Hamburg. 33 neue Geschäfte trotz der Pandemie eröffnet – so viele wie in keiner anderen Metropole. Branchenvielfalt nimmt zu.
Vermieter von Ladenflächen in Hamburg müssen bei Mieten deutliche Abstriche machen. Der zunehmende Onlinehandel, Schließungen während der Corona-Pandemie und die finanziellen Probleme der Einzelhändler haben in der City zu einem deutlichen Rückgang der Ladenmieten geführt.
Nach Einschätzung von Branchenkennern sind die Mieten in den sogenannten A-Lagen um bis zu 40 Prozent gesunken. Dazu gehören Einkaufsmeilen wie die Mönckebergstraße, die Spitalerstraße und der Neue Wall. „Generell kann man von einem Rückgang der Mieten von 15 bis 20 Prozent ausgehen“, bestätigt Sven Bechert, Bereichsleiter Einzelhandel beim Hamburger Maklerunternehmen Grossmann & Berger. Bei größeren Einzelhandelsflächen seien auch noch größere Abschläge möglich.
Großflächige Leerstände an der Mönckebergstraße
Auch großflächige Leerstände an der Mönckebergstraße wie das frühere Kaufhof-Gebäude und das gegenüberliegende Gebäude von Karstadt Sport tragen zu dieser Entwicklung bei, heißt es im aktuellen Frühjahrsgutachten des zentralen Immobilienausschusses, des Spitzenverbands der deutschen Immobilienwirtschaft. Danach zählt die Hansestadt bei dem Mietniveau nur noch zum Mittelfeld unter den sieben großen Metropolen. „Festgehalten werden kann, dass die Höchstmieten in Top-Lagen von 2019 auf 2020 ebenfalls gesunken sind“, heißt es in dem Gutachten.
„Es darf aber nicht übersehen werden, dass diese Entwicklung nicht überraschend kommt“, sagt Einzelhandelsexperte Bechert. Denn die Mieten seien generell an die Umsatzentwicklung gekoppelt. „Deshalb gab es auch vor der Corona-Pandemie schon sinkende Mieten in der Hamburger City. Das Mietniveau von vor fünf Jahren werden wir nicht wieder erreichen, aber die Corona-Pandemie sehe ich als vorübergehenden Effekt. In den nächsten Jahren werden die Mieten auch wieder anziehen.“
Mietrückgang führt zu vielen Neueröffnungen
Der Mietrückgang führt gleichzeitig zu vielen Neueröffnungen in der Innenstadt. „Trotz der Corona-Pandemie wurden in den vergangenen 18 Monaten 33 neue Gewerbemietverträge für die Innenstadt abgeschlossen“, sagt Philipp Hass, Einzelhandelsexperte beim Immobiliendienstleister CBRE. Dazu zählen Marken wie Dr. Martens (Schuhe), Rains (Regenbekleidung) und das skandinavische Modelabel Filippa K.
„Eine solche Dynamik bei Neueröffnungen gibt es in keiner der anderen großen Städte“, sagt Hass. Fast die Hälfte der Eröffnungen entfallen auf Mönckebergstraße und Neuer Wall. „Kleinere Flächen und sinkende Mieten ermöglichen Branchen einen Standort in der Innenstadt, die dort bisher nicht vertreten waren“, sagt Leif Krägenau, Teamleiter der BBE Handelsberatung in Hamburg.
Vertrauen, Beratung und Authentizität
Ein Beispiel für diese Dynamik ist das kleine Geschäft in den Hohen Bleichen von Mareike Peters. Die Fassade wird von Frauenfiguren bestimmt, die zufällig Pflanzen in den Händen halten – und die werden auch in den Produkten von Natur Kosmetik München (NKM) verwendet. Am heutigen Freitag eröffnet das erste Geschäft der Marke in der Hansestadt, die der zweite Standort nach München ist. „Es gibt viele Online-Shops, wo die Gründer unsichtbar bleiben“, sagt Peters, die 25 Jahre alte Gründerin der Naturkosmetikmarke NKM. „Das wollen wir mit einer weiteren Filiale ändern. Vertrauen, Beratung und Authentizität lässt sich vor allem im persönlichen Gespräch vermitteln, und das ist bei unseren Produkten besonders wichtig.“
Bereits vor wenigen Tagen öffnete am Alten Wall ein 200 Quadratmeter großes Geschäft der Hamburger Modemarke by Aylin Koenig, die sich auf Bekleidung aus natürlichen Materialien spezialisiert hat. Die Premium-Textilien werden ausschließlich in Italien produziert. Sein bisher größtes Geschäft mit rund 300 Quadratmetern hat das dänische Herrenmode-Label Shaping New Tomorrow vor rund einem Monat ebenfalls am Neuen Wall eröffnet.
Neue Marken kommen in die City
Nach vielen warnenden Stimmen über leerstehende Ladenflächen und gefährdete Einzelhändler in Folge der Corona-Pandemie zeigt die Hamburger Innenstadt in diesen Wochen auch eine andere Seite: Neue Marken kommen in die City oder verbessern ihre Präsenz deutlich. Erste Erfahrungen über den eigenen Online-Shop im stationären Einzelhandel hinaus sammelte die Hamburger Modemacherin Koenig mit einem Pop-Up-Store in den Hamburger Colonnaden.
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Bemerkenswert ist noch ein anderer Aspekt. Die Vertreterinnen der Marken by Aylin Koenig oder NKM sind erfolgreiche Influencerinnen mit vielen Tausend Followern. „Sie sehen in der Krise auch eine Chance, um ihr Geschäftsmodell mit dem traditionellen Handel zu verknüpfen oder zu erweitern“, sagt Philipp Hass, Einzelhandelsexperte beim Immobiliendienstleister CBRE.
Dazu zählen Marken wie Dr. Martens (Schuhe), Rains (Regenbekleidung) und das skandinavische Modelabel Filippa K, dessen Bekleidung bereits im Alsterhaus angeboten wird. „Hamburg war für uns als Marke der nächste logische Schritt, um unsere Präsenz in Deutschland auszuweiten“, sagt Thomas Pohle, Bereichsleiter Einzelhandel bei Filippa K. 250 Quadratmeter wurden für den eigenen Shop an der Bleichenbrücke gemietet. Der hanseatische Stil passe sehr gut zur Ästhetik der Marke.
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Ein Beispiel für den Wandel ist die ehemalige Verkaufsfläche der schwedischen Sportwarenkette Stadium in der Mönckebergstraße. Der Deutschland-Ableger hatte Insolvenz angemeldet. Nach langem Leerstand und günstigeren Mieten entstand in dem Gebäude ein verändertes Konzept für neue Einzelhändler: Candy World mit Süßigkeiten aus aller Welt hat bereits eröffnet und im Herbst ziehen auf der Vorderseite des Gebäudes die dänische Bäckereikette Copenhagen Coffee-Lab und der Computer- und Multimedia-Händler Cyberport ein, der vorher Untermieter im Kaufhof war.
Kräfteverhältnis zwischen Mietern und Vermietern hat sich verändert
„Hamburg ist anders als München oder Frankfurt viel weniger abhängig von Geschäftsreisenden und spürt deshalb schneller eine Erholung in den Einkaufsstraßen“, sagt Hass. Die Stadt profitiere von vielen Touristen, vor allem aus Skandinavien. „Das zeigt sich auch an neun skandinavischen Einzelhandelsmarken, die sich in Hamburg niedergelassen haben.“
Das Kräfteverhältnis zwischen Mietern und Vermietern hat sich verändert, denn der Flächenverbrauch im Einzelhandel sinkt. Ursachen sind der wachsende Online-Handel, der Rückzug von Filialisten auf weniger und große Standorte und ein Mangel an neuen Einzelhandelskonzepten aus Asien und den USA. Jetzt müssen die Vermieter mehr Zugeständnisse an die Mieter machen. Das zeigt sich nicht nur bei der Miethöhe, sondern auch bei der Laufzeit der Mietverträge. Die minimale Laufzeit liegt meist bei nur fünf statt den bisher üblichen zehn Jahren.
Die Veränderungen zeigen sich auch bei den Einzelhandelsflächen. „Ab dem zweiten Obergeschoss werden wir keine Einzelhandelsflächen mehr sehen“, sagt Krägenau. „Für die höheren Etagen in den Geschäftshäusern brauchen wir neue Nutzungskonzepte. Denkbar sind Lösungen für Wohnen, Kindertagesstätten, Arztpraxen und Studentenwohnheime.“ In der ersten Etage im ehemaligen Stadium hat der Friseursalon Anabell Bühl Gold den Betrieb aufgenommen.
Fahrradhändler erobern die Innenstadt
Handelsexperte Krägenau macht die Veränderungen in der Innenstadt auch noch an anderen Beispielen fest. Fahrradhändler erobern die Innenstadt. Concept Cycles Hamburg hat sich mit einem Showroom am Großen Burstah niedergelassen. Die Kette Peloton bietet Anschauungsunterricht für ihr Fitnessprogramm an der Bleichenbrücke und der Fahrradhändler „Rose Bikes“, der seine Drahtesel bislang hauptsächlich online verkauft, sucht ebenfalls nach Flächen in der Hamburger City. Im nächsten Jahr soll eine neue Filiale eröffnet werden. „Zwei weitere Fahrradmarken wollen ebenfalls noch Ladenflächen in der Innenstadt anmieten“, sagt Hass.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Selbst dort, wo die Mönckebergstraße von Baustellen bestimmt wird, hat sich etwas getan. Im Levantehaus konnten leere Ladenflächen neu besetzt werden. Unter den Neuzugängen ist das Bürstenhaus Carl Töddensen und die Modekette Scotch & Soda. Und Stiftehersteller Faber Castell, bereits am Neuen Wall etabliert, bezieht eine weitere Filiale im Levantehaus.
Händler könnten Chance nutzen und Flächen erweitern
Aber die Händler brauchen noch Geduld, bis sich ihre Strategie auszahlt. „Noch liegt die Frequenz der potenziellen Käufer in den Haupteinkaufsstraßen etwa 20 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau“, sagt Krägenau. Vor allem Schuh- und Textileinzelhandel müssen in diesem Jahr noch mit zweistelligen prozentualen Umsatzverlusten rechnen. Noch sind nicht alle Beschäftigten vom Homeoffice in ihre Büros in die Innenstadt zurückgekehrt.
„Je größer eine Stadt, desto eher erfüllt die Innenstadt keine reine Nahversorgungsfunktion, sondern strahlt weiträumig mit einem Angebot an übergeordneten Waren ins Umland aus“, sagt Krägenau. Doch je mehr sich die Innenstadt verändert und je interessanter die neuen Ladenkonzepte, desto früher wird es die Verbraucher in die Innenstadt zurückziehen.
Immer hochkarätiger wird der Neue Wall
„Viele Händler sehen jetzt auch die Chance, sich mit einem neuen Standort neu zu positionieren. Sie können sich mit einer günstigeren Miete vergrößern“, sagt Handelsexperte Hass. Ein Beispiel ist die auf Yogabekleidung spezialisierte Marke Lululemon, die in der Poststraße größere Flächen als bisher mietete.
Immer hochkarätiger wird der Neue Wall. Rund 20 Anbieter von Uhren und Schmuck sind auf der edlen Einkaufsstraße inzwischen vertreten. „Allein in den vergangenen 18 Monaten gab es vier Neuabschlüsse in diesem Segment für diesen Standort“, sagt Hass. Neue Konkurrenz für Wempe & Co kam mit Juwelier Rüschenbeck aus Dortmund. Die Uhrenmarken Breitling und Tag Heuer sind jetzt mit eigenen Geschäften vertreten. Auch sie gehören zu den 33 Neuansiedelungen. „Uhren und Schmuck gelten auch als Wertanlage und sind jetzt besonders gefragt“, sagt Hass.
Die meisten Kunden der Naturkosmetikmarke NKM kommen aus München, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Die zweite Filiale im 800 Kilometer entfernten Hamburg zu eröffnen, war auch eigennützig gedacht. „Ich wollte einen Grund haben, möglichst oft nach Hamburg zu kommen“, sagt Firmengründerin Peters. Beratung direkt von der Chefin ist also möglich. Bei ihrer nächsten Filiale denkt sie an Berlin.