Hamburg. Sabine Möller ist die siebte Bäckermeisterin der Familie – und die erste Frau. Warum sie auf Tradition statt auf Marketing setzt.

Nachts um eins brennt schon Licht. Wenn in den Häusern ringsherum auch die letzten ins Bett steigen, geht es bei Bäcker Körner in der Backstube los. „Als erstes sind Brötchen dran“, sagt Sabine Möller. Spätestens um vier Uhr müssen sie fertig sein. Blankeneser, Schrippen, Körnerbrötchen, Käsestangen – 20 verschiedene Sorten, mehr als 4000 Stück jede Nacht. Danach wird Brot gebacken. Und natürlich Kuchen.

Kurz nach 5 Uhr stehen schon die ersten Kunden unter der goldenen Brezel vor der Tür. Sabine Möller kennt es nicht anders. Die 55-Jährige ist über der Backstube aufgewachsen. Inzwischen ist sie die Chefin in dem Blankeneser Familienbetrieb. „Wir sind eine der wenigen Bäckereien, die noch vor Ort backen“, sagt die Bäcker- und Konditormeisterin. Und das seit mittlerweile 120 Jahren.

Bäcker Hamburg: Besonders die Franzbrötchen von Körner sind bekannt

Auch an diesem Vormittag schwingt der Duft von frisch Gebackenem in der Luft, wenn man das Ladenlokal an der Blankeneser Bahnhofsstraße betritt. In den Regalen liegen Vollkornbrot, Bauernbrot, Blankeneser Landbrot, darunter in großen Körben die Brötchen. Vor allem für die Franzbrötchen ist Körner bekannt.

Im Verkaufstresen gibt es Kuchen vom Blech – mit Pflaumen, Himbeeren und was sonst so Saison hat. Am Eingang hat die Bäckerin eine Liste mit den Körner-Backwaren aufgehängt, die gerade vom Deutschen Brotinstitut zertifiziert wurden. „Alle Produkte wurden ausgezeichnet“, sagt Sabine Möller. 31 mal Gold, 4 mal Silber. Eine wichtige Bestätigung für die resolute Handwerksmeisterin, die das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern in der vierten Generation erfolgreich führt – trotz rasant wachsender Konkurrenz von Filialbetrieben wie Bäckerei Junge, Dat Backhus & Co.

Bäckerei Körner zählt Otto Waalkes und Familie Darboven zu ihren Stammkunden

Das hat sich auch in den schwierigen Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie gezeigt. Während die Branche empfindliche Einbußen hinnehmen musste, weil Restaurants, Hotels und Firmen als Großabnehmer ausfielen und die eigenen Gastronomie-Angebote schließen mussten, lief es für die traditionsreiche Stadtteilbäckerei mit Schwerpunkt auf dem Ladengeschäft im Stammhaus und in den vier Filialen in Bahrenfeld, Othmarschen, Rissen und bei Edeka Krüger in der Blankeneser Bahnhofsstraße gut.

„Wir haben ein Umsatzplus von zehn Prozent“, sagt Sabine Möller. „Die Menschen in der Umgebung waren im Homeoffice, die Kinder konnten nicht in die Schule. Deshalb wurden mehr Brötchen und Brot gekauft.“ Offenbar sind viele auf den Geschmack gekommen. Die guten Geschäftszahlen in dem Betrieb mit einem Jahresumsatz von mehr als zwei Millionen Euro halten sich. Auch bekannte Hamburger zählen zu den Körnerschen Stammkunden. Otto Waalkes zum Beispiel, Liedermacher Rolf Zuckowski oder die Familie Darboven.

Sabine Möller ist die siebte Bäckermeisterin der Familie – und die erste Frau

Dabei war Firmengründer Hinrich-Martin Körner von vielen für verrückt erklärt worden, als er seine Bäckerei 1901 an der Blankeneser Landstraße eröffnete. „Warum baust du hier oben, das Leben spielt sich doch im Treppenviertel ab“, habe er zu hören bekommen, erzählt Sabine Möller. Sie ist die siebte Bäckermeisterin in der Familie – und die erste Frau.

Ein Bild aus den Anfangstagen der Blankeneser Traditionsbäckerei Körner
Ein Bild aus den Anfangstagen der Blankeneser Traditionsbäckerei Körner © privat

Sowohl ihr Großvater Max Körner als auch Vater Hartmut Körner haben den Betrieb, der zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise und so manche Höhen und Tiefen überstanden hat, jeweils mehr als 30 Jahre geführt. Ihr Onkel Hans-Hennig Körner war 1962 nach Finkenwerder gegangen und hatte dort eine Bäckerei eröffnet, die heute von seinem Sohn geführt wird. In den 90er-Jahren sah es dann eine Zeit lang so aus, dass die Körner-Ära in Blankenese zu Ende gehen könnte. Keins der drei Kinder interessierte sich über die Arbeit in der Backstube. „Meine Eltern hatten sich damit abgefunden, dass sie keinen Nachfolger haben würden“, sagt Sabine Möller.

Sabine Möller: "Wir sind ein echter Familienbetrieb"

Doch nach Abschluss ihres Betriebswirtschaftsstudiums und den ersten Arbeitsjahren entschied sich die damals 25-Jährige um. Eine Freundin hatte ihr damals gesagt: „Schade, dass du nicht selbstständig bist. Du kannst so gut organisieren.“ Die älteste der Körner-Geschwister machte eine Ausbildung zur Bäckerin und Konditorin, legte später ihre Meisterprüfung ab.

2002 übernahm sie, nach der Scheidung alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern, die Leitung des Betriebs – samt Wohnung über der Backstube. Sie hat es geschafft, auch wenn es nicht immer einfach war. „Es gab Jahre, in denen ich meinen Mitarbeitern kein Weihnachtsgeld zahlen konnte“, sagt sie. Ihre Eltern halfen viel. Und ganz wichtig, die zumeist langjährigen Mitarbeiter, hielten zu ihr. „Wir sind ein echter Familienbetrieb.“

"Warum soll ich es ändern, wenn es noch funktioniert?"

Und inzwischen zahlt es sich auch aus, dass die tradierten Rezepte und Arbeitsweisen weitergegeben werden. Selbstbewusst reagiert Sabine Möller, wenn man sie nach den neuen, schicken Handwerksbäckern wie Zeit für Brot oder BackGeschwister (ehemals Bäcker Gaues) fragt, die gerade den Brotmarkt mit geschicktem Marketing aufmischen. Da heißt ein Hefevorteig kann ganz modern Poolish. „Aber die machen auch nichts anderes als wir seit 120 Jahren“, sagt die Bäckerin und holt einen Sauerteig aus dem Kühlraum, um ihn zu kneten.

Bäckerei Körner in Zeiten des Wirtschaftswunders.
Bäckerei Körner in Zeiten des Wirtschaftswunders. © Bäckerei Körner | Bäckerei Körner

Möller bleibt der Familientradition und sich treu. Bei Bäcker Körner stammt die Ladeneinrichtung von Anfang der 1980er-Jahre. Im Flur vor der Backstube geht man über die bunten Bodenfliesen, die schon der Firmengründer hatte legen lassen. „Warum soll ich es ändern, wenn es noch funktioniert?“, fragt Chefin Möller. Geld steckt sie lieber in Investitionen für den Klimaschutz. 300.000 Euro hat sie als Umweltpartner der Stadt Hamburg in den vergangenen Jahren ausgegeben, unter anderem für energieeffizientere Öfen, die knapp 35 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.

Das größte Problem der Chefin: Fachkräftemangel

Ihr größtes Problem ist im Moment, dass sie keine Fachkräfte findet. Ein Bäcker und zwei Verkäuferinnen fehlen, sagt die Chefin. Expansionsideen liegen auch deshalb zunächst einmal auf Eis. Macht sie sich Gedanken über die eigene Nachfolge? Sabine Möller zuckt die Schultern. Ein Sohn hat gerade seinen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaftslehre gemacht, der andere ist noch mitten im Wirtschaftsingenieursstudium. „Ich habe mich ja auch erst spät entschieden“, sagt sie.

Im Moment will sie auch noch gar nichts ändern. Demnächst wird sie wieder den beliebten Kirchenstollen backen, der bis zum ersten Advent im Turm der Blankeneser Kirche reift. Jetzt wird erst einmal das Jubiläum mit historischen Fotos und einer Backwaren-Ausstellung gefeiert. Sabine Möller hat immer was zu tun. Wenn bei ihr unten in der Backstube gegen ein Uhr nachts das Licht angeht, dann hat sie es oft gerade ausgemacht.