Hamburg. Immer mehr Schifffahrtskonzerne investieren in Flugzeuge. Sie wollen ihre Position beim Transport von Gütern stärken. Ergibt das Sinn?

Auf den Weltmeeren sind Linienreedereien zu Hause. Hier kennen sie sich aus – auch in fast jedem Hafen. Doch nun wachsen ihnen auch noch Flügel. Immer häufiger verkünden Reedereien den Einstieg ins Luftfahrtgeschäft. Jüngstes Beispiel ist die derzeit nach Transportkapazitäten größte Schifffahrtsgesellschaft der Welt, MSC. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Genf hat angekündigt zusammen mit Lufthansa die italienische Fluggesellschaft ITA Airways (früher Alitalia) übernehmen zu wollen. Für Lufthansa ergibt ein solcher Schritt Sinn. Aber für MSC?

Die drittgrößte Reederei CMA CGM hat vor Kurzem eine eigene Luftfahrtfirma namens CMA CGM Air Cargo gegründet. Der französische Konzern unterzeichnete dazu eine Vereinbarung mit Airbus über die Lieferung von zunächst vier Frachtflugzeugen des Typs A350F. Diese sollen der bereits bestehenden Flugzeugflotte von fünf A330-200F hinzugefügt werden.

Schifffahrt: „Die Kassen der Reedereien sind prall gefüllt"

Vor einigen Wochen hatte zudem die zweitgrößte Reederei der Welt, Maersk, die Übernahme des größten privaten deutschen Luftfrachtanbieters, der Hamburger Spedition Senator International, bekannt gegeben. Senator hat seinen Hauptsitz am Flughafen Fuhlsbüttel. Maersk steigt durch die Übernahme in die Top Ten der nach Frachtmenge größten Luftfrachtspeditionen in Deutschland auf. Größter Senator-Kunde ist der Autohersteller BMW. Aber was verleitet die maritime Branche zu diesen ungewöhnlichen Expansionen?

Zum einen sind die Schifffahrtskonzerne derzeit finanziell liquide, aufgrund knappen Schiffsladeraums und exorbitant hoher Transportraten schreiben sie Milliardengewinne. „Die Kassen der Reedereien sind prall gefüllt. Das Geld muss angelegt werden“, sagt der Hamburger Logistik-Professor Jan Ninnemann. Da sei es nur logisch, dass die Reedereien perspektivisch andere Geschäftsfelder in den Blick nähmen und sich breiter aufstellen wollten. „Zumal das klassische Schifffahrtsgeschäft, das sehr schwankend verläuft, vor Corona nicht so ergiebig war.“ Zudem bemühten sich mehrere Reedereien, ihre Anteile in der Logistikkette über den reinen Seetransport hinaus zu erweitern.

Hapag-Lloyd will nicht in Luftfahrt einsteigen

„Senator ist beispielsweise ein wichtiger Transporteur für BMW. Der Automobilhersteller benötigt für seine Produktion nicht nur irgendwelche Fahrzeugteile, die in Ruhe vier Wochen über das Meer schippern können, sondern auch Hightech-Teile, die innerhalb kürzester Zeit in der Produktion irgendwo auf der Welt verfügbar sein müssen“, sagt Ninnemann. Insofern ergebe die Übernahme von Senator für Maersk durchaus Sinn. Der Konzern könne mehr Wertschöpfung generieren.

Die Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd hat nach eigenem Bekunden derzeit noch kein Interesse daran, in die Luftfahrt einzusteigen. Doch viele Branchenexperten sind überzeugt davon, dass die Luftfracht stark an Bedeutung zunehmen wird – genau dies sei der Grund für das Engagement der Reedereien. Das Passagiergeschäft werde auch nach Corona eine kleinere Rolle spielen. Dann würden vermehrt Passagier- zu Frachtfliegern umgerüstet, heißt es.

Hype beim Luftfrachtgeschäft Corona geschuldet

Jan Tiedemann, Schifffahrtsexperte des Branchendienstes Alphaliner mit Hauptsitz in London, erwartet indes kaum Synergien für die Reedereien, wenn sie ins Luftfrachtgeschäft einsteigen. „Dafür sind die Transportarten zu unterschiedlich.“ Aus logistischen Gründen wäre es zu aufwendig, Seeladung mit Lufttransporten zu kombinieren. Zudem sei der Hype, der derzeit im Luftfrachtgeschäft bestehe, eher Corona geschuldet, so Tiedemann. „Da geht es vor allem um den Transport von Impfstoffen und Schutzkleidung, die wegen der Pandemie benötigt werden.“ Denkbar sei aber, dass Reedereien einfach als Geldanlage in Flugzeuge investierten.