Berlin. Veraltete Strukturen, Nachwuchsprobleme, Stress: Im öffentlichen Dienst hakt es an vielen Stellen. Ein neuer DGB-Report zeigt Probleme.
- Beim öffentlichen Dienst gibt es Personalmangel
- Doch woran liegt das? Was sind die größten Probleme?
- Ein neuer Report des DGB zeigt die Baustellen auf
Gesundheitsämter faxen Corona-Daten. Der dringend benötigte Wohnungsbau stockt, weil es in den deutschen Bauämtern an Personal fehlt und Anträge unbearbeitet liegen bleiben. Und in der Hauptstadt konnten Berliner bei der Bundestagswahl mit abgelaufenem Personalausweis wählen, weil Termine beim unterbesetzten Bürgeramt oft monatelang nicht zu bekommen sind.
Über die verpatzte Digitalisierung im öffentlichen Dienst wurde schon vor der Corona-Krise gespottet. Die Pandemie aber hat die Versäumnisse besonders deutlich gemacht. Die Missstände gehen auch bei den Beschäftigten an die Substanz. Das geht aus dem diesjährigen Personalreport für den öffentlichen Dienst des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hervor, der unserer Redaktion vorab vorliegt.
Öffentlicher Dienst: Personalmangel führt zu mehr Arbeit
Einer für den Report ausgewerteten repräsentativen Befragung zufolge klagen 45 Prozent der im öffentlichen Dienst Beschäftigten über Mehrarbeit infolge des Personalmangels. In der Privatwirtschaft liegt der Wert um zehn Prozentpunkte niedriger.
Zu Mehrarbeit kommt es demnach vor allem in den öffentlichen Krankenhäusern. 78 Prozent der Beschäftigten berichteten davon, häufig wegen fehlendem Personal mehr arbeiten zu müssen. Aber auch in den Kindertagesstätten und Schulen herrscht Personalmangel. Rund jeder zweite Erzieher, Sozialarbeiter oder Lehrer muss der Befragung zufolge mehr arbeiten, weil es an Personal fehlt.
Öffentlicher Dienst: Weniger Pausen, mehr Stress
Das hat Folgen. Jeder zweite Beschäftigte, der in einem von Personalmangel betroffenen Bereich tätig ist, gibt an, oft oder sehr oft Abstriche bei der Qualität der eigenen Arbeit machen zu müssen. Auch nehmen viele die Arbeit offenbar mit in die Freizeit. 45 Prozent der Befragten können in der arbeitsfreien Zeit häufig nicht richtig abschalten.
Jeder Zweite fühlt sich zudem bei der Arbeit gehetzt, mehr als jeder Dritte kürzt seine Pausen oder lässt sie gleich ganz ausfallen. „Im öffentlichen Dienst ist die Arbeit seit Jahren auf zu wenige Schultern verteilt. Das geht zulasten der Beschäftigten und letztlich auch der Allgemeinheit“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack unserer Redaktion.
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Hohe Quote an befristet Beschäftigten
Bundesweit arbeiteten dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr 4,97 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst – rund jeder Dritte ist verbeamtet oder als Richterin oder Richter tätig. Mit 445.405 Beschäftigten und damit 14,5 Prozent ist allerdings auch die Quote der befristet Beschäftigten hoch.
Rund die Hälfte der im öffentlichen Dienst Beschäftigten ist dem Personalreport zufolge für die Bundesländer tätig, etwa als Lehrkräfte oder als Polizisten. Knapp 1,6 Millionen Beschäftigte arbeiten für die Kommunen.
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Es fehlt an Nachwuchs
Ein Blick in die Daten zeigt, dass sich die Personalknappheit so schnell nicht beheben lassen wird. Im Gegenteil. Es fehlt dem öffentlichen Dienst an Nachwuchs. Und das Problem droht sich zu verschärfen. Mehr als jeder vierte Beschäftigte ist älter als 55 Jahre und wird in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Für sie muss perspektivisch neues Personal gefunden werden.
Der öffentliche Dienst gilt zwar als relativ jobsicher, dafür aber oftmals nicht als ansprechend für die junge Generation. Das Durchschnittsalter aller Beschäftigten beträgt 44,5 Jahre – nur 6,2 Prozent sind unter 25 Jahren. Eine Verjüngung ist vorerst nicht in Sicht.
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Gewerkschaften fordern fünf Prozent mehr Lohn
Laut Statistischem Bundesamt sank im vergangenen Jahr im öffentlichen Dienst die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 3,3 Prozent. „In vielen Bereichen – in Krankenhäusern, in der Pflege, in Jugendämtern und in der Schule – gibt es enorme Personalengpässe“, warnt Hannack. „Wenn die Politik, allen voran die Länder, hier nicht gegensteuert, wird sich die Situation weiter verschärfen. Das kann niemand wollen.“
Der Spielraum der Bundesländer ist allerdings knapp – wie nicht zuletzt die Länder bei der am Freitag begonnenen Tarifrunde im öffentlichen Dienst zeigen. In den diesjährigen Verhandlungen wollen die Gewerkschaften Verdi sowie DBB Beamtenbund und Tarifunion fünf Prozent mehr Geld für die Beschäftigten durchsetzen. So soll unter anderem die derzeit hohe Inflationsrate ausgeglichen werden.
DGB-Vize Hannack warnt vor Stellenabbau
Nur: Die Kassen vieler Länder und Kommunen sind angesichts der Corona-Pandemie klamm. Allein im Pandemiejahr 2020 stieg die Verschuldung der Länder um 9,8 Prozent auf 636 Milliarden Euro an. Niedersachsens Finanzminister und Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Reinhold Hilbers, hatte daher die Gewerkschaftsforderungen als unrealistisch zurückgewiesen.
In Hilbers eigenen Bundesland könnte es sogar zum Stellenabbau kommen. Niedersachsen will Millionen einsparen – indem etwa rund 2000 Stellen gestrichen werden. Dabei soll es sich um solche Stellen handeln, die bisher gar nicht oder nicht dauerhaft besetzt werden konnten. Als falschen Ansatz bewertet das DGB-Vize Hannack. Sie warnte die Länder davor, den „Rotstift beim Personal“ anzusetzen.
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Im EU-Vergleich gibt Deutschland relativ wenig aus
Zumal Deutschland im EU-Vergleich gemessen an seiner Wirtschaftsleistung deutlich weniger als andere Länder für das Personal des öffentlichen Dienstes ausgibt. 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) werden in Deutschland für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ausgegeben – damit liegt Deutschland vor Irland (6,7 Prozent) auf dem vorletzten Platz der 27 EU-Staaten.
Am meisten geben prozentual gesehen die Norweger (16,3 Prozent) für den öffentlichen Dienst aus, gefolgt von den Dänen (15,4). Der EU-Durchschnitt liegt bei 11,0 Prozent.