Hamburg. Der BGH verwarf sämtliche Revisionen gegen das erste Strafurteil. Die Warburg-Eigner erwägen eine Verfassungsklage.

Das Urteil, das Rolf Raum als Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch verkündete, war nicht wirklich eine Überraschung: Sogenannte „Cum-Ex“-Aktiengeschäfte mit Milliardenschäden für den Fiskus sind als Steuerhinterziehung zu bewerten und daher strafbar.

Damit verwarf der BGH sämtliche Revisionen gegen das erste Strafurteil in einem Cum-Ex-Verfahren. Das Bonner Landgericht hatte im März 2020 zwei Ex-Börsenhändler aus London wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Die beiden britischen Staatsbürger waren im fraglichen Zeitraum von 2006 bis 2011 zunächst als Aktienhändler für die HypoVereinsbank tätig gewesen, später als Selbstständige.

BGH-Richter Rolf Raum bei der Urteilsverkündung.
BGH-Richter Rolf Raum bei der Urteilsverkündung. © dpa/Uli Deck | Unbekannt

BGH: Warburg-Bank muss Steuerschulden zurückzahlen

Zudem bestätigte der BGH, dass die Hamburger Privatbank M.M. Warburg & CO gut 176 Millionen Euro Steuerschulden zurückzahlen muss. Das Geldhaus war in dem Bonner Verfahren als „Nebenbeteiligter“ geführt worden, gegen den das Gericht die Einziehung von sogenannten Taterträgen anordnen kann, auch wenn er nicht Täter war. Nach eigenen Angaben hat M.M. Warburg bereits Ende 2020 die Steuerschuld beglichen – verbunden mit der Bemerkung, dies sei kein Schuldeingeständnis.

Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem BGH-Urteil:

Was sind Cum-Ex-Geschäfte?

Es geht dabei um das Hin- und Herschieben von Aktien mit (lateinisch „cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch rund um den Dividendenstichtag, wobei mehrere Akteure im In- und Ausland beteiligt sind. Die dadurch entstehende Verunsicherung über die Besitzverhältnisse führte dazu, dass Finanzämter eine nur einmal gezahlte Kapitalertragssteuer auf die Dividenden mehrfach erstatteten. Der dem Fiskus so entstandene Schaden wird auf rund zwölf Milliarden Euro geschätzt, europaweit geht man sogar von rund 50 Milliarden Euro aus.

Welche Rolle spielt die Warburg-Bank?

Im Januar 2016 hatten Ermittlungen gegen M.M. Warburg wegen Cum-Ex-Geschäften mit einer Durchsuchung begonnen – wie bei vielen anderen Finanzinstituten auch. Seitdem hat das Hamburger Bankhaus stets angegeben, man habe nie die Absicht gehabt, „steuerrechtswidrige Aktiengeschäfte zu betreiben“. Zudem sah sich M.M. Warburg in einer Opferrolle: Die Deutsche Bank, die als Depotbank in die Geschäfte involviert war, hätte die Steuer abführen müssen, hieß es. Mit einer Klage gegen die Deutsche Bank auf Schadenersatz in Höhe von rund 167 Millionen Euro scheiterten die Hamburger im September 2020 aber vor dem Landgericht Frankfurt. M.M. Warburg hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt steht noch aus. Ein ehemaliger Generalbevollmächtigter von M.M. Warburg wurde im Juni vom Landgericht Bonn wegen Steuerhinterziehung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hat Revision eingelegt.

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Wie reagierten die Warburg-Bank und ihre Haupteigner auf das BGH-Urteil?

Das Urteil bleibe „ohne wirtschaftliche Auswirkungen für die Warburg Bank“, denn sie habe schon im Jahr 2020 alle von den Steuerbehörden wegen der Cum-Ex-Geschäfte gegen sie geltend gemachten Steuerforderungen beglichen, teilte M.M Warburg mit. Der Rückerstattungsbetrag war ihr von den beiden Hauptgesellschaftern Christian Olearius und Max Warburg zur Verfügung gestellt worden. In einer gemeinsamen Erklärung zeigten sich diese am Mittwoch „enttäuscht“ darüber, dass der BGH ein Urteil des Landgerichts (LG) Bonn bestätigte, „welches die Einziehung von über 176 Millionen Euro angeordnet hat, ohne dass unsere Seite zu irgendeinem Zeitpunkt eine faire Chance gehabt hätte, sich dagegen zu verteidigen“. Zudem stelle die Strafkammer des LG Bonn, die speziell für diesen Prozess eingerichtet wurde, „nach unserer Überzeugung ein in einem Rechtsstaat unzulässiges Ausnahmegericht dar“. Weiter heißt es: „Wir werden deshalb zu prüfen haben, ob wir unser Recht nunmehr auf der verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Ebene zu suchen haben.“

Konnten Cum-Ex-Transaktionen zunächst als legal angesehen werden?

Die Akteure solcher Geschäfte haben immer wieder argumentiert, sie hätten nur ein Steuerschlupfloch genutzt. Dem erteilte der BGH nun eine klare Absage. Aus dem Gesetz habe sich eindeutig ergeben, dass nur eine tatsächlich gezahlte Steuer gegenüber den Finanzbehörden geltend gemacht werden könne, sagte der Vorsitzende Richter Rolf Raum: „Eine Lücke gab’s hier nicht.“ Bei Cum-Ex sei es nur um eines gegangen: den „blanken Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen“.

Welche Rolle spielte bei alldem die Bundespolitik?

Das Bundesfinanzministerium brauchte lange, um solche Geschäfte zu unterbinden. Dabei hatte selbst der Bundesverband deutscher Banken bereits im Jahr 2002 in einem Schreiben an das Bundesfinanzministerium (BMF) auf die juristische Problematik aufmerksam gemacht – wohl nicht zuletzt aus Sorge um eine mögliche Haftung der Banken. Doch erst 2012 wurde den Cum-Ex-Transaktionen durch eine Gesetzesänderung der Riegel vorgeschoben. Experten zufolge gingen die systematischen Steuerhinterziehungen in leicht abgeänderter Form – als sogenannte Cum-Cum-Geschäfte – aber noch mindestens bis 2016 weiter.

Wie geht es mit der juristischen Aufarbeitung nun weiter?

Es wird eine große Zahl weiterer Prozesse geben. Die Justiz in Deutschland ermittelt gegen mehr als 1000 Beschuldigte, europaweit hat man rund 130 Banken im Visier. Unter den deutschen Instituten war nach Angaben der Finanzaufsichtsbehörde BaFin eine „kleine zweistellige Zahl“ von Banken in solche Transaktionen verwickelt. Einige Geldhäuser, darunter die Hamburg Commercial Bank (früher: HSH Nordbank), die HypoVereinsbank, die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sowie die DZ Bank haben bereits zusammen mehrere Hundert Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt, ohne dass sie dazu verurteilt worden wären.

Wie werten Politiker den BGH-Spruch zu Cum-Ex?

Für Götz Wiese, den Sprecher der CDU-Fraktion im Hamburger Untersuchungsausschuss Cum-Ex, ist weiterhin offen: „Warum hat die Hamburger Finanzverwaltung Cum-Ex-Steuerforderungen in Millionenhöhe nicht durchgesetzt? Wie konnte so etwas in Hamburg passieren, während überall sonst in Deutschland der Fiskus die Rückforderung betrieb?“ Wiese weist der damaligen SPD-Regierung die Schuld zu: „Der damalige Bürgermeister Olaf Scholz und der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher tragen dafür die rechtliche und politische Verantwortung.“

Die CDU-Fraktion werde „entschlossen die Zeugenbefragung im zweiten Halbjahr 2021 fortsetzen, um Licht ins Dunkel des damaligen Scholz-Senats zu bringen.“ Nach Ansicht von Fabio De Masi, finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, ist das BGH-Urteil „eine Ohrfeige für Finanzminister Olaf Scholz“, der sich als Erster Bürgermeister von Hamburg mehrfach „mit dem in einem laufenden Steuerverfahren Beschuldigten Warburg-Bankier Olearius“ getroffen habe. Nur Gerichte hätten „am Ende eine Verjährung der Cum-Ex-Tatbeute der Warburg Bank zum Schaden Hamburgs unterbunden“.