Hamburg. Stephan Schnabel will den Personalabbau beim Hamburger Chemiehändler nicht als Maßnahme aus der Not heraus verstanden wissen.

Dass sich bei der Helm AG etwas verändert, sieht man spätestens als Stephan Schnabel den Raum betritt: der Vorstandsvorsitzende trägt keine Krawatte. Bis vor wenigen Monaten wäre dies beim weltweit größten konzernunabhängigen Chemiehändler undenkbar gewesen.

„Die Zeiten wandeln sich. Und auch wir müssen uns verändern“, sagt der 46-jährige, der im April 2020 die Führung des Familienunternehmens mit Hauptsitz in der City Süd übernommen hat. Fast drei Jahrzehnte lang hatte sein Vater Dieter zuvor die Geschicke der Helm AG bestimmt – erfolgreich, aber nach klaren Regeln.

Hamburger Helm AG ändert die Regeln für Mitarbeiter

Es gab einen festen Dresscode und verbindliche Arbeitszeiten von 8.15 Uhr bis 16.00 Uhr. Darauf legte der Patriarch großen Wert. Beides ist nun Vergangenheit. Der Schlips ist ab, Homeoffice und Gleitzeit sind Standard. Stephan Schnabel will die Helm AG „fit machen für die Zukunft“, wie er sagt. Die frei gelegten Hälse der Hemdenträger sind hierfür nur ein kleines, äußeres Zeichen für den Wandel. Denn der Umbau des Unternehmens wird weitaus gravierendere Folgen haben. Er kostet Arbeitsplätze – und zwar rund 180 Vollzeitstellen von insgesamt 1500 Jobs weltweit. Auch Hamburg wird betroffen sein, Schnabel spricht von 80 der rund 630 Jobs in der Hansestadt.

Bereits wenige Monate nachdem er den Chefposten von seinem direkten Vorgänger Hans-Christian Sievers, der die Helm AG zwischen 2012 und 2020 lenkte, übernommen hatte, war für Stephan Schnabel klar: „Wir müssen den Startschuss für einen Umbau geben“. Die Geschäfte liefen schlecht. 2019 stand ein Millionen-Verlust, der Start ins Corona-Jahr 2020 war mäßig, das zweite Quartal entwickelte sich katastrophal. „Bei uns herrschte Weltuntergangsstimmung“, bringt es Schnabel im Rückblick auf den Punkt. Die weltweite Konjunktur war eingebrochen, die Nachfrage nach Chemikalien, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Pharmazeutika – Helms Kerngeschäfte – stürzte ab, die Preise sackten ins Bodenlose.

Helm-Chef: „Wir mussten reagieren“

„Wir mussten reagieren“, sagt Schnabel. Mit der Hilfe externer Unternehmensberater nahm man alle internen Prozesse unter die Lupe. Wo wird Arbeit doppelt gemacht? Wie kann man effizienter werden? „Wir waren einfach schwerfällig geworden“, sagt der Helm-Chef. „Unser Unternehmen war ein unbeweglicher Supertanker. Aber wir brauchen viele, flexible Schnellboote.“

Eine Strategie, die nun auch Arbeitsplätze kostet. Seit Mitte 2020 laufen bereits Gespräche mit betroffenen Beschäftigten. „Wir sind uns bei jedem Kollegen unserer Verantwortung bewusst“, sagt Personalleiter Thomas Gartz. Man führe „großzügige Gespräche“ über einen Aufhebungsvertrag oder nach Bedarf über eine Transfergesellschaft. Auf betriebsbedingte Kündigungen wolle man verzichten, ausgeschlossen seien sie allerdings nicht.

Helm AG ohne einen Betriebsrat

Ein Betriebsrat steht den betroffenen Beschäftigten bei den Gesprächen übrigens nicht zur Seite. Der simple Grund: Es gibt keinen bei der Helm AG. „Unser Anspruch ist es in allen Belangen besser für die Beschäftigten zu sein als es ein Betriebsrat sein könnte“, sagt Gartz. Und Stephan Schnabel stimmt dem Personalleiter zu. Damit stehen beide in der Tradition von Dieter Schnabel, der noch immer mit 60 Prozent die Mehrheit an der Helm AG hält.

Über die restlichen 40 Prozent verfügt Sohn Stephan. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Belegschaft keinen Betriebsrat verlangt, was womöglich wirklich an den vergleichsweise großzügigen sozialen Leistungen (hoch bezuschusstes Kantinenessen, Ferienwohnungen für Beschäftigte und Betriebskindergarten) liegt. Und sogar in der betrieblichen Umbauphase hat jeder Angestellte für die nicht immer einfache Arbeit während der Pandemie einen Bonus von 4000 Euro bekommen.

Personalabbau nicht als Maßnahme aus der Not

Stephan Schnabel will den Personalabbau denn auch nicht als Maßnahme aus der Not heraus verstanden wissen. Schließlich folgten auf das Katastrophen-Quartal von Anfang April bis Ende Juni 2020 wieder deutlich bessere Monate. Die Preise zogen an, Geld kam in die Kasse. So stand für 2020 zwar ein Umsatzrückgang von 18 Prozent auf 4,12 Milliarden Euro. Aber die Helm AG schaffte es zugleich wieder in die schwarzen Zahlen, machte 13 Millionen Euro Gewinn vor Sondereffekten. Beteiligungen wurden verkauft, das Unternehmen installierte ein neues IT-System – und innovative Geschäftsfelder konnten etabliert werden. Genau dort will Stephan Schnabel weitermachen.

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Drei Beispiele nennt der Helm-Chef. So habe man ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem US-Konzern Cargill gegründet, das auf die Produktion klimaverträglicher Chemikalien als Grundlage für Kunststoffe setzt. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Herstellungsverfahren ließen sich so 93 Prozent CO2 einsparen, sagt Schnabel.

Hamburger stellten Corona-Impfstoffe her

Zudem stellt die Helm AG Landwirten detaillierte Satellitenaufnahmen zur Verfügung, mit deren Hilfe sie Pflanzenschutzmittel wesentlich gezielter als früher auf ihren Agrarflächen einsetzen können. Und auch an der Bekämpfung von Epidemien verdienen die Hamburger mittlerweile Geld, weil sie im Rahmen eines Joint-Ventures in der Nähe von Kiel in kleineren Mengen Impfstoffe herstellen, die an Probanden getestet werden – übrigens auch gegen Corona.

Möglichst zum ersten Quartal 2022 soll der anvisierte Personalabbau abgeschlossen sein. Und danach will Stephan Schnabel mit „schlankeren und effizienteren Strukturen durchstarten“, wie er sagt.

Helm AG investiert über 300 Millionen Euro

So investiert die Helm AG bis 2024 mehr als 300 Millionen Euro in möglichst gewinnbringende Geschäftsfelder. Und beim Sparen machen die Eigentümer auch auf der höchsten Managementebene nicht halt. Seit Stephan Schnabel den Vorsitz des Vorstands übernommen hat, besteht das Gremium nur noch aus fünf statt sechs Personen. Den Bereich Pflanzenschutz und Dünger verantwortet Schnabel als Chef nun selbst.