Hamburg. Mit der Pandemie begann eine Achterbahnfahrt. Und es bleibt turbulent. Das sagen die mächtigsten Köpfe in der maritimen Szene.

Sie treffen sich manchmal zum Essen und gelten als harte Verhandler. Aber gemeinsame öffentliche Auftritte sind bei den beiden mächtigsten Köpfen in der Hamburger maritimen Szene eher eine Seltenheit. Da müssen schon besondere Umstände eintreten, dass die Vorstandsvorsitzende des größten Hamburger Hafenkonzerns HHLA, Angela Titzrath und der Vorstandschef der größten deutschen Linienreederei Hapag-Lloyd, Rolf Habben Jansen, zusammen eine Podiumsdiskussion bestreiten. Am Dienstagabend war es der Fall. Und die Umstände, die beide zu dem Schritt bewogen haben, sind wahrlich außergewöhnlich.

Hamburger Hafen: Mit der Pandemie begann Achterbahnfahrt

Seit annähernd zwei Jahren befindet sich die Schifffahrt global in einer Ausnahmesituation. Mit dem Einsetzen der Corona-Pandemie begann für die maritime Branche eine Achterbahnfahrt. Infolge des Lockdowns kam plötzlich gar keine Ladung mehr.

Mit dem Wiederanspringen der verschiedenen nationalen Wirtschaften auf der Welt und einem hohen privaten Konsum wuchs auf einmal eine riesige Nachfrage nach Schiffstransporten, die die Branche, die noch immer unter den Rahmenbedingungen der Pandemie arbeitet, nicht bedienen kann. „Schiffe voll, Häfen voll, Nerven blank“, lautete das Thema der Diskussion, zu der Hapag-Lloyd eingeladen hatte und die aufgrund der Pandemie per Video stattfand.

An Rückkehr zur Normalität der Vor-Corona-Zeit glaubt keiner

Mit den beiden Vorgenannten diskutierten Otto Schacht – der Vorstand für Seefracht der weltgrößten Spedition Kühne + Nagel, die seit Monaten mit durcheinandergewirbelten Lieferketten kämpfen muss – und Eva Combach, die als Transportdirektorin bei Mercedes Benz auf dringenden Nachschub für die Automobilproduktion wartet.

Was die vier den mehr als 300 Kunden, die zuhörten, zu sagen hatten, war einigermaßen ernüchternd. Alle vier hoffen, dass die Lieferketten im kommenden Jahr wieder etwas besser laufen. An eine Rückkehr zur Normalität der Vor-Corona-Zeit glaubt aber keiner von ihnen. „So sehr wir uns danach sehnen, wieder eine Normalität herzustellen, so sehr werden wir uns eine neue Form der Normalität gewöhnen müssen“, sagte Titzrath.

Viele Waren für das Weihnachtsgeschäft kommen nicht rechtzeitig

Mercedes-Managerin Combach verwies auf die Knappheit wichtiger Fertigungsteile wie Halbleiter, die in der Automobilindustrie bereits zu Drosselung von Produktionen geführt hat. „Im Moment leben wir von der Hand in den Mund", sagte sie. Selbst wenn sich die Halbleiterproduktion wieder normalisiert, werden andere Dinge knapp sein wie Aluminium, Kupfer und Magnesium. Unser System ist so auf Kante genäht, dass Störungen voll durchschlagen. Auch 2022 wird ein turbulentes Jahr, einen Stand wie 2019 werden wir nicht wieder haben.“

Otto Schacht spricht von „Schockwellen“, die noch lange nachwirken würden. Viele Waren, die eigentlich für das Weihnachtsgeschäft gedacht waren, seien noch auf See und kämen nicht rechtzeitig an. Schacht glaubt, dass die Zeit der unmittelbaren Lieferung von Rohstoffen und Zwischenprodukten nach Deutschland „just in time“, sich zugunsten einer Bevorratung wichtiger Produkte wandeln wird.

Schifffahrt – Nachfrage nach Konsumgütern lässt nicht nach

„Es hat sich gezeigt, dass Unternehmen, die ihre Läger aufgebaut hatten und weniger auf die unmittelbare Lieferung von Produkten angewiesen waren, besser durch die Krise gekommen sind. Was die Transportpreise betrifft, macht er den Kunden für die Zukunft wenig Hoffnung. „Die Frachtraten werden in den kommenden zehn Jahren definitiv höher sein, als in den vergangenen 20 Jahren“, sagte er.

Habben Jansen sagte, es gäbe keine Anzeichen, dass die Nachfrage nach Konsumgütern wie Möbel, Fahrräder oder Elektronik nachlasse. Der Hapag-Lloyd-Chef geht davon aus, dass sich die Lage erst wirklich entspannt, wenn viele neue Schiffe gebaut werden.

Hamburger Hafen arbeitet unter hoher Belastung der Beschäftigten

Er verwies aber darauf, dass die Branche zwei Probleme, die sich infolge der Pandemie aufgetan hatten, bereits in den Griff bekommen habe. „Am Anfang fehlten Container, die gibt es inzwischen ausreichend.“ Allein Hapag-Lloyd habe 600.000 Stahlboxen und damit 20 Prozent der Containerflotte nachbestellt. Und es gibt nach meiner Ansicht auch ausreichend Schiffe. Aber wenn die Schiffe vor den Häfen im Stau stehen, bleiben die freien Transportkapazitäten knapp.“

Titzrath betonte, dass der Hamburger Hafen seit Monaten jeden Tag in der Woche unter hoher Belastung der Beschäftigten arbeite, um die Auswirkungen der Schiffsstaus zu verringern. „Wer pünktlich kommt, wird auch pünktlich abgefertigt. In der Deutschen Bucht haben wir derzeit keine Warteschlangen.“ Der amerikanische Präsident Joe Biden habe sich das offenbar zum Vorbild genommen, ergänzte die HHLA-Chefin schmunzelnd.

US-Häfen bilden derzeit das Hauptproblem

Sie spielte damit darauf an, dass Biden kürzlich die US-amerikanischen Häfen angewiesen hat, auch an den Wochenenden die wartenden Schiffe zu löschen. Schacht und Habben-Jansen sind sich einig, dass die US-Häfen derzeit das Hauptproblem bildeten. „Vor Los Angeles warteten heute 77 Schiffe, insgesamt waren es in den US-Häfen 112. Solange die USA ihre Lieferprobleme nicht in den Griff bekommen werden wir diese Krise nicht überwinden“, sagte der Kühne + Nagel-Vorstand. Habben Jansen ergänzte: „Wir lesen immer von einem Wachstum. Aber wo ist es? Das ist Ladung, die auf See liegt.“

Combach zeigte sich enttäuscht darüber, dass ihre Branche von den Lieferpartnern zum Teil im Stich gelassen würde. „Da werden feste Verträge nicht eingehalten. Schiffsabfahrten gestrichen und Preise geändert. Das macht es schwer für uns zu planen.“ Sie erklärte, dass angesichts der jüngsten Knappheit in der Industrie die Diskussion über den Aufbau lokaler Produktionen zur Verkürzung der anfälligen Lieferketten intensiviert geführt werde.

Am Ende waren sich alle einig, dass sie eine so schwere Störung des Marktes wie diese noch nie erlebt haben. Titzrath und Habben Jansen wünschten sich gute Nacht und ließen einigermaßen beunruhigte Zuhörer zurück.