Hamburg. Immobilien an der Ostsee immer beliebter - mit dramatischen Auswirkungen für Beschäftigte. Jetzt greift die Politik ein und will regulieren.

  • Ferienwohnung oder Ferienhaus: 27,5 Prozent aller Interessenten träumen von einer Immobilie an der deutschen Ostsee oder Nordsee. Damit liegt der Norden in der Gunst weit vor allen andere Destinationen.
  • Bei Neubauvorhaben werden vielerorts an der Ostsee Ferienwohnungen ausgeschlossen.
  • Großinvestoren bauen zunehmend auch Wohnungen für das Personal von Ferienhotels.

„Ich möchte mich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen“, sagt Sven Partheil-Böhnke. Der seit einigen Wochen in Timmendorfer Strand wirkende Bürgermeister hat es unter anderem mit diesem Wahlversprechen ins Rathaus der Ostseegemeinde geschafft.

Für den FDP-Politiker, der bisher Steuerberater mit eigener Kanzlei in Hamburg war, sollen diese Wohnungen auch „Vorrang vor Ferien- und Zweitwohnungen bekommen“. Auf einer öffentlichen Infoveranstaltung zu Bauthemen verdeutlichte Partheil-Böhnke jetzt noch einmal seinen Weg für die Gemeinde. Es gehe darum, dass auch die Supermärkte noch Personal fänden. Und zwar Menschen, die sich das Wohnen in Timmendorf noch leisten könnten.

Ostsee: Preise für Ferienwohnungen auf Rekordkurs

Das Dilemma vieler Gemeinden an der Küste: Immer mehr Deutsche wünschen sich eine Ferienwohnung in der Nähe des Meeres, doch der Platz ist begrenzt. Dadurch steigen die Preise in Regionen, wo sich die Menschen die frische Seeluft um die Nase wehen lassen können, immer weiter.

Beispiel Timmendorfer Strand: Schon 2019 zählte der „Nizza des Nordens“ genannte Badeort mit 4520 Euro pro Quadratmeter zu den teuersten Immobilienstandorten an der Ostsee.

Auch getrieben durch die Pandemie und die damit steigende Attraktivität von Urlaub in Deutschland sind die gezahlten Summen weiter auf Rekordkurs: So betrug 2020 der Quadratmeterpreis in Timmendorfer Strand schon 6000 Euro, und jetzt werden 7500 Euro verlangt – ein weiterer Zuwachs um 25 Prozent.

Dass nicht nur die „Badewanne der Hamburger“, sondern weite Teile Schleswig-Holsteins zu den Top-Destinationen für Immobiliensuchende gehören, zeigt auch eine Befragung im Auftrag der Internetplattform Myne Home: Demnach träumen exakt 27,5 Prozent der Ferienhaus-Interessenten von einer eigenen Immobilie an der deutschen Nordsee- oder Ostseeküste. Damit liegt der Norden in der Gunst bereits weit vorne, erst mit einigem Abstand folgen der deutschsprachige Alpenraum (14,2 Prozent), Italien (11,2 Prozent) und Spanien (10,5 Prozent).

Ferienwohnung bringt durchschnittlich 12.800 Euro Miete im Jahr

Von Ferienimmobilien versprechen sich viele Interessenten nicht nur hohe Lebensqualität, neuerdings etwa die Möglichkeit, sich ein Homeoffice mit Meerblick zu leisten. Auch der finanzielle Anreiz ist bei diesen Investments groß. Eine Marktstudie aus dem Jahr 2020, bei der 1696 Ferienimmobilienbesitzer konsultiert wurden, ergab, dass die Vermietungsdauer in Deutschland bei durchschnittlich 27 Wochen liegt, was etwas mehr als der Hälfte eines Jahres entspricht.

Die dabei generierten Mieteinnahmen von durchschnittlich 12.800 Euro im Jahr liegen dabei weit höher als die jährlichen Erlöse in einer durchgängig vermieteten durchschnittlichen Großstadtwohnung. An der Ostsee lassen sich im günstigsten Fall sogar Einnahmen von 20.000 Euro im Jahr erzielen – bei durchschnittlichen Tagespreisen von rund 100 Euro.

Ferienwohnungen: Markt soll mit politischen Maßnahmen reguliert werden

Angesichts solcher Marktmechanismen, die Dauermieter schlechter stellen, sehen sich Timmendorfer Strand wie auch andere Orte in der Region nun gezwungen, den Markt mit politischen Maßnahmen zu regulieren. Denn Verhältnisse wie auf Sylt, wo immer mehr Einheimische keinen anderen Weg sehen, als aufs Festland zu ziehen, gelten für viele Anwohner als abschreckendes Szenario.

Schon bisher kommen in Timmendorfer Strand laut Gemeinde auf 5800 Erstwohnungen 3000 Zweitwohnungen. In einigen Gebieten der Gemeinde, heißt es nun von der Verwaltung in Timmendorfer Strand, sind Ferienwohnungen jetzt „ausgeschlossen“.

Auch die Makler berichten von den geänderten Rahmenbedingungen, die an der gesamten Küste spürbar sind: „Zweitwohnsitze ohne Ferienvermietung wurden bereits stark eingeschränkt“, sagt Patrick Schröder, Lizenzpartner von Dahler & Company in Timmendorfer Strand und Lübeck.

Gleichzeitig werde der Wohnraum für Personen mit Erstwohnsitz in der Region gefördert. „In einigen Gebieten ist die Ferienvermietung dabei mittlerweile komplett untersagt und es ist nur ein Erstwohnsitz möglich“, ergänzt Schröder.

Neue Baugebiete in Scharbeutz sollen reine Wohngebiete werden

Es gelte, die Einwohnerzahl zu halten, damit etwa Schulen noch existieren könnten, beschreibt Andreas Kunze von Concept Immobilien in Scharbeutz die Situation vor Ort.

Die Folge: Bei Neubauten seien nur begrenzt Ferienwohnungen erlaubt, bestätigt Kunze und nennt ein Beispiel: In einem Projekt mit elf Wohnungen seien 70 Prozent als Erstwohnsitz vorgesehen, nur bei 30 Prozent sei die Ferienvermietung erlaubt. Allerdings gebe es in den Gemeinden keine klare Linie bei diesen Begrenzungen und auch keinen gemeinsamen Kurs.

Neue Baugebiete, stellt Bettina Schäfer, Bürgermeisterin in Scharbeutz klar, seien jetzt als reine Wohngebiete geplant. So solle ein „Wildwuchs“ an Ferienwohnungen verhindert werden. Hier ist dann die Vermietung an Urlaubsgäste untersagt und sollen möglichst Erstwohnsitze entstehen.

Bei 13.000 Einwohnern komme Scharbeutz auf 4900 Zweitwohnungen. „Und auch im Binnenland werden Wohnungen für Einheimische knapp“, beschreibt Schäfer die Herausforderungen in ihrer Gemeinde, in der heute schnell Mieten von 12, 14 oder sogar 16 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden müssten.

„Wir verlieren bei der Freiwilligen Feuerwehr etliche Aktive, weil sie Familien gründen und wegziehen“, ergänzt die ebenfalls noch nicht lange als Bürgermeisterin tätige 49-Jährige und fasst ihre Sorge zusammen. „Wenn es so weitergeht, bricht uns hier die Infrastruktur weg“.

Scharbeutz: Ferienwohnung muss rückwirkend genehmigt werden

Auch für bestehende Wohnungen ergeben sich Neuerungen: So weist die Gemeinde Scharbeutz darauf hin, dass es „leider keinen Bestandsschutz für nicht genehmigte, aber vielleicht schon sehr lange als Ferienwohnungen genutzte Einheiten“ gebe. Hintergrund sei, dass es 2017 eine Städtebaurechtsnovelle gegeben habe, in der Ferienwohnungen definiert wurden. Das bedeute, dass diese Nutzung auch rückwirkend genehmigt werden müsse.

Die Gemeinde appelliert nun an Ferienwohnungsvermieter, sich die eigene Baugenehmigung anzuschauen und zu prüfen, „ob Ihre Wohnung oder Ihr Zimmer, welches Sie vermieten, als Ferienwohnung oder Beherbergungsbetrieb genehmigt ist. Wenn das nicht so sein sollte, dann wäre hier ein Baugenehmigungsverfahren notwendig“.

Ostsee: Hotels bauen für ihre Beschäftigten eigene Unterkünfte

Auch Investoren reagieren auf die Wünsche der Gemeinden, mehr Gewicht auf das Interesse von Einheimischen zu legen: So realisiert zum Beispiel der Projektentwickler Lübecker Bucht Immobilien jetzt Objekte mit bezahlbarem Wohnraum, etwa einen Apartmentblock am Rande von Timmendorfer Strand.

Einziehen können hier Frauen und Männer, die vor Ort arbeiten. Noch vor wenigen Jahren hatte der gleiche Investor ein Luxusensemble für Urlauber geschaffen. Das 2019 fertig gestellte „White Pearl“ bietet in bester Lage an der Strandallee Ferienwohnungen, die, teilweise mit Meerblick-Terrassen und eigener Sauna ausgestattet, höchsten Ansprüchen genügen.

Diese Schere zwischen Arm und Reich, die in den Urlaubsorten seit Jahren immer weiter auseinandergeht, drängt auch Arbeitgeber zu eher ungewöhnlichen Maßnahmen: Immer mehr Hotels bauen für ihre Beschäftigten eigene Unterkünfte, damit sie überhaupt Personal finden.

Plötzlich werden Wohnungen für Mitarbeiter gebaut

So hat das Arborea in Neustadt/Holstein ein eigenes Haus für die Angestellten errichtet. Auch das Gut Immenhof in Malente, das im Herbst eröffnet, bietet seinem Team diese Möglichkeit: Neben dem luxuriösen Reiterhotel können etwa Angestellte aus Service und Küche in eigene Mitarbeiter-Wohnungen ziehen.

Die Problematik, dass gerade viele Angestellte in Hotels zu den schlechter verdienenden Einkommensgruppen gehören, betont auch Timmendorfs Bürgermeister. Die Gemeinde sei schließlich kein Industriestandort von Volkswagen, wo sich die Beschäftigten auch teurere Immobilien problemlos leisten könnten, sagte Partheil-Böhnke. Um das rare Personal etwa in der Gastronomie zu finden und zu halten, seien günstige Wohnungen unabdingbar.