Hamburg. Der Braten gilt als Rolls Royce unter den Weihnachtsgerichten – und kann inzwischen bis zu 200 Euro kosten. Warum das so ist.

Vor dem gemütlichen Kamin in der Stube Platz nehmen, in wohliger Atmosphäre gemeinsam essen, dieses Erlebnis wollen sich viele nach der Zwangspause im vergangenen Jahr zum Fest wieder gönnen. Am besten mit einer knusprigen Gans. Doch hinter den Kulissen der Wein- und Friesenstube am Ochsenwerder Kirchendeich ist die Stimmung in diesem Advent getrübt. „So eine Situation hatten wir noch nie“, sagt Arne Meyer, der das Restaurant schon in zweiter Generation führt. Denn das Geflügel sei nur schwer zu bekommen.

„Die Verfügbarkeit hat sich halbiert“, beklagt Meyer mit Blick auf die Tiere aus der Region. Er habe zwar schon vor Beginn der Saison vorbestellt und sich viele Gänse gesichert, nun auch von Höfen aus Polen. „Aber ganz sicher kann ich nicht sagen, dass es für alle Kunden reicht“, sagt der Koch, der sowohl Gäste im Restaurant verwöhnt als auch die Traditionsgerichte zum Bestellen anbietet.

Weihnachtsessen: Vogelgrippe macht den Gänsebraten teuer

Bei der Mellingburger Schleuse heißt es, der Hauptlieferant habe das Restaurant nur mit zehn Prozent der Ware bedienen können. In der Folge habe das Ausflugslokal am Alsterlauf auf andere Erzeuger ausweichen müssen. Den Mangel bestätigt auch Brechtmanns Bistro, das sich weitgehend auf hochwertige Enten- und Gänsegerichte spezialisiert hat. „Wer sich darauf verlassen hat, dass die Lieferanten die gleiche Menge an Gänsen auch 2021 produzieren, lief Gefahr, leerzulaufen“, sagt Sven Brechtmann, Inhaber des gleichnamigen Bis­tros in Eppendorf.

Er kauft ausschließlich Gänse aus der Gegend rundum das niedersächsische Oldenburg. „Unser Lieferant hat 21.000 Gänse weniger als im vergangenen Jahr“, sagt Brechtmann, denn der Erzeuger habe zu wenige Küken vom Züchter in Frankreich bekommen. Die Betriebe hätten dieses Jahr die Produktion deutlich gedrosselt, auch weil die Gastronomie im vergangenen Jahr wegen des Lockdowns massiv unter Umsatzausfällen litt und die Perspektive unsicher war.

Nur noch 10.000 Mastgänse in Schleswig-Holstein

Der Engpass ist aber vornehmlich eine Folge der Geflügelgrippe. Deutschlands Züchter und die Konkurrenz in den wichtigsten Lieferantenländern Polen und Ungarn sind gleichermaßen betroffen. „Die Vogelgrippe bedroht die Bestandsentwicklung der Gänse in Schleswig-Holstein enorm“, fasst Nicolai Wree, Geschäftsführer des Geflügelwirtschaftsverbands Schleswig-Holstein und Hamburg, die Situation im Norden zusammen, wo jetzt wieder Tausende Tiere wegen der Ansteckungsgefahr in den Ställen bleiben müssen.

Viele Betriebe hätten die Produktion bereits eingestellt. „Und auch in diesem Jahr wurden hier schon wieder Gänse gekeult, weil sie sich mit der Geflügelpest infiziert haben“, ergänzt der Brancheninsider. So wurde Anfang November ein Hof im Kreis Pinneberg ein Opfer der Geflügelpest, rund 500 Mastgänse mussten getötet werden. Wree beobachtet zudem einen längerfristigen Rückgang: „Gab es vor zehn Jahren noch mehr als 40.000 Mastgänse in Schleswig-Holstein, sind es heute leider keine 10.000 Tiere mehr“.

Mehr als eine Million Tiere wegen Vogelgrippe getötet

Bereits der vergangene Winter und das Frühjahr waren für viele Geflügel­halter in ganz Norddeutschland eine Katastrophe: Mehr als eine Million Tiere mussten damals bereits wegen der Infektion getötet werden. Seit Juni war Ruhe – bis zum Herbst. Nachdem die ersten verendeten Wildvögel im Oktober in verschiedenen Kreisen in Nordniedersachsen gefunden worden waren, gab es auch dort zuletzt wieder Infektionen in großen Nutzviehställen.

Wegen der Probleme für die Produzenten müssen die Kunden tiefer in die Tasche greifen. „Deutsche Gänseware dürfte aktuell im Schnitt zu einem Preis zwischen 12 bis 15 Euro pro Kilogramm angeboten werden“, schätzt Wree. Der Preis liege damit 2 bis 3 Euro über dem Niveau des Vorjahres, „vielleicht auch noch etwas höher“.

Gänse sind „Rolls-Royce unter den Weihnachtsbraten“

Ruth Staudenmayer vom Geflügelspezialisten Schönecke, die in Hamburg und Umgebung etwa auf Märkten Gänse anbietet, nennt noch weitere Faktoren als Preistreiber: Die Gänse fressen nicht nur Gras, sondern auch Getreide, das um 30 Prozent teurer geworden sei. „Darüber hinaus sind die Löhne gestiegen“, sagt die Geschäftsführerin des Betriebs aus Neu Wulmstorf, direkt vor den Toren Hamburgs. Die Gänse seien letztlich der „Rolls-Royce unter den Weihnachtsbraten“. Sie könnten nur draußen gehalten werden und lebten auch viel länger als etwa ein Hähnchen. Eine Gans aus der Region kostet bei Schönecke nun etwa 18 Euro das Kilo, das sei etwas teurer als im Vorjahr.

Auch die Gäste der Hamburger Restaurants spüren die Herausforderungen für die Produzenten – beim Blick auf die Preise auf den Speisekarten. In der Friesenstube kostet eine Gans mit einer Flasche Wein 165 Euro, als Variante zum Mitnehmen immerhin noch 150 Euro. „Aber die Leute geben das aus“, sagt Arne Meyer, er habe viele Vorbestellungen.

Gänse-Essen: Gäste müssen 20 Prozent mehr zahlen

Auch Brechtmann, der für eine Gans mit Beilagen im Restaurant pro Person 54 Euro und für das fertig gekochte und vakuumierte Paket für vier Personen bei Abholung 216 Euro nimmt, spricht von einer steigenden Nachfrage. „Wir liefern bis zu 300 Gänse aus“, schätzt er anhand seiner Vorbestellungen für die auch per Taxi oder Paketdienst ausgelieferten Portionen. Er halte trotz der Widrigkeiten daran fest, hochwertige Produkte aus Norddeutschland zu beziehen, auch deshalb müssten die Gäste mit höheren Preisen rechnen. Bei ihm summiere sich das Plus bei den Kosten im Einkauf und für die Kunden auf 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Ansonsten kommt das Fleisch für das traditionelle Gänse-Essen meistens aus Polen oder Ungarn. Die beiden osteuropäischen Länder bestritten im vergangenen Jahr 97 Prozent der Einfuhren nach Deutschland, wie das Statistische Bundesamt meldet. Mit insgesamt 18.666 Tonnen fiel die Importmenge an Gänsefleisch in diesem Herbst um rund vier Prozent geringer aus als im Jahr zuvor, weil auch diese Regionen von der Geflügelgrippe betroffen sind. Aus heimischer Schlachtung stammten zuletzt nur noch 2923 Tonnen Gänsefleisch.

Alsterschwäne mussten wegen Vogelgrippe umziehen

Die Importe landen meistens im Supermarkt oder beim Discounter, wo preisbewusste Kunden nach wie vor auch günstigeres Geflügel finden. Bei Lidl etwa kostet die „Limited Edition“ Hafermastgänsekeule derzeit 10,49 Euro das Kilo. Aldi bietet Gänsefleisch in verschiedenen Größen ab dem 20. Dezember sogar für 5,99 Euro das Kilo an. Zwar müssen auch die Polen oder Ungarn geltendes EU-Recht umsetzen, aber allein die geringeren Löhne machen sich bei den Kosten stark bemerkbar. Allerdings, beklagen Tierschützer, seien dort noch das sogenannte Stopfen und Rupfen lebendiger Tiere erlaubt.

Übrigens wirkt sich die Vogelgrippe nicht nur auf dem Teller aus. Hamburgs Alsterschwäne sind zum Schutz vor dem Virus auch in diesem Winter wieder in eine kleine Zeltstadt umgezogen. Die Schwäne gelten als eines der Wahrzeichen der Hansestadt und sollen ebenso wie Hühner oder Wachteln wegen der Ansteckungsgefahr „aufgestallt“ werden, wie es in der Fachsprache heißt.