Hamburg. Das Abendblatt stellt vor: Fünf Wahrheiten über Inflation. Alles wird teurer, vor allem Energie – ein historischer Vergleich lohnt sich.

Für viele Hamburger ist es ein regelrechtes Reizwort: Inflation erscheint ihnen geradezu als persönliche Zumutung. Das mag daran liegen, dass die Deutschen ein Volk von Sparern sind, die ihr Geld gerne möglichst risikolos auf einem Bankkonto anlegen – wo es bekanntlich schon seit vielen Jahren keine nennenswerten Zinsen mehr abwirft.

Offizielle Daten liefern derzeit reichlich Zündstoff. So sind die Verbraucherpreise in Hamburg Ende 2021 um gut fünf Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. In der gesamten Bundesrepublik wird die Inflationsrate im Dezember nach Angaben des Statistischen Bundesamts voraussichtlich 5,3 Prozent betragen. Eine höhere Teuerungsrate war zuletzt im Juni 1992 mit damals 5,8 Prozent errechnet worden.

Geld: Ärmere sind von der Inflation besonders betroffen

Doch was bedeutet eine so kräftige Inflation eigentlich? Gibt es auch Profiteure? Hier die fünf Wahrheiten des Abendblatts zur Inflationsrate:

Die Inflation scheint höher als sie ist

Wie so vieles in diesen Tagen haben auch die derzeit ausgewiesenen Inflationszahlen mit der Pandemie zu tun. Ganz offensichtlich wird das am Beispiel der Mehrwertsteuer: Die Bundesregierung hatte zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise ihren Satz zwischen Anfang Juli 2020 und Ende Dezember 2020 von 19 Prozent auf 16 Prozent abgesenkt, der ermäßigte Steuersatz – unter anderem auf Lebensmittel – wurde von sieben auf fünf Prozent reduziert. Jeder Jahresvergleich mit einem Preis aus dieser Zeitspanne, in der die Verbraucherpreise sogar zurückgingen, ist also aufgrund dieses Effekts verzerrt. Doch die Teuerungsrate war schon im April 2020 wegen spürbar nachlassender Nachfrage deutlich gesunken und sie blieb bis ins erste Quartal 2021 hinein niedrig. Dafür sorgten nicht zuletzt die Energiekosten. So war der Ölpreis wegen der schwachen Konjunktur auf den tiefsten Stand seit rund 20 Jahren gefallen.

Um ein klareres Bild des Inflationstrends ohne solche sogenannten Basis­effekte zu erhalten, ergibt eine Zwei-Jahres-Betrachtung Sinn: Vergleicht man die Hamburger Verbraucherpreise aus dem November 2021 mit denen vom November 2019 – also vor Beginn der Pandemie – und teilt die Differenz durch zwei, ergibt sich eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,5 Prozent. Diese Zahl liegt nicht mehr sehr weit über den rund zwei Prozent, die die Europäische Zentralbank (EZB) als Zielwert ansieht. Zwar ist die Inflation im Jahresdurchschnitt 2021 mit 3,1 Prozent auf den höchsten Stand seit fast drei Jahrzehnten geklettert. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass sie zu D-Mark-Zeiten in etlichen Jahren oberhalb von fünf Prozent lag – nur waren damals eben auch die Zinsen hoch.

Jeder hat seine eigene Inflationsrate

„Inflation ist nicht nur eine wichtige makroökonomische Größe, sondern auch eine zutiefst persönliche Erfahrung der einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher“, heißt es vom Statistischen Bundesamt. Wie stark jeder Einzelne von der Teuerung betroffen sei, hänge vom Konsumverhalten ab. Ein augenfälliges Beispiel dafür liefern die Kaltmieten. Sie machen zwar mit knapp 20 Prozent den mit Abstand größten der rund 650 Posten des Warenkorbs aus, an dem die Statistiker die Teuerungsrate messen. Wer aber nicht gerade umzieht und keine Staffel- oder Indexmiete zahlt, spürt bei diesen 20 Prozent des Warenkorbs gar keine Veränderung.

Auch die enorme Verteuerung der Energie im zurückliegenden Jahr wirkt sich auf die Verbraucher durchaus unterschiedlich aus. „Die EZB schätzt, dass mehr als die Hälfte des aktuellen Preisanstiegs auf die Energiepreise zurück­zuführen ist“, erklärt dazu Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann. Heizen muss natürlich jeder. Ist man aber Mieter bei einer großen Wohnungsgesellschaft oder Genossenschaft, so darf man darauf hoffen, dass diese mittels längerfristiger Verträge das aktuelle Hochschießen etwa der Gaspreise wenigstens teilweise abpuffern können.

Um klarzumachen, wie sehr die Teuerungsrate von den persönlichen Verhältnissen abhängt, hat das Statistische Bundesamt eine Rechnung aufgemacht: Von zwei Haushalten mit Konsumausgaben von je 3000 Euro wendet der eine monatlich 150 Euro für den Pkw sowie 230 Euro für Kraftstoff und Fahrzeugwartung auf, der andere gibt für die Mobilität ebenfalls 380 Euro im Monat aus, ist aber ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Nun musste der autofahrende Haushalt im vergangenen November mit einer persönlichen Inflationsrate von 5,6 Prozent rechnen, während sie für die ÖPNV-Nutzer bei nur 4,4 Prozent lag. Außer den Tankrechnungen sorgten Pauschalreisen, die sich im Jahresvergleich um 9,7 Prozent verteuerten, und der Autokauf (Preisanstieg 7,8 Prozent) für besonders hohe individuelle Inflationswerte.

Inflation sorgt für Umverteilung

Tendenziell belastet eine hohe Teuerungsrate alle Personen mit einem geringen oder mittleren Einkommen stärker als die Reicheren. Auch dies belegen Statistiken. So gaben im Jahr 2020 Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1300 Euro im Schnitt 95 Euro für Wohnenergie (Heizung, Strom und Warmwasser) aus, das ist ein Anteil von 9,5 Prozent an den Konsumausgaben. Dagegen lag der Anteil bei Haushalten der höchsten Einkommensklasse, also mit monatlich mindestens 5000 Euro, mit 4,7 Prozent nicht einmal halb so hoch. Steigen die Kosten für die Wohnenergie, trifft das die Geringverdiener somit überproportional hart. Zudem dürften die vermögendsten Hamburger auch Immobilienbesitzer sein – und ein Eigenheim verliert durch Inflation nicht an Wert. Das Gleiche gilt für Aktien, die ebenfalls zu den Sachwerten zählen und von der Teuerungsrate unberührt sind, anders als ein Sparkonto. Studien des Deutschen Aktieninstituts zeigen, dass Personen mit höheren Einkommen ihr Geld eher in Aktien oder Fonds anlegen als Menschen mit niedrigeren Einkommen. Inflation bewirkt also auf verschiedenen Wegen eine Umverteilung von unten nach oben.

Inflation ist nicht nur schlecht

Auch wenn eine hohe Teuerungsrate große Teile der Bevölkerung finanziell belastet, ist das Gegenteil der Inflation, die sogenannte Deflation, der größte Schrecken der Ökonomen. Denn wenn die Preise über längere Zeit sinken sollten, halten sich Verbraucher mit größeren Anschaffungen zurück, weil sie darauf setzen, das Produkt bald noch günstiger zu bekommen. Als Folge davon bricht die Nachfrage ein, was eine Abwärtsspirale in der Wirtschaft auslösen kann. Es ist daher kein Zufall, dass die EZB eine Preissteigerung von etwa zwei Prozent für wünschenswert ansieht.

Abgesehen davon gibt es bei erhöhten Inflationsraten auch Gewinner – allen voran die Staatskassen. Denn Staaten sitzen in der Regel auf erheblichen Schuldenbergen. Inflation lässt aber auch das Bruttoinlandsprodukt wachsen, sodass der Schuldenstand im Vergleich zur Wirtschaftsleistung des Landes geringer wird. Voraussetzung für einen solchen Effekt ist, dass die Inflationsrate die Zinsen übersteigt. Insofern profitieren die Bürger wenigstens indirekt, über die Entlastung des Staatshaushalts, von einer hohen Teuerungsrate.

Lohnentwicklung und Inflation – der Vergleich lohnt sich

Für abhängig beschäftigte Arbeitnehmer ist nicht nur die Veränderung der Inflation und der Zinsen relevant, sondern vor allem auch die Entwicklung des Einkommens. Historisch gesehen haben die sogenannten Reallöhne in der Geschichte der Bundesrepublik von 1950 bis in die Mitte der 1970er-Jahre im Schnitt um mindestens vier Prozent pro Jahr zugelegt. Das bedeutet: Die Löhne stiegen um mindestens vier Prozentpunkte stärker als die Verbraucherpreise, auch wenn es in einzelnen Jahren Reallohneinbußen gab. Seit den 1980er-Jahren sind die Abstände kleiner geworden. Von 2004 bis 2007 mussten die Arbeitnehmer sogar durchgehend Kaufkraftverluste hinnehmen. Nach Ansicht von Experten kann das mit Effekten der Globalisierung zusammenhängen. Zudem wurde damals die „Agenda 2010“, die eine Ausweitung der Zeitarbeit erlaubte, wirksam. Doch auch im Jahr 2020 war die Bilanz für die Beschäftigten wegen der Corona-Krise deutlich negativ, 2021 dürften die Reallöhne angesichts der hohen Inflations­raten bestenfalls stagniert haben.