Hamburg. Baustellen, Geschäftsschließungen, leere Läden – die Einkaufsstraße am Rand der Hamburger City ist am Boden. Doch nun gibt es Hoffnung.

Das Ladenlokal am Ende des Großen Burstah wirkt eher unspektakulär. Hinter den verklebten Schaufenstern sind Bauarbeiter im Dauereinsatz. Es wird gehämmert, gebohrt, gestrichen. Wo bis vor einigen Monaten Blumen verkauft wurden, eröffnet nun der dänische Küchenhersteller Kvik mitten in der Corona-Pandemie seinen ersten Standort in Deutschland.

„Wir bieten dänisches Design für deutsche Küchen“, sagt Ralph Nissen, der den 280 Quadratmeter-Laden als Franchisenehmer mit Ehefrau Mai aufbaut. Die Kette, die auch Bad- und Schranklösungen zu günstigen Preisen und mit kurzen Lieferzeiten anbietet, ist international auf Expansionskurs. Dafür, dass Kvik am Großen Bur­stah startet, hat sich der 41-jährige Däne, der zuvor für die Deko-Kette Soestrene Grene das Filialnetz in Nordrhein-Westfalen aufgebaut hat, mächtig ins Zeug gelegt. „Wir haben gezielt Geschäftsräume in einer Lage gesucht, die für viele gut erreichbar ist“, sagt er.

Großer Burstah in Hamburg seit Jahren im Umbruch

Viele in Hamburg wären da wohl nicht gerade auf den Großen Burstah gekommen. Die Geschäftsstraße am Rand der Innenstadt ist seit Jahren im Umbruch. Man könnte auch sagen: in der Dauerkrise. Immer wieder neue Baustellen, eine veränderte Verkehrsführung sowie Abriss und Neubau auf dem Areal des ehemaligen Allianz-Hochhauses machten – und machen – vielen Händlern am Großen Burstah zu schaffen. Es gab zahlreiche Geschäftsschließungen.

Auch jetzt steht das Ladenlokal direkt neben dem neuen Küchenstudio seit Monaten leer. Zuletzt war hier ein Suppenladen. Auf einer Tafel wird noch das letzte Tagesangebot angepriesen: Suppe mit türkischen Linsen und Kürbis. Die Starbucks-Filiale an der Ecke läuft seit Monaten auf Sparflamme. Erst wegen des Lockdowns, jetzt weil die Hochbahn den U-Bahn-Abschnitt grundsaniert und die Station für 14 Monate geschlossen ist. Der Imbiss gegenüber hat die Öffnungszeiten verkürzt. Der angrenzende Zeitungs- und Tabakkiosk macht schon länger Urlaub.

Viele Läden gaben auf

Eine pulsierende Einkaufsgegend sieht anders aus. Auch im weiteren Verlauf der Straße gibt es Lücken. Das traditionsreiche Wäschehaus Möhring hatte Ende März aufgegeben. Vor den leeren Schaufenstern haben sich unter den Arkaden nun Obdachlose mit ihren Habseligkeiten eingerichtet. Die ehemaligen Verkaufsräume der Einrichtungskette Habitat nebenan stehen schon seit mehr als zwei Jahren leer. Der Inhaberin der kleinen Bäckerei wenige Schritte weiter Richtung Rathaus war nach langen Auseinandersetzungen mit dem Eigentümer über Mietzahlungen während der Pandemie fristlos gekündigt worden.

Im März musste sie ausziehen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind zwei Geschäfte im neu gebauten Kontorhaus Handelsreich an der Ecke zum Hahntrapp immer noch frei. „Es ist schwierig, Mieter zu finden“, heißt es beim Bauunternehmen Hochtief. Wenn schon in die Mönckebergstraße, Spitalerstraße und ins Passagenviertel um den Neuen Wall weniger Kunden kommen, wer verirrt sich dann in den Großen Burstah?

„Der Große Burstah ist im Aufbruch"

Trotzdem, oder gerade deshalb: Es tut sich wieder was zwischen Rödingsmarkt und Adolphsplatz. „Der Große Burstah ist im Aufbruch, wenn auch langsam“, sagt Sabrina Winterberg, als Projektmanagerin der Otto Wulff BID Gesellschaft für das Nikolai Quartier zuständig und schon von Berufs wegen optimistisch. Erst im Februar hatten die Grundbesitzer als Träger des sogenannten Business Improvement Districts (BID) sich auf eine zweite Laufzeit geeinigt und 2,7 Millionen Euro bereitgestellt, um das Geschäftsviertel attraktiver zu machen. Unter anderem ist jetzt eine Weihnachtsbeleuchtung geplant.

Auch Citymanagerin Brigitte Engler sieht das Potenzial der Einkaufsstraße. „Ich bin positiv überrascht, wie viele Anfragen von internationalen Unternehmen es auch am Großen Burstah gibt“, sagt sie. Neben der dänischen Küchenkette Kvik hatte sich zuletzt die niederländische Trend-E-Bike-Marke VanMoof für den Standort entschieden und bietet dort Reparaturservice und Verkaufsberatung an. Ein Anfang. Mal wieder.

„Wir brauchen mehr interessante Geschäfte“

Noch fehlt der Straße das Profil. Das Angebot reicht von Schmuck über Outdoor-Bekleidung, Teespezialitäten und Naturkosmetik bis zu Waren des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Duschgel und Zigaretten für kleines Geld. Es gibt mehrere Optiker, einen Hörgeräte-Spezialisten und diverse Versicherungsniederlassungen. „Wir brauchen mehr interessante Geschäfte“, sagt Hilde Leiss. Sie ist so etwas wie die gute Seele des Großen Burstah. Seit 33 Jahren führt sie ihre Schmuckgalerie am Standort, hat mehrere Auszugswellen in der Nachbarschaft überstanden und vor einigen Jahren sogar die Räume der einstigen Galerie Rose dazu gemietet.

„Ich lebe von meinen Stammkunden, die kommen aus der ganzen Welt“, sagt die Goldschmiedin. Auch Janine Werth hat sich mit ihrem Laden Werte Freunde, in dem sie nachhaltige Mode und Naturkosmetik verkauft sowie Kosmetikbehandlungen anbietet, einen treuen Kundinnenkreis erarbeitet. Trotz großer Einschränkungen durch die monatelangen Geschäftsschließungen sieht es im Moment gut aus für ihren ungewöhnlichen Konzeptstore.

Fahrräder statt Bettwäsche

Im vergangenen Herbst war schräg gegenüber, in die zuvor lange leer stehenden Flächen des Haushaltswaren-Händlers Lenffer der Fahrradhändler CCHH Concept Cycles Hamburg eingezogen. Nach einem Brand in den Firmenräumen an der Kollaustraße hatten sich Hendrik Schmidt und seine beiden Mitinhaber entschlossen, als Partner des Fahrradherstellers Specialized einen Test in der Hamburger City zu wagen.

Die Rad-Marke VanMoof gehört zu den Neuansiedlungen.
Die Rad-Marke VanMoof gehört zu den Neuansiedlungen. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

„Normalerweise findet der Fahrradhandel eher in der Peripherie statt. Aber der Trend zum Rad hält an, und es nimmt als Verkehrsmittel auch mehr Platz in der Innenstadt ein“, sagt CCHH-Geschäftsführer Schmidt. Das Konzept geht auf. Nachdem die Radexperten zunächst mit einem Pop-up-Laden gestartet waren, wollen sie jetzt bleiben und verhandeln gerade mit dem Eigentümer. „Wir hoffen, dass wir eine Einigung finden, die für uns bezahlbar ist“, sagt Schmidt.

Burstah-Quartier ist Dreh- und Angelpunkt

Dreh- und Angelpunkt für die Zukunft der Straße, die vor mehr als 100 Jahren ihre beste Zeit hatte, ist aber der Baufortschritt am neuen Burstah-Quartier auf dem Areal des ehemaligen Allianz-Hochhauses. Nach jahrelangem Stillstand und mehrere Eigentümerwechseln baut das Immobilienunternehmen Bilton Real Estate GmbH dort vier neue Gebäude mit etwa 32.000 Quadratmeter Fläche für Büros und Gewerbe sowie 63 Mietwohnungen.

Im Erdgeschoss sollen Gastronomie und Einzelhandel einziehen. Die Gesamtfertigstellung ist für Anfang 2023 geplant „Trotz der Auswirkungen und Einschränkungen der Pandemie liegen wir im Zeitplan“, sagt Bilton-Geschäftsführer Adam Filipiak. Der Rohbau wächst, aktuell sind die Arbeiter im fünften Obergeschoss angekommen. Bis zum Jahresende sollen die Rohbauarbeiten abgeschlossen sein.

Neubau soll Quartier wachküssen

„Der Große Burstah war lange Zeit vergessen“, sagt Filipiak. Jetzt werde er durch eine Vielzahl an Projektentwicklungen zunehmend etabliert. Das Neubau-Ensemble in zentraler Lage sieht er „als Schlussstein, der das Quartier zum Leben erwecken soll“. Noch ist allerdings kein einziger Mietvertrag für die Ladenflächen abgeschlossen. „Wir suchen nach Konzepten mit Zielkundschaft, da wir keine etablierte Lauflage wie etwa die Spitalerstraße oder Mönckebergstraße sind“, sagt er.

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Teilweise schon „fortgeschrittene Verhandlungen“ auch für die Gewerbeflächen in den oberen Stockwerken seien im Zuge der Pandemie zum Erliegen gekommen. Mehrere Einzelhandelsflächen hat der Bauherr „inzwischen auf Gastronomie umgestellt und sie vernetzt“. Dabei sei insbesondere die Belebung der Bohnenstraße, einer historischen Verbindung zwischen Hahntrapp und Trostbrücke, die lange verbaut war und im Rahmen des Neubaus wieder geöffnet wird, ein wichtiges Anliegen.

Viele Läden stehen noch leer

Auch andere Grundeigentümer haben Schwierigkeiten, ihre Flächen neu zu vermieten. Das betrifft unter anderem die früheren Geschäftsräume der Möbelkette Habitat mit 2500 Quadratmetern im Erdgeschoss und erster Etage in dem Neubau, in dem auch Geschäftsstelle und Redaktion des Abendblatts sitzen. Seit April verwaltet Claudia Weise von der Immobilienberatung BNP Paribas Real Estate Property Management das Gebäude für den Eigentümervertreter Nuveen.

„Diese Größe in der Lage ist im Moment nicht unbedingt stark nachgefragt“, sagt sie. Vom Einzelhandel bis Coworking sei alles möglich, auch Fitnessstudio oder Hotelkonzepte. Gespräche liefen. Immerhin: Die Inhaberin der kleinen Bäckerei, die seit 20 Jahren die Büromenschen im Quartier mit Kaffee, Kuchen und belegten Brötchen versorgt und seit März neue Räume sucht, kann sich Hoffnungen auf einen Neustart in einem angrenzenden, kleineren Geschäft machen. Noch ist der Mietvertrag allerdings nicht unterschrieben.

Die Mietpreise in Hamburg sinken

Nachdem der Senat Ende Juni den Sonderfonds Frei_Fläche beschlossen hatte, gibt es auch einige Anfragen von Künstlern und Kreativen, leer stehende Ladenflächen vorübergehend zu nutzen. Für das Programm stehen insgesamt neun Millionen Euro zur Verfügung.

Wohnen, Fahrräder, Kultur – das sind nicht gerade klassische Innenstadt-Nutzungen. Das hat auch mit den sinkenden Mietpreisen zu tun, gerade auch in Randlagen. Citymanagerin Engler sieht den Großen Burstah deshalb schon als Vorreiter für neue Entwicklungen und die Vernetzung von stationären Geschäften und Online-Angeboten.

Optimismus für Standort Großer Burstah

„Wenn jetzt die richtigen Konzepte an den Großen Burstah kommen, ziehen andere nach und dann läuft es irgendwann wieder“, sagt Küchenstudio-Chef Ralph Nissen. Er ist überzeugt von dem Standort. Auch finanziell gehen die Nissens für ihr Projekt ins Risiko: 300.000 Euro haben sie investiert. „Hier zeigt sich schon der Wandel im Handel.“

Dass es funktionieren kann, habe die Corona-Zeit mit langen Geschäftsschließungen gezeigt. „Die Kunden kommen, wenn man ihnen auf unterschiedlichen Kanälen die Möglichkeit gibt.“ Mit dem Start von Kvik ist der Händler schon mal zufrieden. „Wir haben noch gar nicht offen, aber sind für die nächsten zwei Wochen für Beratungsgespräche ausgebucht.“ Am Montag soll es losgehen.