Hamburg. Der größte A380-Kunde Emirates hat seinen letzten Riesen-Airbus übernommen, Donnerstag startete der Jet in Richtung Dubai.

Der Vorhang vor den Fenstern des Auslieferungszentrums von Airbus auf Finkenwerder hebt sich. Unter strahlend blauem Himmel rollt der A380 mit dem Emirates-Schriftzug auf das Gebäude zu. 2300 Beschäftigte des Flugzeugbauers aus 58 Ländern umringen ihn. Der rote Teppich ist ausgerollt. „Sie haben Geschichte gemacht“, sagt Scheich Ahmed bin Saeed al Maktoum in Richtung des Gastgebers. Es ist der 28. Juli 2008, und die Airline aus Dubai holt in Person ihres Vorstandschefs zum ersten Mal das größte Passagierflugzeug der Welt in Hamburg ab. 400 Gäste – darunter Tennislegende Boris Becker – und 200 Journalisten aus aller Welt sind zu der Auslieferungsfeier gekommen.

Knapp 13,5 Jahre später steht wieder ein historisches Ereignis an der Elbe an. Auf einen festlichen Rahmen wird aber verzichtet. Die pandemische Lage lasse eine physische Veranstaltung vor Ort nicht zu, sagt ein Emirates-Sprecher. Am heutigen Donnerstag wird die Airline ihr 123. Exemplar des größten Passagierflugzeugs der Welt erhalten. Das könnte man unter ferner liefen verbuchen – wenn es nicht der letzte Riesen-Airbus wäre, der jemals gebaut wurde.

Airbus liefert den letzten A380 an Emirates

Im Sommer 2008 erntet der Flieger noch viele Vorschusslorbeeren. „Als ich das erste Mal in einem A380 flog, wusste ich, dass unsere Entscheidung richtig war“, sagt Al Maktoum. Die arabische Airline war der erste Besteller des vierstrahligen Jets. Noch vor dem offiziellen Verkaufsstart im April 2000 gibt sie die Zusage über den Kauf von zehn Fliegern des als A3XX firmierenden Programms. Auf die Passagiere würde „eine Welt des Luxus“ warten, sagt der Airline-Chef. Bis heute sind viele Passagiere von der Atmosphäre an Bord mit rund 550 Quadratmetern „Wohnfläche“, einer Bar und Dusche für die First Class begeistert. Eitel Sonnenschein herrscht aber schon damals nicht. „Wir haben alle Stürme gemeinsam überstanden“, sagt Al Maktoum. Denn er hätte den Jet gern schon früher abgeholt.

Rückblick: Die Idee für ein Riesenflugzeug gibt es bei den Europäern bereits Ende der 80er-Jahre, im Jahr 2000 wird es beschlossen. Hamburg bewirbt sich als Standort für die Endmontage. Das sorgt für heftige Kontroversen in der Stadt und Streit mit Rostock, das ebenfalls groß in den Flugzeugbau einsteigen will. Im Juni 2000 erhält die Elbstadt den Zuschlag – auch dank Hunderter Millionen D-Mark an Subventionen. Das wichtigste Argument: „Airbus rechnet mit 4000 neuen Arbeitsplätzen, davon 2000 in unserem Unternehmen und 2000 bei Zulieferfirmen“, sagt Manager Gustav Humbert dem Abendblatt. Die Arbeitsteilung sieht vor, dass auf Finkenwerder Teile des Rumpfes gebaut werden. Nach der Endmontage in Toulouse fliegen die fertigen Jets nach Hamburg zurück, erhalten hier ihre Kabine, werden lackiert und an Kunden in Europa und im Nahen Osten ausgeliefert.

Kabelbäume sind an Verspätung schuld

Am 27. April 2005 wird in Toulouse Luftfahrtgeschichte geschrieben. Der A380 – der 72,70 Meter lang ist und auf seinen zwei Decks bis zu 853 Passagiere an Bord nehmen kann, meist aber nur um die 500 Sitze eingebaut hat – hebt zu seinem Jungfernflug ab. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nennt den Erstflug einen „großen Erfolg für die Innovationskraft europäischer Unternehmen“. Zweieinhalb Jahre später sagt Singapore-Airlines-Chef Chew Choon Seng am selben Ort: „Es gibt eine neue Königin der Lüfte.“ Die Fluggesellschaft erhält als erste weltweit den A380 – aber auch das schon mit deutlicher Verspätung.

Schuld sind die Kabelbäume, die in Hamburg eingebaut werden. Weil im paneuropäischen Unternehmen noch keine einheitliche Software verwendet wird, sind sie zu kurz und müssen nachgearbeitet werden. Das kostet viel Zeit.

„Generell ist der A380 ein sicheres Flugzeug“

Das Schwarze-Peter-Spiel beginnt, welcher Standort für die Probleme die Verantwortung trägt. Denn am A380, der aus rund vier Millionen Einzelteilen besteht, werkeln fünf Länder mit. Im Management knirscht es zwischen den Nationen, zwischen deutschen und französischen Arbeitnehmervertretern kommt es zum offenen Streit. Grund: Das Kabeldesaster kostet mehrere Milliarden Euro, Auslieferungen müssen nach hinten geschoben werden, Airlines erhalten Entschädigungen. Der damalige EADS-Konzern stellt daher ein Sparprogramm auf und will 10.000 Stellen streichen. Die Betriebsräte fürchten das Aus für ihre Kollegen – das erhitzt die Gemüter.

Die Produktion läuft hoch, die ausgelieferten Maschinen laufen rund – bis zum 4. November 2010. Bei einem Quantas-Flug bricht kurz nach dem Start die Turbinenscheibe. Trümmerteile bohren sich durch die Triebwerksverkleidung und schlagen in Rumpf und Flügel ein. Der in der Tragfläche untergebrachte Treibstoff fängt Feuer. Die Piloten schaffen es aber, den Flieger in Singapur wieder zu landen. Alle 469 Menschen an Bord überstehen den schwerwiegenden Vorfall ohne Verletzungen. Ein ähnlicher Vorfall passiert sieben Jahre später bei einem Air-France-Flug. Wieder ohne Verletzte. Auch Haarrisse in Metallklammern werden beim Riesenjet gefunden. Dennoch sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt: „Generell ist der A380 ein sicheres Flugzeug.“

Airbus gräbt sich selbst das Wasser ab

Er hat allerdings ein Problem: Es gibt zu wenige Aufträge. 2013 zurrt Emirates eine Bestellung über 50 Riesen-Airbusse fest. Das Auftragsbuch steht bei gut 300 Stück – inklusive Karteileichen. Doch dann folgt lange nichts. Das liegt auch an neuen Langstreckenfliegern. Boeing bringt den 787 Dream­liner heraus, und Airbus gräbt seinem Flaggschiff mit dem neuen Großraumjet A350 selbst das Wasser ab. In beiden Fliegern wird weniger Aluminium und mehr Kohlenfaserverbundwerkstoff verwendet.

Das Material ist wartungsärmer und senkt dadurch die Betriebskosten ebenso wie die nur zwei statt vier Triebwerke. Zudem wächst der Flugverkehr nicht wie von den Europäern erhofft zwischen den großen internationalen Drehkreuzen, sondern zwischen Flughäfen der zweiten Reihe – für die sind A350 und 787 ideal. Zur Auflage einer von Airbus angekündigten neo-Version des A380 mit neuen, Sprit sparenden Triebwerken kommt es nie. Jahrelang halten sich Gerüchte, dass die A380-Produktion eingestellt werden soll.

Doch zunächst kommt es anders. Nach langem Hickhack scheint es im Januar 2018 einen Befreiungsschlag zu geben. Emirates bestellt 20 Exemplare und sichert sich eine Option über 16 weitere A380. Im Gegenzug garantiert der Flugzeughersteller, den Flieger bis in die Mitte der 20er-Jahre zu bauen – aber so wird es nicht kommen.

Produktionsaus für das Jahr 2021

Ein Jahr später macht zunächst der Flieger Schlagzeilen, der 2007 als erster an Singapore Airlines ausgeliefert wurde. Die Fluglinie gab ihn nach Auslaufen des Leasingvertrags an den Eigentümer – das Fondshaus Dr. Peters – zurück. Und der findet keinen Nachmieter. Der Flieger steht in Tarbes (Frankreich) mit ausgebauten Motoren und wird in Einzelteile zerlegt – also: verschrottet. Plötzlich teilt Airbus mit, dass der Kaufvertrag mit Emirates wieder verhandelt werde.

Gespräche mit Rolls-Royce über die Lieferung von Triebwerken seien gescheitert. Am 14. Februar tritt das Dubaier Unternehmen vom Auftrag zurück und bestellt stattdessen 40 A330neo und 30 A350 – Airbus kündigt das Produktionsaus für das Jahr 2021 an. 14 Jahre nach der Erstauslieferung – ein ungewöhnlich schnelles Ende für ein Flugzeugprogramm, das sonst 30, 40 Jahre lang gebaut wird.

Airbus hat sein Beschäftigungsziel mehr als erfüllt

Airbus hat unter dem Strich mit dem Flieger kein Geld verdient, hält ihn aber dennoch für einen Erfolg – insbesondere für die Hansestadt. „Der Luftfahrtstandort Hamburg hat durch das A380-Programm massiv an Bedeutung gewonnen und profitiert – weit über dieses Flugzeugprojekt hinaus“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Die Stadt zählt heute mit rund 40.000 Beschäftigten zu den drei größten Orten der zivilen Flugzeugproduktion. Allein bei Airbus sei die Zahl der Mitarbeiter von 7800 im Jahr 2000 auf rund 14.000 gestiegen – das Beschäftigungsziel wurde also mehr als erfüllt.

In der Lackiererei könnten jetzt auch Großraumflieger statt wie zuvor nur die A320-Familie ihre Farbe erhalten. Die Rolle als Kompetenzzentrum im Konzern für die Kabine sei gestärkt worden, so der Sprecher. „Mit dem A380 wurde die Kabine zur Visitenkarte der Airlines.“ Entsprechend vielfältiger wurden die Produkte. Zwei Projekte bleiben allerdings unrealisiert: der Bau eines Frachters – für den einst extra die Landebahn auf Finkenwerder verlängert wurde – und eines gestreckten A380 für noch mehr Passagiere.

Letzter A380 am Donnerstag nach Dubai gestartet

Am Donnerstag wird nun der 251. A380 an einen Kunden übergeben. Die Maschine ist gegen 16.40 Uhr zu ihrem Überführungsflug nach Dubai starten. Emirates nahm 123 Jets ab. Die Dubaier schafften es als einzige Airline, ein erfolgreiches Geschäftsmodell um den Flieger zu schmieden, indem sie das Emirat zur Drehscheibe zwischen den Kontinenten entwickelten. Einige andere Fluglinien wie die Lufthansa sortieren den Flieger aus ihrer Flotte aus. Weltweit flogen bisher mehr als 300 Millionen Passagiere A380, die zusammen 7,3 Millionen Flugstunden abgespult haben.

Am 3. November 2017 spielte sich auf Finkenwerder übrigens eine ähnliche Szene wie Ende Juli 2008 ab. Ein DJ und eine Geigerin sorgten für einen Mix aus klassischen und modernen Musiktönen. Zwei Tanzpaare wirbelten herum. Dann ging ein Vorhang auf. Stewardessen kamen auf die Bühne und zeigten durch die Fenster auf den draußen stehenden A380. Es war der 100. Riesen-Airbus für die Fluggesellschaft vom Golf. Das sei ein „großer Moment“, sagte Al Maktoum. „Für Emirates ist der A380 ein voller Erfolg.“ Wahrscheinlich sieht er das immer noch so, zumindest offiziell. Bis weit in die Mitte der 2030er-Jahre soll die Maschine fliegen. Klar ist hingegen, dass der damalige Airbus-Chef Tom Enders falschlag. „Ich habe keine Zweifel, dass wir in zehn Jahren noch dieses großartige Flugzeug fertigen werden“, sagte der Konzernlenker. Die Äußerung ist Geschichte. Vorhang zu.