Hamburg. Friedhelm Steinberg spricht über die Entwicklung der (Hamburger) Aktienkurse, Neo-Broker und die Rentenpläne der Bundesregierung.
Der frühere Haspa-Vorstand Friedhelm Steinberg ist seit 2008 der Präsident der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg. Das Abendblatt sprach mit ihm über die gute Wertentwicklung der Hamburger Aktienwerte, den Einfluss der neuen Günstig-Onlinebroker und das enorme Wachstum des Handelsvolumens an der Börse.
Hamburger Abendblatt: In beiden Corona-Jahren bisher hat der deutsche Aktienmarkt zugelegt. Ist das nicht erstaunlich?
Friedhelm Steinberg Das ist eigentlich gar nicht so verwunderlich. Denn die Börse reagiert zwar auch auf Stimmungen, vor allem aber auf konkrete Fakten – und die Gewinne der DAX-Unternehmen sind gerade in diesem Jahr deutlich gestiegen. Außerdem bieten festverzinsliche Anlagen kaum Erträge. Je länger das dauert, umso mehr Menschen sind bereit, auch risikoreichere Investments zu wagen. Schließlich ist viel Geld vorhanden. Dafür sorgen schon allein die Notenbanken mit ihren Anleihe-Ankaufprogrammen, aber wir haben auch immer noch eine Erbengeneration. Zugegeben: Normalverdiener sehen von alldem weniger. Aber man ist auch für die eigenen Anlagen und die Altersvorsorge insgesamt risikobereiter geworden.
Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die gesetzliche Rente um eine „teilweise Kapitaldeckung“ erweitern und dazu in einem ersten Schritt zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln einsetzen, die am Kapitalmarkt investiert werden. Wie beurteilen Sie das?
Steinberg: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber man hätte größer denken und mutiger sein müssen. Was spräche dagegen, neben Aktien auch große Infrastrukturprojekte zu finanzieren und die Erträge für den Rententopf zu verwenden? Das Beispiel Norwegen zeigt, wie die Bevölkerung von Aktieninvestments eines staatlichen Fonds stark profitiert. Auch die Berufspensionsfonds in den USA gehen schon lange diesen Weg.
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Im bisherigen Jahresverlauf haben die Hamburger Aktien des HASPAX um 23 Prozent zugelegt und damit den DAX mit einem Plus von 14 Prozent deutlich hinter sich gelassen. Was steckt hinter diesem ungewöhnlich großen Abstand?
Steinberg: Wir haben viele gut gelaufene Titel im HASPAX – attraktive Werte! Mit der Reederei Hapag-Lloyd haben wir ein Unternehmen mit einer überragenden Kursentwicklung in Hamburg. Aber auch die Aktie des Industriekameraherstellers Basler ist sehr gut gelaufen. Dagegen enthält der DAX einige gewichtige Unternehmen wie Banken und Versicherungen, die sich vergleichsweise schwach entwickelt haben. Generell sind die Kurse bei kleineren Börsenwerten wie denen im HASPAX beweglicher – nach oben wie nach unten. Aber die Hamburger Titel haben auch langfristig, seit dem Start des HASPAX im Jahr 1996, stärker zugelegt als der DAX im gleichen Zeitraum.
Seit September umfasst der DAX 40 anstatt 30 Titel. Mit der Erweiterung wollte man auch für eine größere Branchenvielfalt sorgen. Ist das aus Ihrer Sicht gelungen?
Steinberg: Generell finde ich die Erweiterung gut, 30 Titel waren im internationalen Vergleich für einen Leitindex eine geringe Zahl. Aber die erhoffte Verbreiterung des Branchenspektrums ist nicht wirklich gelungen. Wir haben jetzt eben sogar drei Aktienwerte der Siemens-Gruppe im DAX und bald wahrscheinlich zwei Daimler-Titel, nachdem jetzt die Lkw-Sparte an die Börse gegangen ist. Aus dem Bereich der früheren Start-ups sind nun zwar Delivery Hero und Hellofresh vertreten, aber die Lieferdienste haben noch nicht bewiesen, dass sie nachhaltig profitabel sein können. Es gibt in Deutschland zu wenig echte junge gewachsene Technologieunternehmen. Und wenn ein Unternehmen aus diesem Kreis tatsächlich große Pläne haben sollte, dann würde es wohl in den USA an die Börse gehen. Da haben wir leider den Anschluss verpasst.
Wie lautet Ihre Prognose für den deutschen Aktienmarkt im nächsten Jahr?
Steinberg: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der DAX die Marke von 16.000 Punkten deutlich übersteigt – unter der Voraussetzung, dass wir die neueste Corona-Variante unter Kontrolle bekommen. Es gibt noch andere Einflussfaktoren, die mir Sorgen machen. So schottet sich China immer stärker ab und macht die Wirtschaft zu einem Instrument der Politik. Damit wird China unberechenbarer. Auf der anderen Seite hat der Dollar zuletzt spürbar an Wert gewonnen, wovon deutsche Unternehmen profitieren. Insgesamt haben wir, wie ich denke, gute Chancen für eine abermals erfreuliche Kursentwicklung. Man muss nur immer beachten, dass private Aktieninvestments mit einem längeren Anlagehorizont von mindestens drei oder vier Jahren abgeschlossen werden sollten.
Wie lief es für die Börse Hamburg und ihre Dachgesellschaft Böag in diesem Jahr?
Steinberg: Alle fünf Böag-Handelsplätze, also die „traditionellen“ Börsen Hamburg, Hannover und Düsseldorf sowie die beiden neuen Computerhandelsplattformen Quotrix und LS Exchange, entwickeln sich hervorragend. In den ersten elf Monaten 2019 lag der Handelsumsatz bei 18 Milliarden Euro, im gleichen Zeitraum des vorigen Jahres bei 44 Milliarden Euro und 2021 sind es bisher knapp 70 Milliarden Euro. Starke Kursbewegungen am Aktienmarkt sind eben gut für uns. Wir profitieren aber auch sehr stark von den sogenannten Neo-Brokern wie etwa Trade Republic, die unsere Kunden sind. Solche Unternehmen, die Wertpapierhandel zu äußerst günstigen Konditionen oder sogar kostenlos anbieten, sorgen dafür, dass neue Anlegergruppen – nicht zuletzt viele junge Menschen – an der Börse aktiv werden.
Aber geht es da nicht häufig um kurzfristige, spekulative Aktienkäufe?
Steinberg: Es mag überraschend erscheinen, aber es gibt enorm viele junge Menschen, die mit kleinen, regelmäßigen Beträgen über Ansparpläne in den Aktienmarkt investieren. Das macht einen Großteil des Geschäfts der Neo-Broker aus.
Was hat sich im Fondshandel getan?
Steinberg: Am Zweitmarkt sehen wir neben starken Umsätzen in Immobilienfonds so etwas wie eine Wiederauferstehung der Schiffsfonds. Da ist die Nachfrage teilweise deutlich größer als das Angebot. So mancher, der seine Schiffsfondsanteile vor einigen Jahren enttäuscht verkauft hat, wird das jetzt bereuen.
Welche Pläne haben die Börse Hamburg und die Böag für das nächste Jahr?
Steinberg: Zunächst einmal werden wir ein weiteres Produkt der sehr erfolgreichen Familie unserer GCX-Nachhaltigkeitsindizes vorstellen – schließlich werden Umwelt- und Sozialstandards auch für Anleger immer wichtiger. Außerdem beschäftigen wir uns in Hamburg intensiv mit der Blockchain-Technologie, auf der Wertpapiere künftig wohl basieren werden. Schon 2022 dürfte es ein erstes Produkt von uns auf Blockchain-Basis geben.