Lüneburg/Hannover/Harburg. Lüneburger Verwaltungsrichter setzen neue Corona-Regel außer Kraft. Das Verordnungschaos sorgt für großen Unmut.
In Niedersachsen darf wieder jeder ohne Impfpass oder Armbändchen einkaufen: Die höchsten Verwaltungsrichter in Niedersachsen haben die 2G-Regel im Einzelhandel aufgehoben.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg sah die Beschränkungen im Einzelhandel als Anti-Corona-Maßnahmen der Landesregierung in der jetzigen Infektionslage für nicht notwendig zur Abwehr des Coronavirus. Sie verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Damit hebelten die Lüneburger Richter einmal mehr eine Corona-Verordnung aus. In diesem Fall war es eine die gerade mal seit einigen Tagen galt.
Harburger Landrat fordert Planungssicherheit
Genau dieses Verordnungschaos sorgt bei vielen für Unmut. Auch in den Rathäusern der Region. „Die dauernden Veränderungen, die Kurzfristigkeit, mit der neue Corona-Regeln kommen, bereitet immer wieder Probleme. Oftmals ist gar nicht mehr klar, was gerade gilt“, kritisiert beispielsweise Harburgs Landrat Rainer Rempe. Neue Vorschriften seien nicht immer logisch nachvollziehbar, wie das OVG Lüneburg für die 2G-Regelung gerade festgestellt habe und darüber hinaus auch schwer zu kontrollieren. Er fordert: „Die Kreise brauchen Planungssicherheit, um sich auf neue Situationen einstellen zu können.“
Bürgermeisterinnen aus der Region üben Kritik
Ähnlich klingt es aus Buxtehude. Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt reagierte auf das Urteil und die neue Situation als erste der Verwaltungsoberhäupter in der Region. In einer Pressemitteilung erklärt sie: Nach aktueller Rechtslage sind diese Regelungen im Einzelhandel außer Kraft gesetzt. Nachweise nicht mehr nötig. „Damit ist der alte Zustand wiederhergestellt“, so Oldenburg-Schmidt. „Dieses Hin und Her bedauern wir sehr.“ Sie bedankt sich ausdrücklich beim Buxtehuder Handel, den Interessensvertretungen Altstadtverein, Wirtschaftsverein und der Firma Stackmann für die spontane und äußerst kooperative Zusammenarbeit im Vorwege. Innerhalb weniger Stunden hätten sich Stadtverwaltung und lokaler Handel auf eine Bändchen-Lösung geeinigt, die die Umsetzung der in der Corona-Verordnung festgesetzten 2G-Regelung erleichtern sollte. Also das, was nun wieder nicht mehr gilt. „Die aktuelle Verordnungslage führt für alle Beteiligten mittlerweile zu einer unzumutbaren Belastung, die nicht mehr nachzuvollziehen ist“, sagte Oldenburg-Schmidt.
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Auch in Lüneburg hatten sich Stadt, Marketingverein und Citymanagement auf ein Blaues Bändchen mit der Aufschrift „Deine Stadt“ verständigt. Das sollte es Kunden, Händlern und Kontrolleuren leichter machen, die 2G-Regel im Einzelhandel zum Weihnachtsgeschäft umzusetzen. Die Rolle rückwärts sorgt auch in Lüneburg für Verdruss. „Wer soll da noch mitkommen? Es kostet alle Beteiligten Kraft und Aufwand, um die Regeln im Blick zu behalten und gute Lösungen zu entwickeln“, sagt Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch. Sie empfiehlt, die blauen Lüneburg-Bändchen auf freiwilliger Basis weiter zu nutzen – zumal diese teils in der Außengastronomie sowie auf den privaten Weihnachtsmärkten als Nachweis akzeptiert würden.
Weil: Niedersachsen hat jetzt Sonderrolle in Deutschland
Während Verwaltungen und Händler Planungssicherheit fordern, fürchtet Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, dass nun vermehrt Menschen ohne Corona-Impfung ins Land kommen könnten. Niedersachsen habe mit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg jetzt eine Sonderrolle in Deutschland, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Alle anderen Länder haben 2G im Einzelhandel. Ich hoffe nicht, dass das zu einem Einkaufstourismus der besonderen Art führt, weil ungeimpfte Menschen in Niedersachsen shoppen gehen können.“
Der Regierungschef betonte, es gehe ihm nicht um eine Urteilsschelte. Er wies allerdings darauf hin, dass die 2G-Regel für den Einzelhandel in Schleswig-Holstein gerichtlich bestätigt worden sei. Über neue Corona-Auflagen für die Geschäfte werde die Landesregierung jetzt sehr kurzfristig entscheiden, kündigte er an. „Ich kann ausschließen, dass es so weitergeht wie bisher nur ohne 2G.“ Die verschärften Corona-Maßnahmen seien insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Virusvariante Omikron notwendig. „Ich bin wirklich tief besorgt über die Ausbreitung von Omikron. Wir stehen vor der wahrscheinlich größten Herausforderung der Pandemie.“
Woolworth hatte vor dem Verwaltungsgericht geklagt
Auch Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens bedauerte die Entscheidung des Gerichts: „Ich bin allerdings weiterhin der Überzeugung, dass die Fortführung dieser Maßnahme der Bedrohungslage angemessen und auch infektiologisch notwendig gewesen wäre.“ Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund der fortschreitenden Ausbreitung der Omikron-Variante. „Aufgrund der aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft habe ich die große Sorge, dass sich alle ungeimpften Niedersächsinnen und Niedersachsen innerhalb kurzer Zeit mit dieser neuen Variante des Virus infizieren könnten“, so die SPD-Politikerin. Damit wären unweigerlich auch mehr schwere Krankheitsverläufe verbunden. Eine solche Entwicklung könnte das stark belastete Gesundheitssystem nur schwer verkraften. Behrens appellierte an die Einzelhändler, gegebenenfalls übers Hausrecht Zugangsbegrenzungen zu erlassen. Die Landesregierung will nun zeitnah die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske für alle Kunden im Einzelhandel prüfen.
Die Lüneburger Richter bleiben mit dem Urteil ihrer kritischen Linie zu den von der Landesregierung verhängten Einschränkungen treu. Es gebe kein schwerwiegendes öffentliches Interesse, 2G im Einzelhandel fortzusetzen, schrieb das Gericht. Auch die anderslautende Einigung von Bund und Ländern auf 2G im Einzelhandel reiche nicht als Begründung. Das Gericht nannte diese Beschlüsse von Anfang Dezember eine „maßgeblich politische Festlegung“.
Lüneburger Richter: Untaugliche Maßnahme gegen Corona
Vor dem Oberverwaltungsgericht geklagt hatte die Woolworth GmbH, die auch in Niedersachsen Einzelhandel in Filialen mit einem Mischsortiment betreibt. Der 13. Senat nannte mehrere Gründe, warum er 2G im Einzelhandel als untaugliche Maßnahme zur Eindämmung des Virus werte. Es gebe zu viele Ausnahmen – die weitaus meisten Kontakte fänden im Lebensmittelhandel statt. Auch der Vergleich mit Restaurant- oder Konzertbesuchen oder mit Sport trage nicht. In einem Laden hielten sich die Kunden kürzer auf, sie seien weniger körperlich aktiv.
„Zudem könnten die Kunden, wie in vielen anderen Alltagssituationen, auch im Einzelhandel verpflichtet werden, eine FFP2-Maske zu tragen“, schrieb das Gericht. Wenn die Läden das korrekte Tragen dieser Masken kontrollierten, werde dies „das Infektionsrisiko derart absenken, dass es nahezu vernachlässigt werden könne“.
Stattdessen bringe 2G erhebliche Grundrechtseinschränkungen für ungeimpfte Kunden wie für die Ladenbesitzer. In der Kombination von einem beherrschbaren Infektionsgeschehen, einer geringen Wirkung zum Infektionsschutz und Grundrechtseingriffen erweise sich 2G im Einzelhandel „derzeit als unangemessen“.
Mitte Dezember hatte das OVG bereits die 2G-plus-Regel für Besuche beim Friseur, bei der Fußpflege oder bei anderen körpernahen Dienstleistungen gekippt. Ende November hatte das Gericht geurteilt, dass die Corona-Verordnungen des Landes bislang immer auf einer tauglichen Rechtsgrundlage beruhten. Aber einzelne Maßnahmen seien überzogen gewesen, zum Beispiel die Schließung von Autowaschanlagen im Frühjahr 2020.