Hamburg. Experten befürchten schockartige Finanzierungsprobleme der Rente. Früher in den Ruhestand zu gehen, wird immer teurer.
Bei der staatlichen Rente bleibt auch unter der neuen Bundesregierung zunächst einmal alles so, wie es ist. Dringend zu lösende Probleme werden nicht konkret angegangen, auch wenn es Überlegungen gibt, zumindest einen Teil der Rente über Aktien zu finanzieren. Immer weniger Beitragszahler kommen auf immer mehr Rentner, die ihre Altersbezüge immer länger beziehen. Experten befürchten schockartige Finanzierungsprobleme. Fünf Wahrheiten über die gesetzliche Rente:
Die beitragsfinanzierte Rente ist schon heute eine Illusion
Die neue Bundesregierung hat noch einmal alles getan, um künftige Rentner in Sicherheit zu wiegen. So sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner ersten Regierungserklärung: „Wir sichern das Mindestrentenniveau bei 48 Prozent. Wir sehen auch keine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze vor.“ Das heißt, es bleibt beim Rentenbeginn mit 67 Jahren (ab Jahrgang 1964).
Beim Rentenniveau handelt es sich um das Verhältnis des sogenannten Standardrentners, der 45 Jahre eingezahlt hat, zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten auf Basis von Nettowerten. Danach kann der statistische Eckrentner, der immer auf Durchschnittsniveau verdient hat, mit gut 1500 Euro Altersrente rechnen. Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge sind dabei schon abgezogen, Steuern können aber noch fällig werden.
Schon jetzt lässt sich dieses Rentenniveau nur halten, weil die Ausgaben der Rentenversicherung mit 75 Milliarden Euro im Jahr 2020 aus dem Bundeshaushalt gestützt wurden, was einem Anteil von 21 Prozent entspricht (s. Grafik). Dabei kommen künftig immer weniger Beitragszahler auf einen Rentner. Waren es 1992 noch 2,7 Beschäftigte, so sinkt der Wert bis zum Jahr 2050 auf 1,3 Arbeitnehmer.
Gleichzeitig hat sich die Rentenbezugsdauer seit 1970 um 80 Prozent erhöht, auf heute 18,5 Jahre für Männer und 22 Jahre für Frauen. Der wissenschaftliche Beirat am Bundeswirtschaftsministerium diagnostizierte „schockartig steigende Finanzierungsprobleme“ für die Rentenkasse. Verursacht würden diese Probleme vor allem von der 2018 eingeführten Garantie des Rentenniveaus bei 48 Prozent des Durchschnittslohns sowie der Begrenzung der Rentenbeiträge auf maximal 20 Prozent.
„Die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Rente mit einer Untergrenze des Rentenniveaus bei 48 Prozent sowie einer Deckelung der Beiträge auf 20 Prozent können nicht erhalten bleiben“, sagt Bernd Raffelhüschen vom Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg. Das einzige Reformelement der Ampel-Koalition ist eine zehn Milliarden Euro schwere Anschubfinanzierung für eine kapitalgedecktes Ergänzungselement der gesetzlichen Rente.
Das Ifo-Institut kam zu dem Ergebnis: „Mit einem Kapitalstock von nur zehn Milliarden Euro kann man jedem Rentner einmalig etwa 240 Euro auszahlen.“ Ökonomen wie Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sehen nur in einem späteren Rentenbeginn eine tragfähige Reform: „Mit einer fortgesetzten Anhebung der Regelaltersgrenze bis auf 70 Jahre ab 2052 ließe sich der Beitragssatzanstieg bremsen und gleichzeitig das Sicherungsniveau stabilisieren“, so der Experte. Der Beirat des Wirtschaftsministeriums plädiert außerdem dafür, Rentenerhöhungen der Bestandsrenten auf die Kaufkraftentwicklung zu beschränken, also nur einen Inflationsausgleich zu gewähren.
Rente in Hamburg: Im Schnitt gibt es 1547 Euro
Die heute 20- bis 65-jährigen Hamburger, die über die gesetzliche Rente abgesichert sind, erhalten bei Renteneintritt hierüber durchschnittlich 45 Prozent (bundesweit 47 Prozent) ihres letzten Bruttoeinkommens, wie aus dem aktuellen Vorsorgeatlas von Union Investment hervorgeht. Dies liegt deutlich unter der Grenze von 60 Prozent, ab der der während des Arbeitslebens gewohnte Lebensstandard ohne Einschränkungen auch in der Rente gehalten werden kann.
Zum Zeitpunkt des Renteneintritts beträgt die durchschnittliche monatliche Rente der gesetzlich versicherten Hamburger in heutiger Kaufkraft 1547 Euro (Bruttowert). Das sind knapp 100 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.
„Nur durch die zusätzliche Vorsorge gelingt im Schnitt eine Sicherung des Lebensstandards im Alter“, sagt Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment. Insgesamt 29 Prozent der Riester-Berechtigten in Hamburg haben mittlerweile einen Vertrag (bundesweit 42 Prozent) und können damit ihre gesetzliche Rente im Durchschnitt um 15 Prozent des letzten Bruttoeinkommens aufstocken. Eine Aufstockung des Alterseinkommens in gleicher Größenordnung ist auch mit einer betrieblichen Altersvorsorge (bAV) möglich, die mittlerweile 18 Prozent der Hamburger haben.
Eine Rente mit 63 Jahren ohne Abschläge gibt es nicht mehr
Von Ökonomen wird sie heftig kritisiert, obwohl die Voraussetzungen streng sind. Denn von der Rente mit 63 Jahren ohne Abschläge kann nur profitieren, wer 45 Versicherungsjahre vorweisen kann und 1952 oder früher geboren wurde. Zu den erforderlichen 45 Jahren zählen auch Zeiten der Kindererziehung, Bezug von Arbeitslosengeld I, betriebliche Ausbildung oder Pflege von Angehörigen.
Doch diese Jahrgänge sind inzwischen längst in Rente. Für später Geborene reichen 45 Jahre Arbeitsleistung nicht mehr aus. Für sie steigt abhängig vom Geburtsjahr das Renteneintrittsalter auf 63-plus. Schon der Jahrgang 1957 muss zehn Monate über das 63. Lebensjahr hinaus arbeiten. Beim Jahrgang 1960 sind es bereits 16 Monate. Der Vorteil gegenüber dem normalen Renteneintrittsalter schmilzt dahin.
Beispiel: Jahrgang 1962. Mit 45 Arbeitsjahren kann er mit 64 Jahren und acht Monaten in Rente gehen, bei kürzerer Versicherungszeit muss er zwei Jahre länger arbeiten (siehe Tabelle) Ein früherer Rentenbeginn ist möglich. Das kostet aber dann lebenslang Rentenabschläge.
Früher in Rente zu gehen, wird immer teurer
Auf 35 Versicherungsjahre kommen viele Menschen. Sie können schon mit 63 Jahren in Rente gehen. Allerdings hat das seinen Preis. Für jeden Monat, den der Versicherte vor seinem regulären Rentenalter in Rente gehen möchte, wird ihm diese um 0,3 Prozent gekürzt. Da das Rentenalter je nach Geburtsjahrgang steigt, bedeutet das auch: Der frühe Renteneintritt wird immer teurer.
Ein Rentner des Jahrgangs 1958 muss auf 10,8 Prozent seiner Rente verzichten, wenn er mit 63 Jahren, also drei Jahre früher als regulär, in den Ruhestand gehen will. Für einen 1964 Geborenen wird das noch teurer. Da er eigentlich bis 67 arbeiten müsste, beträgt seine Rentenkürzung mit 63 dann 14,4 Prozent.
Was viele nicht bedenken: Die zu erwartende Rente in der Rentenauskunft ist nicht die Basis für die Kürzungen, sondern ein niedrigerer Rentenwert, den die Betroffenen nicht kennen, weil Einzahlungen für die Jahre bis zum regulären Rentenbeginn fehlen.
Allerdings lassen sich die Kürzungen durch freiwillige Einzahlungen in die Rentenversicherung ausgleichen. Meist geht es dabei um mittlere fünfstellige Beträge, die aufgewendet werden müssen. Das ist über mehrere Jahre auch in Raten möglich.
Nach der Scheidung ist oft ein großer Teil der Rente weg
Bei einer Scheidung teilt das Familiengericht die Altersvorsorge auf. Das betrifft nicht nur die gesetzliche Rente, sondern auch Beamtenpensionen, Riester-Rente und private Rentenversicherungen. Hier geht es nur um die gesetzliche Rente.
Die Rentenanwartschaften sind bei den Ehegatten in der Regel unterschiedlich hoch. Oft hat derjenige eine geringere Anwartschaft, der wegen der Kindererziehung eine gewisse Zeit nicht oder nur Teilzeit gearbeitet hat. „Durch den Versorgungsausgleich werden diese Unterschiede ausgeglichen. Jede Rentenanwartschaft, die während der Ehe entstanden ist, wird halbiert und beiden Partnern jeweils zu 50 Prozent gutgeschrieben“, sagt Beate Schön vom Verbraucherportal Finanztip.
Das Familiengericht führt den Versorgungsausgleich in der Regel automatisch durch. Wer das nicht möchte, kann in einem Ehevertrag oder später in einer Scheidungsfolgenvereinbarung eine andere Aufteilung der Altersvorsorge regeln. Dauerte die Ehe kürzer als drei Jahre, gibt es einen Versorgungsausgleich nur auf Antrag. Verschoben werden zwischen den einstigen Partnern ihre Entgeltpunkte (EP). Das ist die Maßeinheit, in der die gesetzliche Rentenversicherung Anwartschaften speichert.
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Die Stiftung Warentest rechnet das an einem Beispiel vor. Nach 17 Jahren Ehe hat die Frau 17,0010 EP angesammelt, was einer Monatsrente von 581,26 Euro entspricht. Ihr Ex-Mann kommt als Selbstständiger nur auf 6,8100 EP. Das ist eine Monatsrente von 232,83 Euro. Damit beide nach der Scheidung gleichgestellt sind, muss die Frau 5,0955 EP oder – nach derzeitigen Werten – 174,22 Euro Monatsrente an ihren Ex-Partner abgeben, also rund 30 Prozent ihres bisherigen Rentenanspruchs. Beide haben dann 11,9055 EP.
Bei durchschnittlicher Lebenserwartung kann sich der Rentenverlust der Frau auf rund 45.000 Euro summieren. Der Tod des Ex-Partners beendet die Abzüge nicht automatisch. Stirbt der Ex-Partner, bevor er das Rentenalter erreicht hat, können Versicherte sich die abgegebenen Ansprüche wieder zurückholen. Das Gleiche gilt, wenn der Ex-Partner die Rente nicht länger als 36 Monate bezogen hat.