Hamburg. Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur Hamburg, spricht über Kurzarbeit, Fachkräftemangel und die Jobchancen 2022 in der Hansestadt.
Mit knapp 87.000 Arbeitslosen wurde in diesem Jahr im Februar die höchste Zahl an Jobsuchenden registriert. Seitdem nahm die Zahl der Arbeitslosen kontinuierlich ab – trotz der Corona-Pandemie.
Im virtuellen Interview spricht Sönke Fock, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Hamburg, über eine überraschende Entwicklung in diesem Jahr, die Arbeitsmarktperspektiven für 2022 und die Bedeutung der Kurzarbeit.
Hamburger Abendblatt: Was hat Sie in diesem Jahr am meisten überrascht?
Sönke Fock: Eine so stetige Abnahme der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr bis in den November 2021 hinein hatten wir nicht erwartet. Das war eine positive Überraschung, obwohl die breiten Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen erst im Mai erfolgten und neue Beschränkungen im Herbst griffen. Ein neuer Rekordwert bei der Arbeitslosigkeit wie im vergangenen Jahr mit rund 91.000 Arbeitslosen blieb uns dennoch erspart. Mit aktuell rund 71.000 Arbeitslosen ist zwar das Vor-Corona-Niveau vom März 2020 mit 67.000 Jobsuchenden noch nicht wieder erreicht, aber was die Zugänge in Arbeitslosigkeit und die Abgänge in Beschäftigung betrifft, so haben wir schon wieder eine Dynamik wie vor Corona.
Schaut man sich die Durchschnittswerte der Arbeitslosenzahlen an, so gibt es doch jetzt 15.000 Arbeitslose mehr als 2019. Wie bewerten Sie das?
Fock: Das ist richtig. Wir hatten 2019 im Schnitt 64.800 Arbeitslose und werden in diesem Jahr voraussichtlich einen Wert von 80.400 erreichen. Aber die Durchschnittswerte zeigen auch nicht den positiven, abnehmenden Trend.
Was sind die Gründe für diese Entwicklung?
Fock: Wir gehen davon aus, dass mit der Kurzarbeit 100.000 Arbeitsplätze in Hamburg gerettet werden konnten. Sie ist nach wie vor das wichtigste Mittel zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes. Die Hürden zur Inanspruchnahme wurden deutlich gesenkt und diese Sonderregelungen gelten nun auch bis Ende März 2022. Außerdem haben die Betriebe ein Fachkräfteproblem und ein starkes Interesse daran, ihre Mitarbeiter zu halten. Wenn die Lage schwierig ist, nutzen sie also eher die Kurzarbeit als sich schnell von qualifizierten Mitarbeitern zu trennen. Das Hoch der Kurzarbeit wurde in diesem Jahr im Februar 2021 mit rund 125.000 betroffenen Mitarbeitern erreicht. Nach den Hochrechnungen waren zuletzt nur noch rund 40.600 Hamburger von Kurzarbeit betroffen.
Aber die Kurzarbeit wird wieder zunehmen?
Fock: Angesichts der erneuten Beschränkungen müssen wir davon ausgehen, dass es noch einmal zu einem Anstieg der tatsächlich in Anspruch genommenen Kurzarbeit in den Bereichen Gastronomie, Hotels, Messen, Veranstaltungen, Ausstellungen, Kultur und Schaustellergewerbe kommt. Aber wir nehmen auch wahr, dass im zweiten Jahr der Corona-Pandemie die Reserven in diesen Branchen aufgebraucht sind, die Liquiditätssituation sich noch mal verschlechtert hat. Für die weitere Entwicklung hängt viel davon ab, ob sich diese Betriebe noch einmal für Kurzarbeit entscheiden.
Wie geht es weiter am Arbeitsmarkt?
Fock: Die positive Entwicklung über viele Monate wird spätestens mit den Zahlen für Januar 2022 gestoppt. Eine Belebung wird es erst wieder im Frühjahr geben und das ist davon abhängig, wie lange die Corona-Eindämmungsmaßnahmen anhalten. Wenn die Betriebe und die Konsumenten zuversichtlich bleiben, dann sollten wir im Schnitt weniger als 80.000 Arbeitslose im nächsten Jahr haben.
Wie viele Kurzarbeiter müssen mit Hartz IV aufstocken?
Fock: Auch hier gibt es einen positiven Trend. Während im vergangenen Jahr noch 9600 Kurzarbeiter aufstocken mussten, sind es in diesem Jahr 6250 Betroffene.
Wie können die vielen Langzeitarbeitslosen wieder in Beschäftigung kommen?
Fock: Mit der Pandemie hat auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den Jobsuchenden zugenommen, also jene, die mehr als zwölf Monate nach einer neuen Anstellung suchen. Wir haben jetzt mit rund 27.000 Betroffenen etwa 10.000 Langzeitarbeitslose mehr als im März 2020. Ihr Anteil unter allen Arbeitslosen liegt bei 37,6 Prozent. In Krisen fallen die Stellen für Un- und Angelernte zuerst weg. Die Erfahrung zeigt, dass sich ein Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit eher nach Jahren als nach Monaten bemisst. Frühestens im zweiten Halbjahr 2022 oder 2023 rechnen wir mit einer Entspannung bei den Langzeitarbeitslosen.
Können die Betroffenen nicht qualifiziert werden?
Fock: An Angeboten fehlt es nicht. In diesem Jahr werden etwa 9500 Arbeitslose in Hamburg beruflich qualifiziert, darunter finanzieren wir 1700 Umschulungen. Davon profitieren vor allem die Branchen Gesundheit und Pflege, Verkehr und Logistik und die Sicherheitsbranche. Aber eine mehrjährige Qualifizierung muss man sich auch leisten können. Viele hoffen daher auf eine schnelle Beschäftigungsaufnahme in einem Job, wo sie wieder mehr verdienen.
Hamburg hat mehr als eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wird dieses Niveau zu halten sein?
Fock: Innerhalb von zwölf Monaten konnte durchweg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg bei mehr als einer Million gehalten werden. Auch in der Pandemie sind in Hamburg rund 12.000 neue Stellen innerhalb eines Jahres entstanden, die aber nicht nur von Arbeitslosen besetzt werden. Die öffentliche Verwaltung und Sozialversicherung hat 2600 neue Stellen geschaffen, in der Kommunikationsbranche entstanden 3000 Jobs. Da Hamburg ein sehr attraktiver Arbeitsort ist, der viele Firmen anzieht, denke ich, die eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind auch 2022 zu halten.
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Wie ist die Situation am Ausbildungsmarkt?
Fock: Die Pandemie hat die Suche nach Ausbildungsplätzen stark beeinträchtigt. Persönliche Gespräche zur Orientierung und Vorstellung bei Arbeitgebern oder aber Schulpraktika in den Betrieben fanden in der Regel nicht statt. Praktisch alle Ausbildungsmessen mussten abgesagt werden. Stattdessen tauschen sich nun alle Akteure per Videokonferenz, schriftlich oder auch telefonisch aus. Das läuft auch gut, aber diese Kommunikationswege ersetzen nicht das direkte persönliche Gespräch auf einer Messe, in der Berufsagentur oder im Betrieb mit dem Meister. Dennoch konnten 17.636 Jugendliche eine Ausbildung beginnen. Das sind fast so viele wie im Vorjahr. Für das Folgejahr wurden uns schon 5800 Ausbildungsstellen gemeldet, das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahr.
Wie sieht es beim Fachkräftemangel aus?
Fock: Wer 2022 mit seiner Ausbildung oder einem Studium startet, muss nicht fürchten, keinen Arbeitsplatz zu finden. Corona hat am Fachkräftemangel nichts geändert. Unternehmen sollten auch in dieser schwierigen Zeit ihre Fach- und Führungskräfte halten, denn das Fachkräfteangebot geht aufgrund des demografischen Wandels stetig zurück. Allein in Hamburg werden innerhalb der kommenden zwölf Jahre etwa 165.000 dieser berufserfahrenen Fach- und Führungskräfte in einem Alter von 55 Jahren und älter in den Ruhestand gehen.