Hamburg. Autonom fahrend, umweltfreundlich und sicher – auch in der Hansestadt wird erforscht, wie der Lkw der Zukunft aussehen sollte.

Hamburg ist eine logistische Drehscheibe, ein Warenverteilzentrum für Nordeuropa. Zu Wasser, auf der Schiene – und ganz besonders auch auf der Straße. Mehr als die Hälfte der im Hafen ankommenden Seegüter werden auf dem Asphalt weitertransportiert. Rund 260.000 Lkw rollen nach Messungen der Verkehrs­behörde täglich über die Straßen der Stadt. Jeder pustet durchschnittlich 660 Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer raus.

Der Straßengüterverkehr in Deutschland ist für jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) in der Luft verantwortlich. Angesichts des Klimawandels hat das keine Zukunft. Aber wie können die Lasttransporte auf der Straße in der Zukunft umweltfreundlich geschehen, sodass auch nachfolgende Generationen Kühlschränke, Möbel und andere unhandliche Dinge direkt vor die Haustür geliefert bekommen? Dazu wird in Hamburg und der Metropolregion an vielen Orten geforscht – nicht nur, aber auch im Rahmen des bevorstehenden ITS Weltkongresses für Mobilität.

Verkehr in Hamburg: Wasserstoff könnte die Zukunft sein

Wer wissen will, wie der saubere Lkw der Zukunft aussieht, muss seine Erkundigungen einige Kilometer vor den Toren der Stadt beginnen, in einem Gewerbezentrum in Winsen/Luhe. Hier werden in einer großen Halle dieselbetriebene Schwerlast-Lkw auf Wasserstoffantrieb umgerüstet. „Clean Logistics“ heißt das Unternehmen, das noch an Prototypen arbeitet, aber im kommenden Jahr in die Serienproduktion gehen will.

Denn Wasserstoff kann die umweltfreundliche Alternative zu fossilen Kraftstoffen sein – falls er klimaneutral hergestellt wird. Wenn Wasserstoff mit Sauerstoff in einer Brennstoffzelle reagiert, entsteht Strom, ohne dass Feinstaub und das für das Klima schädliche Kohlendioxid freigesetzt werden. Die Abgase bestehen lediglich aus Wasserdampf. Aber wie baut man einen 40-Tonner-Diesel auf Wasserstoffantrieb um?

Tankinhalt reicht für 400-500 Kilometer lange Fahrt

Der Lkw muss zunächst völlig entkernt werden. Anstelle des Motorblocks werden zwei Brennstoffzellen, die 240 Kilowatt Leistung liefern, unter das Fahrerhaus gesetzt. Die Wasserstofftanks nimmt der Lkw hinter dem Fahrerhaus vor dem Auflieger huckepack. Die Kraftstofftanks werden abmontiert und durch Batterien mit einer Kapazität von 240 Kilowattstunden ersetzt. Kardanwelle und Getriebe verschwinden, stattdessen wird eine neue Hinterachse mit zwei Elektromotoren montiert. Mit einem Tankinhalt von 43 Kilogramm Wasserstoff reicht das für eine 400 bis 500 Kilometer lange Fahrt.

Dirk Graszt (l.) und Dirk Lehmann lassen Diesel-Lkw auf Wasserstoffantrieb umrüsten.
Dirk Graszt (l.) und Dirk Lehmann lassen Diesel-Lkw auf Wasserstoffantrieb umrüsten. © Roland Magunia/Funke Foto Services

Ausgedacht haben sich das zwei Hamburger Unternehmer, die erkannt haben, dass die Treibhausgasemission im Straßentransport signifikant sinken muss. Dirk Graszt, Vorstand der Spedition Hary AG, und Dirk Lehmann, Chef der Hamburger Firma Becker Marine Systems, die Ruder und Manövriersysteme für die Schifffahrt baut, haben Clean Logistics gegründet und sogar inzwischen an die Börse gebracht. Kundenakquise betreiben sie nicht, weil etliche Spediteure ihre Lkw auf die saubere Antriebsart umstellen wollen. „Wir müssen bei den Kunden keine Türen eintreten, sondern nur unsere öffnen“, sagen Lehmann und Graszt.

Unterstützung von Michael Westhagemann

Unterstützung gibt es aus Teilen der Politik. Während viele nur von der Elek­tromobilität sprechen, halten andere im Lasttransport die Brennstoffzelle für unverzichtbar. Einer davon ist Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). Ein normales Fahrzeug benötige für eine Strecke von 100 Kilometern mit E-Antrieb eine 100 Kilogramm schwere Batterie, aber nur ein Kilogramm Wasserstoff, rechnet er Skeptikern gerne vor. Ein 40-Tonner benötige für dieselbe Strecke aber schon eine Batterie vom Gewicht einer Tonne, aber nur zehn Kilogramm Wasserstoff. Müsse der Lkw 500 oder 600 Kilometer weit fahren, stießen die Batterien mit bis zu sechs Tonnen Gewicht an ihre Grenzen.

Wer also meint, man brauche beim Lkw, wie beim Pkw, nur den Dieselmotor durch eine Batterie zu ersetzen, der ist auf dem Holzweg. Wenn ein 40-Tonner nur mit Batterien für den Antrieb auf die Straße soll, dann transportiert er ganz viel Batterie und sehr wenig Zuladung. Es sei denn, er muss den Strom nicht schon vor Fahrtantritt speichern, sondern kann sich die nötige Energie während der Fahrt ständig zuführen.

E-Highway wird auf Bundesautobahn 1 getestet

Auch hier macht ein Projekt vor den Toren Hamburgs von sich reden, allerdings nicht im Süden der Stadt, sondern nördlich davon. Auf der Bundesautobahn 1 wird der E-Highway getestet. Dazu wurde auf einer insgesamt zehn Kilometer langen Teststrecke zwischen Reinfeld und Lübeck eine Oberleitungsanlage errichtet. An dieser testet die Reinfelder Spedition Bode die Energieversorgung eines Lkw per Oberleitung. Dazu lässt sie einen vom Hersteller Scania mit einem Stromabnehmer versehenen Lkw zwischen ihrem Lager in Reinfeld und dem Lübecker Hafen pendeln. Der Test läuft noch bis Ende 2022.

Ein Hybrid-Lkw mit Stromabnehmer fährt auf der Autobahn A1 zwischen Lübeck und Reinfeld.
Ein Hybrid-Lkw mit Stromabnehmer fährt auf der Autobahn A1 zwischen Lübeck und Reinfeld. © dpa | Daniel Bockwoldt

Das Verfahren hat Vor- und Nachteile: die Effizienz ist höher, der Preis niedriger als bei der Wasserstoffproduktion. Selbst wenn in Deutschland Tausende Kilometer an den Autobahnen mit Oberleitungen versehen werden müssten, wäre das immer noch billiger als Wasserstoff, weil man den Strom direkt nutzen könnte und nicht zur Produktion des Wasserstoffs benötigte. Nachteil: Sobald die Lkw die Autobahn verlassen, sind sie auf die Nutzung einer anderen Antriebsart angewiesen. Und da sind wir schon wieder bei Diesel. Zudem hat die Feuerwehr Bedenken: Bei Unfällen auf Autobahnen wären Oberleitungen gefährlich, nicht zuletzt weil Rettungshubschrauber dann nicht mehr landen könnten.

Lkw der Zukunft werden autonom fahren

Welche Antriebstechnik sich auch immer durchsetzt: Einen Fahrer werden die Lkw der Zukunft nicht mehr benötigen. Mehrere große Fahrzeughersteller testen an verschiedenen Standorten in Deutschland den Einsatz von selbstfahrenden Lkw, in den USA und China ist man bereits sehr weit. Die mit Kameras und Sensoren ausgestatteten Fahrzeuge werden von einem Computer gesteuert. Kompliziert wird es allerdings, wenn die Fahrzeuge sich nicht im normalen Straßenverkehr bewegen, sondern in einem riesigen Industrieareal.

Ein vielversprechendes Projekt wird derzeit im Hafen durchgeführt. Hier geht es darum, den Fahrzeugen beizubringen, führerlos unter den besonderen Bedingungen eines engen Produktionskomplexes zu agieren. Sattelschlepper müssen sich beispielsweise ohne Menschenhilfe exakt so positionieren, dass ein Hafenkran einen Container auf ihnen absetzen kann. „TruckPilot“ heißt das Programm, bei dem die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und der Münchner Lkw-Hersteller MAN automatisierte Lkw zwischen eine Spedition und dem Hamburger Hafen fahren lassen.

„Autonomes Fahren wird kommen"

Ab der Terminalzufahrt müssen die Lkw alles alleine machen. Sie geben selbstständig vorsichtig Gas, steuern mit 25 Kilometern pro Stunde das Blocklager an, weichen im Weg stehenden Containern aus und rangieren das Containerchassis rückwärts in die zugewiesene Fahrspur. Sie holen sich ihre Container selbst ab. Nach dem Containerumschlag erfolgt die autonome Rückfahrt zum Check-Gate. Bisher mussten die Fahrer, die zur Sicherheit noch hinterm Lenkrad sitzen, nicht eingreifen.

Möglich werden die Tests durch ein vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz, das den Einsatz autonomer Fahrzeugsysteme in Deutschland in festgelegten Betriebsbereichen, wie zum Beispiel auf Strecken zwischen Logistik-Hubs, überwacht durch eine technische Aufsicht grundsätzlich erlaubt. „Autonomes Fahren wird kommen. Das bestätigt das verabschiedete Gesetz. Entsprechend wollen und müssen wir uns als HHLA frühzeitig darauf vorbereiten, dass perspektivisch autonome Lkw an unseren Terminals Container abholen beziehungsweise anliefern“, sagt Till Schlumberger, Leiter des Projekts bei der HHLA. Auch TruckPilot wird beim ITS Kongress vorgeführt.

Abbiege-Assistenten sollen Unfälle verhindern

Ein weiterer Schritt für den Lkw der Zukunft ist die Senatsinitiative für mehr Verkehrssicherheit, die auch beim ITS Kongress eine Rolle spielt. Dabei geht es um die Einrichtung von Abbiege-Assistenten. Abbiege-Unfälle zwischen Lkw und Fußgängern oder Radfahrern führen immer wieder zu tödlichen Verletzungen. Technische Abbiege-Assistenz-Systeme können helfen, viele dieser Unfälle zu vermeiden und damit Leben zu retten. Denn die Systeme sorgen dafür, dass der Lkw-Fahrer auf Personen im toten Winkel rechtzeitig aufmerksam wird.

Ein Jahr nach dem Start der Senats­initiative konnten inzwischen rund 97 Prozent aller städtischen Fahrzeuge über 7,5 t, die regelmäßig im öffentlichen Raum unterwegs sind, mit einem entsprechenden System ausgerüstet werden. „Im Sinne der Verkehrssicherheit – insbesondere im urbanen Bereich – ist es wichtig, dass die Lkw der Zukunft zur effektiven Vermeidung von Abbiege-Unfällen mit Abbiege-Assistenten ausgestattet werden“, sagt Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne). „Hierbei ist natürlich wünschenswert, wenn auch die Privatwirtschaft aus dem Transport- und Logistikbereich die Vorteile der neuen digitalen Technik nutzt und nachzieht.“

Im Hafen soll „Mozart“ den Verkehrsfluss verbessern

Nicht nur die Fahrzeuge selbst wandeln sich. Die Digitalisierung ist auch ein gutes Hilfsmittel, um ihre Infrastruktur zu verbessern. Die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) tritt beim ITS Weltkongress mit gleich zwei Projekten an, die die Kapazität des vorhandenen Straßennetzes für Lkw im Hafen erhöhen sollen. Eines heißt „Mozart“, aber es handelt sich dabei nicht um Musik, sondern um die Abkürzung des sehr sperrigen Titels „Mobility, Optimierung, dig. Zwilling, Analyse, Real Time, Traffic“. Kaum unkomplizierter als der Name ist die Idee, die dahintersteht. Sie basiert auf der Erfahrung, dass Staus häufig an Kreuzungen entstehen.

Ampelschaltungen sind ziemlich starr und richten sich manchmal sogar gegen den tatsächlichen Verkehrsfluss. Das kann dazu führen, dass sich auf einer Straße die Fahrzeuge vor einer roten Ampel stauen, während auf der sie kreuzenden Straße, die Grün hat, kein Auto fährt. Um den Verkehrsfluss an diesen verkehrlichen Engstellen zu steigern, wird ein zentraler Rechner eingesetzt, der die Ampelphasen steuern soll.

Lkw kündigen Ankunft an Ampel vorher an

Er errechnet in Echtzeit die Ampelschaltung für den optimalen Gesamtdurchsatz. Unabhängige Sensoren senden dazu permanent das gemessene Verkehrsgeschehen im gesamten Hafen aus Induktionsschleifen und Kameras an die Recheneinheit. Diese sendet dann den Takt für die Ampelphasen an die Kreuzungen.

Ein zweites Projekt der HPA dient der Erforschung der direkten Kommunikation von Fahrzeugen mit der sie umgebenden Infrastruktur. Auch bei Green4Transport geht es darum, dass sich die Ampelsteuerung dem tatsächlichen Verkehr anpasst. Dabei kündigen Lkw ihre Ankunft an einer Ampel an, sodass diese vorzeitig auf Grün umspringen kann, wenn sonst kein Verkehr herrscht. Zwei Ampeln im Bereich des Kattwykdamms und bis zu 160 Lkw sind im Test mit den Geräten ausgestattet.

Tjarks betont Relevanz von Lkw für Hamburg

Für Verkehrssenator Tjarks sind Lkw vorerst unverzichtbar. „Eine mobile Stadt und ein funktionierender Warenverkehr sind elementar für den wirtschaftlichen Erfolg Hamburgs“, sagt er. Lastwagen würden auch in Zukunft eine Rolle beim Warenverkehr in Hamburg spielen.

Anjes Tjarks.
Anjes Tjarks. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Fahrzeuge sind für ihn längst noch nicht ausgereizt: „Es wird möglich sein, dass die Lkw an bestimmten, besonders gefährlichen Stellen über ihre Onboard-Units Gefahrenwarnungen zum Beispiel über heraneilende Radfahrende bekommen“, sagt der Politiker. Diese Informationen können über verschiedene Kommunikationskanäle standardisiert von der Infrastruktur in den Lkw gelangen oder auch von Fahrzeug zu Fahrzeug gesendet werden.

Verkehr in Hamburg: Lkw der Zukunft sind emissionsfrei

Lkw der Zukunft nutzen nicht nur die Digitalisierung wie zum Beispiel Abstandsmessung, autonomes Fahren und Vehicle-to-Vehicle-Communication, um effizienter und sicherer zu sein, sie sind vor allem leise und emissionsfrei. Dabei ist die Diskussion noch technologieoffen: Oberleitungen, nur Batterieantrieb und auch Wasserstoff sind noch im Rennen. Lkw stehen erst am Anfang ihrer technischen Möglichkeiten. Der ITS Weltkongress bietet ein Ka­leidoskop an Forschungsimpulsen, um zu erahnen, welche das sind.