Hamburg. Besonders kleine Geschäfte kämpfen um ihre Existenz, digitale Konzerne und Supermärkte wachsen. Fachkräfte werden gesucht.

Erst der monatelange Corona-Lockdown bis Ende Mai, dann die Sommermonate mit zurückkehrenden Kunden und jetzt zum Ende im wichtigen Weihnachtsgeschäft wieder deutlich rückläufige Zahlen wegen strengerer Zugangsregeln nur für Geimpfte oder Genesene in den Geschäften. Auch das zweite Pandemie-Jahr 2021 macht großen Teilen des Hamburger Handels schwer zu schaffen.

Knapp die Hälfte der Unternehmen in der Metropolregion hat im Zuge der Krise starke Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, ergab eine Umfrage der Commerzbank unter Einzelhändlern, die Anfang Dezember veröffentlich worden war. Fast jeder vierte war oder ist in der Existenz bedroht. Betroffen sind vor allem inhabergeführte Modeboutiquen, Schuhläden, Juweliere, aber auch große Handelsketten beklagen schlechtere Geschäfte als vor Corona. Die Angst vor einer Pleitewelle wächst.

Einzelhandel Hamburg: „Umsätze sind keine Gewinne“

Zwar werden nach der Prognose des Handelsverbands Deutschland (HDE) die Umsätze im Einzelhandel 2021 um zwei Prozent wachsen. „Aber das heißt nicht, dass es dem Handel gut geht. Umsätze sind keine Gewinne“, sagt die Hamburger Geschäftsführerin Brigitte Nolte. Hinzu kommt, dass die Entwicklungen sehr unterschiedlich sind. „Wir haben inzwischen praktisch eine Dreiteilung im Einzelhandel“, so die Branchenexpertin. „Es ist vor allem der stationäre Non-Food-Handel, der darbt.“ In diesem Jahr werden erneut Verluste erwartet.

Die Pandemie wirkt dabei wie ein Brennglas für den sich abzeichnenden Umbruch – und beschleunigt im Gegenzug das Wachstum im Onlinehandel. Das Marktvolumen könnte nach HDE-Pro­gnose in Deutschland erneut um 20 Prozent zulegen – auf 87 Milliarden Euro. Im Norden wächst der Bereich demnach auf 23,1 Milliarden Euro.

Lebensmittelhandel verzeichnet ein Plus

Zweiter großer Gewinner ist der Lebensmittelhandel. Für das Kalenderjahr 2021 erwartet der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels ein Plus von 2,3 Prozent, bei einem Gesamterlös von 247 Milliarden Euro. Der Corona-Turbo beflügelt das Geschäft mit den Lebensmitteln in einer Phase, in der die Branche ohnehin stark expandiert. In den vergangenen drei Jahren hat allein Deutschlands größerer Lebensmittelhändler Edeka 50 neue Filialen in Norddeutschland eröffnet.

Aktuell sind alle Handelsketten auf der Suche nach geeigneten Immobilien für neue Standorte, hatte eine Abendblatt-Umfrage vor einigen Wochen ergeben. Auch der Onlinehandel mit Nahrungsmitteln wächst in der Pandemie, ist aber mit zwei Prozent Umsatzanteil noch ein zartes Pflänzchen – mit großem Potenzial wie die Starts von neuen Lieferdienste à la Gorillas, Flink & Co. zeigen.

About You plant weitere Einstellungen

Die unterschiedlichen Auswirkungen von Corona spiegeln sich auch auf dem Arbeitsmarkt wider. Spitzenreiter im Bereich Handel in der aktuellen Abendblatt-Arbeitgeber-Umfrage ist mit 9253 Mitarbeitern (plus 150) in Hamburg erneut die Otto Group, zu der große Onlinehändler wie Otto und Bonprix gehören. Auch der stark expansionsorientierte Börsenneuling About You, an dem der Handels- und Dienstleistungskonzern beteiligt ist, heuert kräftig neu an und hat Ende des laufenden Jahres 1300 Beschäftigte. Ein Jahr zuvor waren es erst 1000 Beschäftige. Weitere Einstellungen sind geplant. Ein weiteres Indiz dafür, wie wachstumsorientiert der boomende Onlinehandel ist.

Auch im Lebensmittelhandel sind die Beschäftigtenzahlen gestiegen. Der Edeka-Verbund mit Sitz in Hamburg etwa hat sein Personal um hundert Mitarbeiter aufgestockt und sucht in der Hansestadt weiter neue Fachkräfte für Verkauf, Logistik und den IT-Bereich. Auch bei der Bäckereikette Junge stieg die Zahl der Beschäftigten in diesem Jahr um knapp 300 auf 4250 bundesweit, davon exakt 1004 in Hamburg. Dagegen sind bei stationär ausgerichteten Modehändlern wie P&C und H&M, dem Schuhhaus Görtz oder dem schwedischen Möbelkonzern Ikea gleich oder weniger Männer und Frauen in der Stadt beschäftigt.

Einzelhandel Hamburg: „Überall werden Fachkräfte gesucht“

Insgesamt ist die Zahl der sozialversicherten Beschäftigten im Hamburger Einzelhandel nach aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur seit Beginn der Pandemie aber um drei Prozent auf 69.000 im Mai 2021 gesunken. 2021 wurden bislang 2745 freie Stellen in dem Bereich gemeldet. Auch bei Onlineportalen wie Stepstone oder Indeed gibt es Offerten für mehrere Hundert freie Jobs – teilweise mit zusätzlichen Leistungen wie Mitarbeiterrabatten, zusätzlichen Urlaubstagen und Fahrkostenzuschüssen. „Überall werden Fachkräfte gesucht“, sagt Brigitte Nolte. „Die Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen.“