Hamburg. Mehrere Anbieter liefern keine Energie mehr. Wie Verbraucher zu einem neuen Versorger kommen und Schadenersatz fordern können.

Immer mehr Stromanbieter können ihre Kunden nicht mehr beliefern, und manche schaffen es nicht einmal, schnell ihre Verbraucher zu benachrichtigen. So erging es Stromio-Kunde Frank C. „Von Stromnetz Hamburg erfuhr ich, dass ich in die Ersatzversorgung bei Vattenfall gefallen bin“, sagt C. Während Stromio seine Versorgung schon im Dezember 2021 einstellte, wurde der Hamburger erst im Januar vom Versorger informiert.

Eingestellte Versorgung, Insolvenz des Anbieters, exorbitante Preiserhöhungen während der Laufzeit – der Ärger mit den Energie­versorgern reißt nicht ab, und Wechselmöglichkeiten zu günstigeren Anbietern gibt es kaum noch. Wie reagieren Verbraucher auf Belieferungsstopp? Wie teuer ist die Ersatzversorgung? Können Kunden Schadenersatz verlangen? Wo gibt es noch günstige Tarife? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Strom Hamburg: Wie ist die Lage bei den Energiediscountern?

„Mehr als 30 Anbieter haben die Belieferung eingestellt oder sind in Insolvenz gegangen“, sagt Matthias Moeschler, Betreiber­ der Internetseite Verbraucherhilfe-Stromanbieter. Den Discountern wurde zum Verhängnis, dass sie ihren Strom zum Teil kurzfristig einkaufen und die Preise sprunghaft gestiegen sind.

Allein Stromio hatte bundesweit eine Million Kunden und auch Tausende davon in Hamburg. Dem Unternehmen wurde der sogenannte Bilanzkreisvertrag gekündigt. Das geschehe meist, wenn Anbieter dem Netzbetreiber keine Zahlungen mehr leisten oder keine Sicherheiten stellen können, sagt Moeschler.

Stromanbieter: Erhalten Verbraucher Schadenersatz?

Solange das Unternehmen keine Insolvenz angemeldet, aber die Belieferung eingestellt hat, ist das möglich. Denn meist zahlen die Kunden jetzt einen höheren Preis, als sie bei ihrem alten Anbieter vereinbart hatten. „Der Schadenersatz hängt vom genauen Verbrauch ab, den man zunächst nur abschätzen kann“, sagt Jan Bornemann, Energieexperte der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Basis für die Berechnung ist der Tarifunterschied zwischen altem und neuem Tarif und die ursprünglich vereinbarte Laufzeit. „Diese Ansprüche sollte man anmelden“, rät Bornemann.

Wie werden Ansprüche durchgesetzt?

Nach den Erfahrungen von Moeschler macht Stromio teilweise sehr niedrige Vergleichsangebote. „Man muss entscheiden, ob einem das genügt, oder weitere Schritte unternehmen“, sagt Matthias Moeschler. Verbraucherschützer Bornemann rät zunächst in einem weiteren Schritt die Schlichtungsstelle Energie einzuschalten. In Zusammenarbeit mit Moeschler bereitet die Berliner Legal-Tech-Firma Veneko die erste Sammelklage gegen Stromio und Gas.de vor.

Wer sich beteiligen will, geht kein Kostenrisiko ein, aber Veneko und Moeschler sichern sich eine Erfolgsprovision von einem Drittel des erstrittenen Betrages, wenn die Klage Erfolg hat. „Solche Dienstleister sind nicht ungewöhnlich und von Schadenersatzansprüchen bei Flugverspätungen bekannt“, sagt Bornemann. „Man sollte sich nur vorher informieren, welchen Einfluss man noch hat, wenn man seine Schadenersatzansprüche abgetreten hat.“ Das kann von Bedeutung sein, wenn ein Vergleich angestrebt wird, der einem zu niedrig erscheint.

Strom Hamburg: Was macht man nach einem Lieferstopp?

„Zunächst würde ich dem Lieferstopp widersprechen und das Unternehmen zur Vertragstreue aufrufen, auch wenn das keine praktischen Konsequenzen hat“, rät Bornemann. Schadenersatzforderungen können bereits angekündigt werden, sie verjähren erst nach drei Jahren. Einzugsermächtigungen und Daueraufträge sollten gekündigt werden, rät Moeschler.

Sechs Wochen nach Lieferstopp muss das Unternehmen eine Schlussrechnung vorlegen. Stromio-Kunden müssten sie also jetzt schon haben. Guthaben müssen bis zum 17. Fe­bruar ausgezahlt sein. Auch eventuelle Boni müssen zumindest anteilig erstattet werden, was Stromio auf seiner Internetseite auch versichert hat.

Wie teuer ist die Ersatzversorgung in Hamburg?

Kunden, die durch Insolvenz oder Lieferstopp ihres Versorgers in den Basis­tarif von Vattenfall fallen, zahlen 33,31 Cent je Kilowattstunde (kWh) und einen monatlichen Grundpreis von 11,05 Euro. Bei einem Verbrauch von 4000 kWh beläuft sich die Jahresenergierechnung auf 1466 Euro. „Es gibt aktuell keine Entscheidung über eine Anpassung des Preises der Grundversorgung“, sagt eine Sprecherin von Vattenfall.

Anders als viele andere Grundversorger hat Vattenfall keine unterschiedlichen Basistarife für bisherige und neue Kunden, die von ihrem Versorger im Stich gelassen wurden. „Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, die wir ausdrücklich begrüßen“, sagt der Hamburger Verbraucherschützer Bornemann. „Getrennte Grundversorgungstarife für Neukunden, die etwa doppelt so teuer sind, wurden von knapp der Hälfte der rund 800 Grundversorger in Deutschland eingeführt“, sagt eine Sprecherin des Vergleichsportals Verivox.

Die Grundversorger fühlen sich von den Tausenden Neukunden überfordert, für die sie keinen Strom langfristig beschaffen konnten. Vattenfall hat sich offenbar darauf vorbereitet: „Dass immer mehr Discounter in Schieflage geraten könnten, war seit Herbst letzten Jahres erwartbar“, sagt die Vattenfall-Sprecherin. „Eine genaue Vertriebsmengen­planung und jahrelanges Know-how bei den Beschaffungsprozessen ist sicherlich auch ein Vorteil gegenüber vielen Mitbewerbern.“ Allein im Dezember hat Vattenfall in Hamburg 20.000 „gestrandete“ Kunden neu aufgenommen. Nach einer Auswertung des Portals Verivox hat die Hansestadt mit 29,3 Prozent innerhalb von zwölf Monaten den geringsten Anstieg bei den Strompreisen im Bundesgebiet.

Im Schnitt müssen für 4000 kWh 1626 Euro im Jahr bezahlt werden. In Hamburg sind es 160 Euro weniger. „Die Strompreise in Deutschland befinden sich auf einem historischen Allzeithoch. Noch nie mussten Verbraucher hierzulande so viel für Elektrizität ausgeben“, sagt Verivox-Energieexperte Thorsten Storck. „Ein Plus von 40 Prozent innerhalb von nur zwölf Monaten übersteigt die Belastungsgrenze vieler Haushalte in Deutschland. Zuvor erstreckte sich ein Anstieg in dieser Höhe über zwölf Jahre.“

Strom Hamburg: Wie lange muss man in der Ersatzversorgung bleiben?

Die Ersatzversorgung dauert maximal drei Monate. Die Kunden können also jederzeit zu einem günstigeren Anbieter oder einen anderen Tarif des Grundversorgers wechseln. Für die Beendigung der Ersatzversorgung gibt es keine Kündigungsfrist.

Der Hamburger C. hat sich inzwischen auch einen neuen Versorger gesucht. Was ihn aber ärgerte, war der hohe Abschlag, den er bei Vattenfall in der Ersatzversorgung zahlen sollte. 260 Euro im Monat statt bisher 70 Euro bei Stromio. Mit einem höheren Preis lässt sich das nicht begründen. „Dafür müssten wir den konkreten Fall prüfen“, sagt die Vattenfall-Sprecherin. „Wir als Stromvertrieb kennen die Verbrauchshistorie von Neukunden nicht. Die Abschläge werden anhand des vom Netzbetreiber angegebenen Jahresverbrauches an der Lieferstelle errechnet.“ Man könne aber die Abschlagszahlungen eigenständig (online oder beim Kundenservice) innerhalb vorgegebener Grenzen anpassen.

Gibt es noch günstigere Tarife als denjenigen von Vattenfall?

Selbst wer erst einmal in der Ersatzversorgung und nach drei Monaten in der Grundversorgung verbleibt, vergibt keine großen Einsparungen. Auf dem Vergleichsportal Verivox werden die günstigsten Tarife für den Standort Hamburg von Vattenfall bestimmt.

Mit dem Tarif Easy 12 Strom spart man gegenüber der Grundversorgung gerade noch 11 Euro im Jahr, wenn man die bescheidenen Boni von 20 Euro im Jahr nicht mitberücksichtigt. Der Verbrauchspreis ist mit 32,80 Cent/kWh geringfügig niedriger als in der Grundversorgung. Dafür ist der Grundpreis mit 11,90 Euro monatlich etwas höher. Jahrespreis: 1455 Euro.

Stromanbieter: Wie kann man noch an günstige Tarife kommen?

Das Informationsportal Verbraucher­hilfe-Stromanbieter veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem Energiemakler Ennux täglich die günstigsten Strom­tarife. „Offenbar wollen die Anbieter im Moment nicht mit ihren günstigsten Tarifen auf die großen Vergleichsportale gehen“, sagt Moeschler, der die Internetseite betreibt. Für Hamburg findet sich lediglich ein Tarif, der noch günstiger ist als Vattenfall. Im Tarif EprimoStrom PrimaKlima kosten 4000 kWh 1403 Euro im Jahr. Abschließen kann man den Tarif allerdings nur über die Internetseite von Moeschler.