Hamburg. Corona-Förderprogramm soll Zwischennutzungen ermöglichen. Neun Millionen Euro stehen bereit. Doch Hamburgs Immobilienbesitzer zögern.

Strickjacken aus Alpaka-Wolle, Pullover aus Pima-Baumwolle, Decken aus Kaschmir – alles, was das Hamburger Start-up Achiy anbietet, wird in Handarbeit dort hergestellt, wo die Rohmaterialien herkommen. Also in Peru, Bhutan und in der Mongolei. „Bei uns gibt es keine industriellen Maschinen. Unsere Produzenten sind keine Unbekannten, die für einen Hungerlohn arbeiten, sondern Partner und Strickkünstler und -künstlerinnen“, sagt Vivica Pietz.

Gemeinsam mit ihrem Bruder Lennard steht die 29-Jährige hinter dem wenige Monate vor Beginn der Corona-Pandemie gegründeten Unternehmen, das es anders machen will als die meisten anderen in der Modebranche. Nachhaltig und fair. Hohe Mieten in angesagten Einkaufsdestinationen sind da erstmal nicht drin, das Geschäft läuft online.

Frei_Fläche: Hamburg investiert neun Millionen Euro

Dass Achiy vor kurzem trotzdem in einen eigenen Laden im Elbe Einkaufszentrum (EEZ) ziehen konnte, hat mit dem Programm Frei_Fläche zu tun. Im Juli hatte die Stadt Hamburg die Fördermaßnahme gestartet. Neun Millionen Euro aus den Mitteln zur Bewältigung der Corona-Krise stehen bis Ende 2022 zur Verfügung, um leerstehende Ladenlokale für kreative Zwischennutzungen zu erschließen.

Davon, so die Idee, könnten durch die Pandemie gebeutelte Künstler, Einzelhändler und Quartiere gleichsam profitieren. Eine Win-Win-Situation, hoch drei sozusagen. Drei Monate später ist klar, dass die Sache kein Selbstgänger ist – und noch weit entfernt vom erhofften „Booster“ für die Geschäftszentren.

Bislang sind nur zehn Förderanträge genehmigt

Gerade mal zehn Förderanträge hat die Hamburg Kreativ Gesellschaft, die die Umsetzung verantwortet, bislang genehmigt. In der Mehrzahl sind es bildende Künstlerinnen und Künstler, die in den nächsten Monaten in leeren Geschäften im Hamburger Hof, im Stilwerk oder auch in einem Kontorhaus am Neuen Wall arbeiten und ausstellen. Aber es gibt auch Überraschendes, wie Roller Skate Jam, die ab November mit ihrem Angebot rund um Rollschuhe ins Mundsburg Center ziehen.

Sechs bis acht weitere Projekte seien aktuell noch in Verhandlungen. „Wir merken, dass das Thema Zwischennutzungen bei Vermietern noch relativ unbekannt ist“, sagt Katja Wolframm, bei der Kreativ Gesellschaft für den Bereich Immobilien zuständig. 60 eingegangenen Konzepten aus den unterschiedlichsten Kreativbereichen von Puppentheater über Makramee-Workshops bis zu Virtual-Reality-Projekten und temporärer Club-Nutzung stehen elf Raumangebote gegenüber.

Finanzsenator Dressel wirbt offensiv um Immobilienbesitzer

Dabei ist das Prinzip einfach: Die Vermieter überlassen die leerstehenden Flächen den Zwischennutzern mietfrei, bekommen aber sämtliche Betriebskosten über das städtische Förderprogramm erstattet. Die Kreativen haben außer einem Unkostenbeitrag von 1,50 Euro pro Quadratmeter keine Kosten. Die gesamte Abwicklung übernimmt die Kreativgesellschaft, die inzwischen eine Internetplattform und ein dreiköpfiges Team dafür bereitstellt.

„Erste gute Anträge wurden genehmigt, aber es sind noch ausreichend Mittel vorhanden für noch viel mehr kreative Ideen überall in Hamburg“, wirbt Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) inzwischen offensiv für das Programm, das er gemeinsam mit Kultursenator Carsten Brosda (SPD) auf die Beine gestellt hat.

Vermieter kritisieren aufwendige Abwicklung

Weil nicht genug Flächen gemeldet werden, hat die Kreativagentur inzwischen angefangen, selbst auf Immobilienbesitzer und -makler zuzugehen. „Wir wollen keine Konkurrenz zum regulären Mietgeschäft sein“, betont Immobilienexpertin Wolframm. Es gehe um die Lücken zwischen Vermietungen. „Leerstände sind wirklich nichts, was die Stadt gerade braucht.“ Während sich Eigentümer mit kleinerem Portfolio zurückhalten, sind vor allem Einkaufszentren, wie das Levantehaus an der Mönckebergstraße, die Gänsemarktpassage, der Hamburger Hof am Jungfernstieg sowie die ECE-Gruppe mit sechs Häusern in Hamburg dabei.

„Grundsätzlich machen alle Center mit“, erklärt ECE-Sprecher Lucas Nemela auf Nachfrage. Das Unternehmen mit Alexander Otto an der Spitze unterstütze es, wenn Kulturschaffenden, die in der Corona-Zeit stark gelitten haben, Möglichkeiten geboten würden. Allerdings seien gar nicht so viele Flächen frei. „Wenn es passt, dann gern.“

Auch Dietmar Hamm von der Kontorhausverwaltung Bach, der das Levantehaus managt, hat eine Zwischennutzung umgesetzt: der bekannten Perückenmacher Karl Gadzali, der unter anderem für den Travestiestar Olivia Jones seine kunstvollen Haarteile fertigt. „Das Programm ist eine gute Idee. Aber die Abwicklung ist langwierig und aufwendig“, sagt Immobilienprofi Hamm, der noch auf die Erstattung der Betriebskosten wartet.

Im Hamburger Hof stehen mehrere Läden leer

Im Hamburger Hof, wo im Innenbereich zwischen Jungfernstieg, Neuen Wall und Poststraße in großen Teilen gähnende Leere herrscht, ist das Raumangebot größer als die Nachfrage. Gerade ist der Hamburger Künstler Arup J. Paul dabei, sein Atelier in einer 85 Quadratermeter großen Ladenfläche einzurichten. „Ich habe einen Raum gesucht, in dem ich größere Arbeiten machen kann“, sagt der Maler, der sich auf norddeutsche Landschaften und Porträts spezialisiert hat. „Für mich ist das eine sehr gute Möglichkeit, auch weil ich sichtbar bin.“

Im November zieht als weitere Künstlerin Theresa Gössmann ein. „Es ist gut, dass wir Künstlern, die Möglichkeit bieten können, bei uns zu arbeiten“, sagt Mariya Neufeld, die die Passage mit 5000 Quadratmetern Ladenfläche für IPH Center Management betreut. Sie hat zwei Verträge im Rahmen des Programms für je sechs Monate abgeschlossen mit der Option für weitere. „Es ist gerade nicht einfach im Einzelhandel“, sagt sie. Nicht nur der Hamburger Hof verzeichne Leerstände durch die Pandemie. „Die Zwischennutzung sind eine Belebung für das Passagenviertel“, sagt Centermanagerin Neufeld.

Start-up Achiy bleibt bis Anfang 2022 im EEZ

Dabei kommt es auch darauf an, dass die Konzepte der Kreativen zu den Vermietern und Geschäftsräumen passen. Beim Mode-Start-up Achiy aus Rissen mit seiner fair gehandelten Kollektion war das im Elbe Einkaufszentrum schnell klar. Die 120-Quadratmeter-Fläche im ersten Obergeschoss, wo bis Ende 2020 der Fotofachhändler Wiesenhavern seine Produkte verkauft hat, stand mehrere Monate leer.

„Gerade jetzt in der Zeit vor Weihnachten ist es wichtig, interessante Mieter zu haben“, sagt Centermanager Gerhard Löwe, der sich für den Vertrag mit den Newcomern aus dem Hamburger Westen eingesetzt hatte. „Für uns ist das eine einzigartige Möglichkeit“, sagt Gründerin Vivica Pietz. Die Resonanz der Kunden ist positiv. Klar ist, dass das stationäre Geschäft für Achiy eins auf Zeit ist. Anfang nächsten Jahres muss das Start-up raus, dann beginnt der Umbau für den neuen Mieter – ein Anbieter aus der Gesundheitsbranche.