Hamburg. Präsident Hjalmar Stemmann spricht über Nachwuchssorgen, Materialknappheit und gibt dem Senat Punkte für die Corona-Politik.

Die traditionelle Jahresschlussversammlung mit Hunderten Gästen in der Hamburger Handwerkskammer fällt auch in diesem Jahr aus. Kammerpräsident Hjalmar Stemmann sagt im Abendblatt-Interview, was sich die Branche vom Senat wünscht, was geschehen muss, damit die Stadt ihre Klimaziele erreicht. Und er macht einen überraschenden Vorschlag.

Hamburger Abendblatt: Herr Stemmann, Deutschland droht wegen der Omikron-Variante die fünfte Corona-Welle. Ist es nicht an der Zeit für die Handwerkskammer eine allgemeine Impfpflicht zu fordern, wie es viele Verbände und Unternehmen bereits getan haben?

Hjalmar Stemmann Ein einzelner Unternehmer – auch der Kammerpräsident persönlich – kann eine Impfpflicht richtig finden, aber zum gesetzlichen Aufgabenspektrum der Handwerkskammer als öffentlich-rechtlicher Körperschaft gehört diese Frage leider nicht. Eine politische Position im Namen aller Hamburger Handwerkerinnen und Handwerker dürfte die Kammer aus rechtlichen Gründen nicht verabschieden. Unabhängig davon gilt: impfen, impfen, impfen, denn Gesundheitsschutz ist Betriebsschutz.

In der Vergangenheit haben Sie den Senat wegen einer verwirrenden und uneinheitlichen Corona-Politik kritisiert. Sehen Sie das weiterhin so?

Mit den aktuellen Vorgaben sind wir im Rahmen des Möglichen zufrieden. Natürlich bedeuten sie Einschränkungen, aber ohne Einschränkungen wird es nicht funktionieren. Das müssen wir akzeptieren. Zurzeit haben wir zumindest eine Gleichbehandlung der verschiedenen Handwerksbereiche in der Stadt. Darüber sind wir ganz froh. Eine Gleichbehandlung aber auch mit den umliegenden Bundesländern wäre wichtig, so dass Kunden nicht nach Schleswig-Holstein abwandern, weil dort zum Beispiel Dienstleistungen erlaubt sind, die in Hamburg nicht zulässig sind. In der Vergangenheit war das zeitweise ja leider so.

Auf einer Skala von null bis zehn – wie viele Punkte geben Sie der Corona-Politik des Senats?

Über alles gesehen überwiegt für mich das Licht den Schatten. Von daher: sieben Punkte.

Was kann und sollte der Senat in der Corona-Politik besser machen?

Die Politik befindet sich seit vielen Monaten in einer Extremsituation und macht grundsätzlich einen guten Job. Jetzt mit dem erhobenen Zeigefinger zu sagen „Das könntet ihr aber besser machen“, ist nicht fair. Aber: Freitags eine Verordnung zu veröffentlichen, die dann ab Sonnabend umgesetzt werden muss – so etwas darf es künftig nicht mehr geben. Das verursacht verständlicherweise erheblichen Missmut bei den Betrieben und erschwert uns die Beratung unserer Mitgliedsunternehmen. Besser wäre es bei zu erwartenden weiteren Maßnahmen bereits im Vorfeld mit den Vertretern der betroffenen Wirtschaftsbranchen in Dialog zu treten.

Die neue Bundesregierung hat sich ehrgeizigere Ziele beim Klimaschutz gesetzt. Das Handwerk klagt aber schon länger über einen Fachkräftemangel auch in den Klimaberufen. Was nun?

Wenn wir es nicht gemeinsam schaffen, mehr junge Menschen und Fachkräfte auch aus anderen Ländern für die Klimahandwerke zu gewinnen, werden diese ehrgeizigen Klimaziele nicht umsetzbar sein. Das haben wir im kleineren Maßstab ja schon erlebt, als in Hamburg zum 1. Juli die Pflicht eingeführt wurde, bei einem Heizungstausch auch regenerative Energiequellen zu nutzen. Da gab es einen Umsetzungsstau. In solche Staus werden wir wieder hineinkommen, wenn die Ziele sehr kurzfristig umgesetzt werden sollen, und wenn wir nicht genug Menschen dafür haben. Wir haben der Umweltbehörde schon im November 2019 vorgeschlagen, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen, um zu besprechen, was getan werden muss. Wir werden jetzt im Februar 2022 endlich diesen runden Tisch haben. Das ist längst überfällig.

Das hört sich an, als solle es mal wieder der Staat richten. Den Firmen winken viele Aufträge. Da ist es doch zuerst deren Aufgabe, Fachkräfte und Nachwuchs zu gewinnen.

Wir rufen ja nicht blind nach dem Staat, und wir wollen diese Aufgabe nicht auf ihn abwälzen. Das Handwerk will gemeinsam mit der Politik und den Behörden etwas zum Positiven bewegen. Wir müssen an einem Strang ziehen, um dieses gemeinsame Ziel zu erreichen. Denn das Fachkräftethema ist auch eine wirtschaftspolitische Standortfrage.

Ein ganz klassisches Mittel, Arbeits- und Nachwuchskräfte zu gewinnen, wären höhere Löhne. Empfehlen Sie das den Firmen?

Das passiert ja bereits. Die Entgeltsteigerungen in diesen Berufen sind überproportional hoch. Die Nachfrage ist groß, das Angebot ist klein, also steigen die Preise, in diesem Fall die Löhne. Im Bereich Sanitär, Heizung, Klima, dem größten Ausbildungsberuf in den Klimahandwerken, sind trotz Corona im vergangenen Jahr vier Prozent mehr neue Ausbildungsverhältnisse geschlossen worden.

Im Handwerk insgesamt sind die Ausbildungszahlen in beiden Corona-Jahren aber zurückgegangen. Sind Sie optimistisch, dass sich das 2022 wieder ändert?

Ich bin vorsichtig optimistisch. Die Zahl der offenen Lehrstellen für das kommende Jahr ist derzeit höher als am Jahresende 2020. Wir haben schon jetzt mehr als 1000 offene Ausbildungsplätze für 2022. Rund die Hälfte davon übrigens in den verschiedenen Klimaberufen. Ich hoffe, dass wir auch ausreichend viele Bewerber dafür finden werden und nicht wie in den Vorjahren viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Wir stellen aber fest, dass – sicherlich auch motiviert durch Fridays for Future – das Bewusstsein bei jungen Menschen dafür gestiegen ist, wie wichtig es ist, beim Klimaschutz mit anzupacken. Wer vor der Berufswahl sagt, er wolle „irgendwas mit Klima“ machen, den können wir nur einladen. Im Handwerk kann man Every day for Future arbeiten und die Klimawende auf viele Jahre hinaus aktiv mitgestalten. Wir wollen aber auch versuchen, junge Leute auf neuen Wegen zu erreichen und für das Handwerk zu begeistern.

Was schwebt Ihnen da vor?

Zum Beispiel ein Pop-up-Store in der Innenstadt, in dem junge Leute Handwerk kennenlernen, tischlern, schrauben, löten oder schweißen können. Und sich im besten Fall letztlich für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden. Um die Innenstadt zu beleben, werden ja bereits mit Unterstützung der Stadt leerstehende Ladenflächen an Kulturschaffende vergeben. Das ist eine tolle Idee, die auch wir gern umsetzen würden. Wir denken an eine Art Maker Space. Motto: Machen ist wie wollen – nur krasser.

Sind das Gedankenspiele oder ist das ein konkreter Plan?

Die Idee ist noch ganz neu. Wir werden dazu in diesen Tagen ins Gespräch mit der Stadt gehen und unser Interesse anmelden.

Viele Unternehmen klagen über Materialmangel. Wie lange wird das noch so sein?

Das ist neben Corona und dem Personalmangel das dritte große Hemmnis für das Handwerk. Die Materialknappheit hat beim Holz angefangen, das hat sich zumindest teilweise wieder normalisiert. Aktuell gibt es aber eine Knappheit bei Dämmmaterialien, Kunststoffrohren und elektronischen Bauteilen Das führt dazu, dass manche im Grunde fertig installierten Heizungen monatelang nicht in Betrieb genommen werden können, weil ein, zwei Elektronikteile fehlen. Ich vermute, das wird uns noch über das Jahr 2022 hinaus beschäftigen.

Viel Kritik aus dem Handwerk gab es zuletzt an der Verkehrsbehörde. Hat das dort zu einem Umdenken geführt?

Anfangs hatten wir tatsächlich den Eindruck, dass die neue Behörde bei der Schaffung neuer Radwege, der Ausweisung von Bewohner-Parkgebieten und beim Erlass von Durchfahrtsverboten die besonderen Belange des Handwerks gar nicht auf dem Schirm hat. Die Sperrung des Jungfernstiegs war dabei der Höhepunkt der institutionalisierte Realitätsferne. In der Kommunikation mit der Behörde hat sich inzwischen viel verbessert, wir finden dort Gehör. Man versteht dort jetzt, welche Notwendigkeiten es für das Handwerk gibt.

Sind sich Kammer und Behörde auch inhaltlich näher gekommen?

Wir sind an verschiedenen Punkten vorangekommen. Bei den Bewohner-Parkgebieten haben wir aber noch eine Baustelle. In Mischgebieten werden die Parkberechtigungen nur an die Bewohner ausgegeben, nicht an die langjährig ansässigen Betriebe, die ihre Fahrzeuge aber auch tagsüber in der Nähe der Firma parken müssen. Da sind wir mit der Behörde weiter in Gesprächen über eine endgültige Lösung. Ich bin optimistisch, dass es dazu kommt. Wir haben zumindest schon mal eine Zwischenlösung gefunden, die ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Was wünschen Sie sich vom Senat im neuen Jahr?

Er muss Handwerksverkehr und Klimaschutz zusammen denken: Wenn etwa der Heizungsinstallateur Aufträge ablehnt, weil er nicht beim Kunden parken kann, rutschen wir in eine Umsetzungskrise. Das ist eine ganz reale Gefahr. Und der Senat muss Handwerksinfrastruktur und Städteplanung zusammen denken: Wenn die Bürgerinnen und Bürger wohnortnah mit handwerklichen Produkten und Dienstleistungen versorgt werden sollen, gibt es keine Alternative, als Handwerkern bezahlbare Flächen anzubieten. Nach wie vor findet aber eher eine Verdrängung der Betriebe statt.