lang. Sie beginnt mit den Gesetzesinitiativen der EU-Kommission zu Port-Package vor einigen Jahren, die faktisch zur Enteignung der Eigentümer von unabhängigen Terminals hätte führen können. Sie scheiterten trotz mehrerer Anläufe im EU-Parlament. Dann erlaubte die EU-Kommission die uneingeschränkte Bildung von Allianzen durch die Reedereien durch eine Ausnahmeverordnung, obgleich das europäische Kartellrecht solche Allianzen eigentlich gar nicht oder nur mit strengen Auflagen erlaubt. Vor gut drei Jahren wurde diese Ausnahme verlängert. Von den europäischen Häfen eingeforderte Zusatzbedingungen und Auflagen für kartellrechtliche Maßnahmen gegen einen möglichen Machtmissbrauch wurden von der EU-Kommission rüde abgebürstet. Uns gegenüber wurde vor wenigen Tagen eingeräumt, dass einige Entscheidungen der Kommission nicht im Einklang mit europäischem Recht sind, sogenannte inconsistencies. Dennoch lässt man es laufen – zum Schaden der europäischen Industrie.

Was werden Sie tun?

Bonz: Wir werden weiterhin massiven Druck auf die Kommission ausüben. Wir werden mit unserer europäischen Organisation Feport alle rechtlichen Mittel gegen die EU-Kommission ausschöpfen, auch die Generaldirektion Wettbewerb vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen, wenn sie nicht bis Ende März auf unsere Anträge reagiert. Leider muss der Hund zum Jagen getragen werden.

Und was können die Hamburger Hafenfirmen tun?

Bonz: Alle Betroffenen, Terminalbetriebe, Exporteure, Bahnoperateure, Trucker, Verlader, Spediteure müssen versuchen, mit hoher Flexibilität die Staus aufzufangen. Wir suchen mit deren Verbänden auch einen Schulterschluss, um gemeinsam den Druck auf die EU zu erhöhen und dem Nichtstun ein Ende zu setzen.

Der Hamburger Hafen ist im vergangenen Jahr kaum gewachsen. Wird es in diesem Jahr besser laufen?

Bonz: Nein, damit rechne ich nicht. Vielleicht gibt es ein minimales Plus, aber wir werden wieder beim Containerumschlag unter neun Millionen Standardcontainern hängen bleiben. Zu den Ungerechtigkeiten auf EU-Ebene kommt der harte Wettbewerb mit den Häfen Rotterdam und Antwerpen. Auch hier gibt es Ungleichbehandlungen, die insbesondere steuerlicher Natur sind.

Was meinen Sie damit?

Bonz: Ein Beispiel: Die Häfen von Rotterdam und Hamburg bewerben sich als Umschlagplatz für die Belieferung des neuen Tesla-Werks in Brandenburg. In Rotterdam muss die Einfuhrumsatzsteuer nicht im Voraus entrichtet werden, sondern erst bei Ablieferung der Ware am Zielort. In Hamburg muss sofort der Spediteur in Vorleistung gehen. Das sind Kosten von mehreren Millionen Euro im Jahr, die einen erheblichen Wettbewerbsnachteil bedeuten. Zudem hat die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission unter Verstoß gegen europäisches Verfahrensrecht reedereigenen Terminals unter anderem in Rotterdam und Antwerpen massive Steuerprivilegien in Millionenhöhe bewilligt. Auch die Störung der Lieferketten wird uns weiter belasten.

Sie erwarten auch nicht, dass die Fertigstellung der Elbvertiefung einen besonderen Schub bringt?

Bonz: Ohne die Elbvertiefung wäre die Lage schlechter. Die Elbvertiefung wird uns auch mittelfristig im Wettbewerb sehr helfen. Da aber weiter Chips fehlen, worunter insbesondere die Automobilproduktion leidet, kann auch nicht mehr exportiert werden. Das wirkt sich auf unseren Hafenumschlag aus. Zweitens kommt hinzu, dass wir nach der Abschaltung des Kohlekraftwerks Moorburg Millionen Tonnen an Kohleumschlag einbüßen. Das ist politisch gewollt, und darüber beklagen wir uns auch nicht. Wir müssen dies aber bei der Bewertung der Umschlagbilanzen berücksichtigen. Und bei den alternativen Energien sind wir in Hamburg noch nicht so richtig zu Potte gekommen

Moment. Die Wirtschaftsbehörde plant die Einrichtung eines großen Importterminals für Wasserstoff im Hafen. Zählt das nicht?

Bonz: Doch. Und dabei verdient Wirtschaftssenator Westhagemann unser aller Unterstützung. Nur bis das real so weit ist, dass hier Wasserstoff umgeschlagen werden kann, wird es noch einige Jahre dauern. Und auch hier drohen wir den Anschluss zu verlieren. In Rotterdam wird noch in diesem Jahr mit dem Bau des von Shell und Thyssenkrupp geplanten Wasserstoffterminals begonnen. Was die Versorgung mit flüssigem Erdgas (LNG) betrifft, haben wir den Anschluss leider jetzt schon verloren, unter anderem weil die notwendigen Genehmigungsvoraussetzungen von der grün geführten Umweltbehörde nicht geschaffen worden sind. Eine weitere große Energiespeicherart, mit der international gearbeitet wird, ist Ammoniak. Hierzu gibt es noch gar keine politische Positionierung des Hamburger Senats. Wir müssen auf eine Entscheidung im Rahmen des Hafenentwicklungsplans warten.

Ein großes Problem für den Hafenverkehr ist die Baufälligkeit der Köhlbrandbrücke. Beunruhigt Sie, dass die Finanzierung eines künftigen Köhlbrandtunnels als Ersatz noch nicht steht?

Bonz: Uns beunruhigt vor allem die Aussage, dass die Köhlbrandbrücke ab 2030 nur noch äußerst eingeschränkt befahrbar sein wird. Bis dahin sind es nicht einmal mehr acht Jahre. Aber bis heute ist noch nicht geklärt, wie dieses riesige Bauprojekt organisiert wird. Welche Behörde, welche Einheit wird es federführend betreuen? Ist es die Hamburg Port Authority oder doch eine Tochtergesellschaft? Auch die Deges als Autobahnplanungsgesellschaft des Bundes wird genannt, oder die Verkehrsbehörde? Das muss schnellstens geregelt werden. Es gibt zudem keinerlei Vereinbarung mit dem Bund, wer die Planungskosten bezahlt. Ich gehe hier von mindestens 100 Millionen Euro aus.

Darauf bleibt wohl Hamburg sitzen ...

Bonz: Ist das so? Hamburg hat mit dem Bund eine Vereinbarung getroffen, wonach die Köhlbrandbrücke zur Bundesstraße hochgestuft wurde. Das bedeutet: Der Bund kassiert jetzt munter Lkw-Maut für diese Brücke. Da muss man mit ihm eine Vereinbarung zur Beteiligung an den Planungskosten für einen Neubau treffen.

Ein anderes Problem ist die neue Rethebrücke. Sie hat allein im Januar dieses Jahres schon wieder vier kurzfristige technische Störungen gehabt. Unmut gibt es auch in der Hafenwirtschaft, dass die Fundamente der abgerissenen alten Rethebrücke immer noch den Schiffsverkehr behindern. Warum sind die Hafenfirmen so verärgert?

Bonz: Die jüngste Ankündigung der Hafenbehörde, dass die Fundamente der alten Vorgängerbrücke erst im Jahr 2025 beseitigt sein werden, bedeutet, dass das Projekt am Schluss 17 Jahre gedauert hat. 17 Jahre um eine alte Brücke durch eine neue zu ersetzen und die Durchfahrtsbreite für Schiffe zum Beispiel mit konventionellem Stückgut von 44 auf 64 Meter zu erhöhen. 17 Jahre für 20 Meter. Damit ist Hamburg nicht wettbewerbsfähig. Sogar der kleine niedersächsische Hafen Braake hat uns in der Zwischenzeit überholt und einen höheren Umschlag mit konventionellem Stückgut als wir. Das ist unsere Kritik. Und was die häufigen technischen Ausfälle betrifft habe ich meine ganz persönliche Meinung: Die neue Brücke war von Anfang an eine Fehlkonstruktion.

Sie haben in der Vergangenheit heftig das Sedimentmanagement der Hafenbehörden kritisiert. Wie zufrieden ist der UVHH mit dem Schlickbaggern derzeit?

Bonz: Wir leiden darunter, dass in den vergangenen Jahren zu wenig Sedimente aus dem Kreislauf heraus in die Nordsee gebracht worden waren. Diese Last schleppen wir vor uns her. Nach unseren Erkenntnissen ist Wirtschaftsstaatsrat Andreas Rieckhof im Gespräch mit dem Bund und den Nachbarländern sehr weit, um Schlickablagerungsplätze im Mündungsgebiet der Elbe zu realisieren. Er hat den richtigen Weg beschritten und offenkundig einige grundlegende Entscheidungen herbeigeführt. Dazu gebührt ihm unser aller Dank.