Hamburg. Hauke Jaacks soll seinen Betrieb für ein Reiteridyll räumen, aber er weigert sich – und hofft noch auf das „Wunder von Rissen“.

Brunhilde steckt die Nase neugierig durch die Stäbe ihres Unterstands und guckt mit großen brauen Augen in die Welt. Vor fünf Wochen ist das Kälbchen auf dem Moorhof in Rissen geboren worden. Daneben steht Blumenkohl, dann kommt Bari. „Bei uns haben alle Kühe Namen. Gerade ist der Buchstabe B dran“, sagt Hauke Jaacks und begutachtet zufrieden die Reihe mit einem halben Dutzend Kälbern, die meisten Rotbunte.

Der Bauer war wie jeden Tag schon vor sechs Uhr auf den Beinen, hat gemolken und gefüttert. Jetzt werden die Kälber versorgt. Ein paar Meter weiter fegt ein Mitarbeiter den Platz vor dem großen Kuhstall, ein anderer fährt mit schwerem Gerät vor. Ab und zu hört man leises Muhen.

Rechtsstreit: Milchbauer will Hof in Rissen nicht räumen

So stellen Städter sich einen idyllischen Bauernhof vor. Aber das auf den ersten Blick harmonische Bild trügt. Landwirt Jaacks lebt mit seiner Familie und 300 Tieren auf Abruf auf der gepachteten Hofstelle mitten im Forst Klöven­steen. Das Areal mit Wohnhaus, Stall und umliegenden Weiden wurde verkauft, Ende des Jahres läuft sein Pachtvertrag aus. Das sind noch knapp 50 Tage. Aber der Landwirt und seine Familie wollen den Moorhof nicht verlassen. „Jeder Moment, in dem wir den Auszug vorbereiten, wäre ein Sieg für die Käufer“, sagt er und zieht die Augen zu schmalen Schlitzen. „Wir bleiben.“

Die Käufer, das sind auch Rissener. Keine Landwirte, Reiter. Vor zwei Jahren haben sie den Hof mit 16 Hektar Land gekauft. Statt Kühen sollen dort künftig Pferde stehen. „Wir wollen einen Reiterhof nach den neuesten Standards für Tierwohl und Nachhaltigkeit aufbauen. Dafür eignet sich der Standort ideal“, sagt der neue Besitzer im Gespräch mit dem Abendblatt. Bislang haben er und seine Frau in der Öffentlichkeit weitgehend geschwiegen. Auch jetzt will er die Anonymität der Familie wahren und seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Wegen möglicher Anfeindungen. Insider wissen natürlich längst Bescheid.

Neuer Besitzer pocht auf Kaufvertrag

Auch für die Eigentümer drängt die Zeit. Nachdem der Pachtvertrag für den Moorhof nach der Verkauf in einem gerichtlichen Vergleich noch mal verlängert worden war, soll es jetzt losgehen mit dem Millionenprojekt. Pläne lägen vor, die ersten Gespräche mit den Behörden seien geführt, sagt der Unternehmer, der in der Vergangenheit diverse Immobilienvorhaben gemanagt hat. „Wir haben einen gültigen Kaufvertrag, sind im Grundbuch eingetragen“, sagt der 51-Jährige. „Wenn Herr Jaacks nicht auszieht, ist das Vertragsbruch.“

Seit mehr als zwei Jahren schwelt der Konflikt um den Hof am Rande der Großstadt. Die Fronten sind verhärtet. Auf der einen Seite eine Bauernfamilie, die um ihre Heimat und ihre Existenz kämpft, und auf der anderen Seite die Unternehmer, die sich öffentlich als Spekulanten an den Pranger gestellt sehen. Und mittendrin die politische Auseinandersetzung um schärfere Gesetze für den Schutz landwirtschaftlicher Nutzflächen beim Verkauf an Investoren.

Milchbauer erhält bundesweit Solidarität

Landwirt Jaacks sieht sich nicht nur als Opfer eines lukrativen Immobiliendeals im Hamburger Westen, sondern erhebt auch Vorwürfe gegen das Genehmigungsverfahren der Wirtschaftsbehörde – und bekommt dafür bundesweit Solidarität. Der vertrackte Fall ist zum Symbol für den Kampf um die Verteilung von Bauernland geworden. In den sozialen Medien wogt es lautstark und zunehmend aggressiver hin und her. Eine Onlinepetition für den Erhalt des Moorhofs haben inzwischen mehr als 9000 Teilnehmer unterschrieben.

Man muss einige Jahre zurückgehen, um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte. Hauke Jaacks, der von einem Bauernhof in Pinneberg stammt, hatte die benachbarte Hofstelle auf Hamburger Grund 2004 gepachtet. Mit seiner Frau, zwei Angestellten und einem Auszubildenden produziert er auf einem der letzten Milchviehbetriebe der Stadt mit insgesamt 150 Hektar Land täglich 3300 Liter Milch. Das Geschäftsmodell funktioniert. Die Milch aus Hamburg wird in einem Werk des Molkereikonzerns Deutsches Milchkontor zu Mozzarella verarbeitet und unter der Marke Milram verkauft.

Bauer zweifelt Genehmigung der Behörde an

Vor drei Jahren beschloss die vorherige Besitzerin, den Hof zu verkaufen. Das kam nicht unerwartet. Jaacks reichte ein Gebot ein, ein Vorkaufsrecht hatte er nicht. Was dann passierte, ist je nach Darstellung der Beteiligten unterschiedlich. Jaacks’ Gebot lag auf jeden Fall unter dem der Rissener Unternehmerfamilie. Er besserte nach, kam aber nicht zum Zug. Nach Abendblatt-Informationen lag der Kaufpreis bei mehr als zwei Millionen Euro.

Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Weil es sich aber um eine landwirtschaftliche Nutzfläche handelte, musste die Wirtschaftsbehörde den Verkauf im Rahmen des Grundverkehrsrechts prüfen. Im April 2020 erteilte sie schließlich die Genehmigung. Jaacks zweifelt diese Entscheidung an. Und wird dabei von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft unterstützt.

Im Kern geht es bei der Kritik darum, dass die neuen Besitzer keine Landwirte sind und der geplante Reiterhof aus ihrer Sicht nicht den Kriterien einer landwirtschaftlichen Nutzung entspricht.

Klage des Bauern wurde abgewiesen

„Das ist aber Voraussetzung für die Genehmigung“, sagt Jaacks, selbst staatlich geprüfter Landwirt. Seine Frau hat einen Abschluss als Agrar-Ökonomin. Das nützt ihnen in der aktuellen Situation allerdings nichts. Jaacks’ Klage vor dem Verwaltungsgericht wurde inzwischen abgewiesen, weil er als Pächter nach geltendem Recht nicht klageberechtigt ist.

Die Milch vom Hof wird später zu Mozzarella verarbeitet.
Die Milch vom Hof wird später zu Mozzarella verarbeitet. © HA | Thorsten Ahlf

Damit ist klar, dass sich an dem Grundstücksgeschäft nichts mehr rütteln lässt. Auch mögliche weitere juristische Schritte hätten keine aufhebende Wirkung. Aufgeben will der wehrhafte Bauer trotzdem nicht – und riskiert im schlimmsten Fall eine Räumung.

„In der Landwirtschaft denkt man in Generationen. Es kann nicht sein, dass ein funktionierender Betrieb, der regional Lebensmittel produziert, plattgemacht wird“, sagt der 59-Jährige. Die Politik müsse jetzt eingreifen und eine Lösung finden. Schließlich habe sich die rot-grüne Koalition die Unterstützung der Landwirtschaft auf die Fahnen geschrieben.

Preise für Land könnten durch Beschluss steigen

Für ihn und seine Unterstützer geht es um Grundsätzliches. „Mit dem Verkauf kommt ein Stein ins Rollen. Wir haben Bedenken, dass die dörflichen Strukturen in der Region komplett verloren gehen“, sagt zum Beispiel Alexander Ramcke. Der Landwirt betreibt mit seiner Frau und seinem Vater einen Zucht- und Pensionsstall in Sülldorf und befürchtet, dass mit den neuen Besitzverhältnissen auf dem Moorhof die Preise für Land deutlich steigen könnten. „Wir erwarten von der Politik, dass sie Stellung bezieht und Kuh vom Eis holt“, sagt auch Heiko Brunkhorst, Eigentümer eines großen Pferdehofs in der Nähe.

Das allerdings ist unwahrscheinlich. Zuständig für die Causa Jaacks ist inzwischen die Umweltbehörde, zu der der Agrar­bereich seit 2020 gehört. Dort heißt es: „Der damals noch zuständigen Behörde blieb aufgrund der Rechtslage offenbar keine andere Möglichkeit, als den Verkauf der Hofstelle zu genehmigen.“ Es sei aber geprüft worden, in welcher Weise die Verwaltung den Betrieb unterstützen könne.

Spekulationen über Pläne der Unternehmer

So hat die Stadt inzwischen 47 Hektar landwirtschaftliche Flächen direkt an den Betrieb verpachtet – auf denen es allerdings kein Baurecht gibt. Weiteren behördlichen Handlungsspielraum gebe es nicht. Ein Ersatzstandort im Eigentum der Hansestadt, wie von Jaacks und seinen Unterstützern gefordert, stehe nicht zur Verfügung. „Wir würden es begrüßen, wenn der Betrieb Jaacks eine andere Hofstelle zur Weiterführung seines Betriebes erwerben kann“, sagt eine Sprecherin.

Noch ist nicht klar, wie die Sache ausgeht. Geredet wird viel übereinander, aber nicht miteinander. Es gibt zahlreiche Spekulationen, die die emotionale Debatte anheizen. So macht unter anderem die Runde, dass auf dem Moorhof ein Hotel entstehen soll. Für Skepsis sorgt zudem, dass sich der Unternehmer auch an der gerade wiedereröffneten Gaststätte Pony-Waldschänke in der direkter Nähe zum Moorhof beteiligt hat. „Wir wollen kein Hotel bauen und dürften es dort auch gar nicht“, widerspricht er.

Landwirtschaft: Unternehmer machte Angebote

Auch einen Zusammenhang zwischen dem Kauf der beiden Immobilien gebe es nicht. „Wir sind Rissener und wollen das Richtige für unsere Heimat in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz tun.“ Auf Bauer Jaacks seien er und seine Frau bereits mehrfach zugegangen, hätten ihm Angebote für zum Verkauf stehende Höfe in der Nähe zukommen lassen. Ohne Reaktion. Jetzt sagt er: „Für das ,Wunder von Rissen’ müsste es zu Gesprächen miteinander kommen.“