Hamburg. BMW-Entwicklungsvorstand Frank Weber und Hochbahn-Chef Henrik Falk in einem Gespräch über die Zukunft der Mobilität in der Hansestadt.
Über Jahrzehnte galten das Auto und der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) als Gegenspieler: Der autogerechten Stadt waren in Hamburg die Straßenbahnen im Weg, heute wollen manche den Umstieg auf Bus und Bahnen gegen den Individualverkehr erzwingen.
Dabei haben sich die vermeintlichen Gegenspieler mehr zu sagen: In dem Modellprojekt RealLab arbeiten sie in den Hansestadt zusammen. Das Abendblatt bat Hochbahn-Chef Henrik Falk und Frank Weber, Entwicklungsvorstand bei BMW, zum Gespräch.
Hamburger Abendblatt: Kommen sich der Öffentliche Nahverkehr und die Automobilindustrie näher?
Henrik Falk: Bisher haben alle zu sehr in ihren alten Schubladen gedacht. Aber das ist vorbei. Wir werden die Mobilität der Zukunft nicht ohne Zusammenarbeit hinbekommen. Wir kommen zwar aus unterschiedlichen Ecken, sind aber gar nicht so weit auseinander.
Frank Weber: Unser gemeinsames Interesse ist fließender Verkehr und stressfreie Mobilität. Wir müssen schauen, wie wir unser Angebot bestmöglich an das Verkehrssystem anbinden und verknüpfen. Es liegt nicht im Interesse von BMW, dass Innenstädte zugeparkt sind oder 30 Prozent der Zeit auf Parkplatzsuche entfallen. Das Zentrum der Innenstadt muss angenehm sein, das kann auch autofrei sein – es muss aber an die Mobilitäts-Infrastruktur angebunden bleiben. Wir benötigen eine Mischung aus Lebendigkeit und Erreichbarkeit. Deshalb suchen wir gemeinsam nach Lösungen im Reallabor, wie wir das Zusammenspiel von Auto und ÖPNV verbessern können.
Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Weber: Wir arbeiten gemeinsam in der Arbeitsgruppe „Digitalisierung für den Mobilitätssektor“ der Nationalen Plattform, die die Bundesregierung initiiert hat. Entscheidend ist, dass wir zahlreiche, anonymisierte Informationen bekommen, wie die Menschen mobil sein wollen, welche Gewohnheiten sie haben und wie sich ihr Mobilitätsverhalten verändern lässt. In Hamburg haben wir perfekte Bedingungen, hier testen wir neue Mobilitätsangebote unter realen Bedingungen.
Falk: Wir haben eine gemeinsame Interessenlage – Autohersteller können sich autofreie Innenstädte vorstellen, am Rande der Stadt stößt der öffentliche Nahverkehr an seine Grenzen, hier bleibt individuelle Mobilität notwendig. Deshalb haben wir autonomes Fahren nach Bergedorf gebracht, um Menschen besser an die S-Bahn anzubinden. Und forcieren die Idee der Mobilitätsbudgets in den Innenstädten: Wir haben eine Plattform geschaffen, die erstmals alle Mobilitätsanbieter einbindet, und zehn Unternehmen gewonnen, die einen bestimmten Betrag für ihre Mitarbeiter aufbuchen. So bekommen wir viele Erkenntnisse. Das alles begleiten wir wissenschaftlich.
Das Hamburger Reallabor |
hvv switch: Als Alternative zum privaten Pkw müssen Mobilitätsangebote einfach und bequem zugänglich sein. Das wird mit der hvv switch-App möglich, die alle relevanten Mobilitätsangebote der Stadt – von Bus und Bahn über Ride-Pooling wie Moia bis hin zu Car-, E-Scooter- und Bike-Sharing - digital in einer App verfügbar macht. Damit erhalten Nutzer einen schnellen Überblick. Die Registrierung, Buchung und Abrechnung aller Services ist zentral über die -App möglich. Mobilitätsbudget: 54 Prozent der Arbeitswege legen die Menschen in Hamburg mit dem privaten Pkw zurück. Um eine Mobilitätswende zu schaffen, sind also Alternativen notwendig. Hier kommt das Mobilitätsbudget ins Spiel. Die Idee: Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern ein monatlich individuell festlegbares Budget zur Verfügung, das diese für alle in der hvv switch-App verfügbaren Mobilitätsangebote flexibel einsetzen können. Das Pilotprojekt soll Aufschluss geben, ob ein derartiges Angebot den privaten Pkw oder sogar den Firmen- oder Dienstwagen ersetzen kann. Mikrodepot: Online-Shopping wächst rasant. Und damit der Lieferverkehr, mehr Emissionen, nervige Zweite-Reihe-Parker. Die Alternative sind innenstadtnahe Verteilzentren, sogenannte Mikrodepots. Diese werden von verschiedenen Logistikdienstleistern und regionalen Einzelhändlern angefahren und gemeinschaftlich genutzt. Lieferungen werden hier gebündelt und per Lastenfahrrad klimaneutral zum Endkunden gebracht. |
Weber: Wichtig ist das Angebot einer Mobilitäts-App, die alle Verkehrsträger vernetzt, mit der man eine Fahrkarte, ein Taxi oder einen Leihwagen buchen kann. Unsere Erfahrungen in Hamburg zeigen: Die Bereitschaft, von einer Mobilitätsform zu anderen zu wechseln, steigt mit einer einheitlichen App. Wir benötigen also einen Standard.
Wir reden seit Langem von der Verkehrswende – aber die Zahl der Autos steigt. Mit fast 805.780 Fahrzeugen hat sich der Bestand in Hamburg seit 2011 um mehr als zehn Prozent vergrößert. Auch BMW lebt davon…
Weber: Am Ende entscheidet jeder für sich, wie mobil man sein möchte. Individuelle Mobilität hat einen hohen Stellenwert, aber den hat ein funktionierender ÖPNV auch. Wir haben alle ein hohes Interesse daran, dass der Verkehr flüssig läuft.
Daran hakt es, zumindest mit Blick auf den Anteil der Verkehrsträger, den sogenannten Modalsplit. Zwischen 2008 und 2017 ist der Anteil des ÖPNV nur um drei Prozentpunkte von 19 auf 22 Prozent gestiegen. Das Auto hat von 39 auf 36 Prozent leicht verloren.
Falk: Mit dem Klimaplan verfolgen wir das Ziel, den ÖPNV auf 30 Prozent zu heben – und mit Rad und Fußgängern auf 80 Prozent zu kommen. In den Randbereichen aber benötigen wir smartere Übergänge. Das Auto zu verteufeln, bringt nicht weiter.
Wie könnten smarte Übergänge aussehen?
Falk: Wir reden seit Jahrzehnten von Sammeltaxen als Lösung. Aber erst die Digitalisierung macht daraus ein Konzept. Jetzt haben wir die Möglichkeit, die Bedürfnisse digital zu verknüpfen. Das macht Mobilitätsangebote wie Moia, Carsharing oder autonomes Fahren erst möglich.
Nicht alle neuen Ideen helfen bei der Verkehrsentlastung …
Weber: Richtig. Es gibt Studien, wonach Uber oder Lyft das Verkehrsaufkommen sogar steigern – weil die Menschen von Bus, Bahn oder Fahrrad auf die Mitfahrdienste umsteigen. Die Dinge müssen so ineinandergreifen, dass am Ende der Verkehr netto zurückgeht und trotzdem leistungsfähiger wird.
Geht es bei der Digitalisierung am Ende nicht vor allem um Datensammeln, um im Wettstreit mit Google oder Tesla als deutscher Hersteller nicht zurückzufallen?
Weber: Ja, das betrifft alle, die Industrie, Deutschland, Europa. Die bestehenden Ökosysteme sind extrem stark. Die Chancen der Digitalisierung sind gewaltig, wenn wir die Daten im Sinne der Kunden nutzen dürfen.
Falk: Deshalb ist es wichtig, dass wir europäische Regeln und Standards voranbringen. Ein Datenschutz nach unseren Maßstäben ist dabei entscheidend.
Weber: Bei uns gibt es zurecht keine Digitalisierung ohne Datenschutz. Wir müssen aber die Balance wahren, sodass anonymisierte Daten in einem zentralen Raum auch für die Entwicklung genutzt und ausgetauscht werden dürfen.
Ist Hamburg eigentlich führend bei der Mobilität der Zukunft?
Weber: Wir haben uns nicht grundlos für das Reallabor entschieden. Hamburg ist Benchmark: Die Stadt unterstützt uns, und die Hochbahn ist sehr offen für Neues – das sind beste Bedingungen. So etwas gibt es auch in München nicht.
In der kommenden Woche beginnt der ITS-Weltkongress, der Hamburg motiviert hat, zum Schaufenster zu werden. Erlahmt danach der Ehrgeiz?
Falk: Es wird definitiv weitergehen. Bis vor wenigen Jahren wusste doch keiner, was ITS überhaupt ist. Nun haben wir eine Olympiade der Ideen daraus gemacht. Wir fangen alle gerade erst an, diese neue Welt zu bauen. Aber die Klimakrise zwingt uns dazu, bis 2030 ein neues Mobilitätskonzept auf die Schiene zu setzen. Hamburg hat diese Ambition. Und darin liegen auch viele Geschäftsmodelle.
Weber: Wir sammeln in Hamburg Wissen, um Blaupausen für andere Städte zu schaffen. Das kann dem ganzen Land zugutekommen und die Entwicklungen für die Zukunft beschleunigen. Mobilität in den Innenstädten von morgen ist eine so komplexe Aufgabe, die schaffen wir nur gemeinsam.
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Verändert das auch die Autos? Ihre jüngsten Konzepte zum Mini Urbanaut, einem hippen Wohnmobil, oder den 100-prozent recycelbaren BMW i Vision Circular gehen in diese Richtung…
Weber: Nachhaltigkeit darf kein Schlagwort sein, sondern ist Ziel: Der Vision Circular soll zeigen, was auf vier Metern Länge möglich ist. Der Wagen ist komplett aus wiederverwertbaren Materialien und unlackiert. Die Nachhaltigkeit von morgen ist keine Verzichtsübung – ganz im Gegenteil: Die Menschen sollen spüren, dass ein nachhaltiges Produkt das beste ist und ihnen sogar noch mehr gibt.
Falk: Genau für unsere Innenstädte brauchen wir auch hochklassige Modelle für Menschen, die zwar gerne mit anderen Leute ein Fahrzeug teilen, aber nicht den klassischen ÖPNV wählen wollen. Wir können nicht alle in den Bus zwingen.
Stichwort autonomes Fahren – wann werden uns die Autos fahren?
Weber: Das kann man kaum beantworten. Um ein vollständig autonomes Konzept auf die Beine zu stellen, das in jeder Innenstadtsituation und in jeder Verkehrslage sicher fährt, wird es viel Zeit brauchen, so um die 15 bis 20 Jahre. Autonomes Fahren entwickelt sich evolutionär – erst auf abgesperrten Strecken wie jetzt in Bergedorf. Und dann wird man sich in Funktion und Raum immer mehr nach vorne bewegen.
Wann werden Busse und Bahnen autonom fahren?
Falk: Schienengebunden wird es früher gelingen. Die U5 wird automatisch und damit effizienter sowie in kürzeren Takten verkehren. Die Busindustrie hängt immer an den Autos. Hier wird es mit abgesperrten Strecken beginnen. Die Infrastruktur muss dafür aber auch intelligent sein. Wir sehen gerade am Projekt Heat in der Hafencity, wie anspruchsvoll und aufwendig diese Investitionen sind. Autonomes Fahren wird am Ende vermutlich nur funktionieren, wenn die Intelligenz überwiegend auf der Fahrzeugseite liegt.