Hamburg. Hamburger Start-up bekommt zwar viel Lob, aber kein Geld. Doch dann gibt es zwei überraschende Angebote – und den Riesenerfolg.

Im Scheinwerferlicht des Fernsehstudios fängt Henrik Emmert seinen Vortrag mit einer Erkenntnis an, die viele Menschen schon im Selbstversuch erfahren haben. „Mal ganz ehrlich: Diäten funktionieren einfach nicht“, sagt der Wirtschaftsingenieur in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“. Jeder vierte Deutsche habe starkes Übergewicht und leide unter Adipositas, sagt Mitgründerin Nora Mehl, eine promovierte Psychologin.

Die möglichen gesundheitlichen Folgen: Mobbing, seelische Erkrankungen, Diabetes und Herzerkrankungen. Doch Therapiemöglichkeiten für die Volkskrankheit gebe es bisher keine. „Deswegen haben wir Zanadio entwickelt, ein App-basiertes Behandlungsprogramm“, sagt Nora Mehl.

"Höhle der Löwen": 500.000 Euro für Diät-App Zanadio?

Individuell auf die Teilnehmer zugeschnitten werden Tipps zu Ernährung und für mehr Bewegung gegeben, die langfristig zu einem geänderten Verhalten bei den Patienten führen sollen. Im Tagebuch könne der Nutzer Protokoll führen, wie viele Kalorien er schon zu sich genommen und dank leicht anzuschließender Fitnesstracker durch Bewegung verbraucht habe, sagt Tobias Lorenz. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler ist der dritte im Gründer-Trio des Hamburger Start-ups Aidhere. Die Zulassung als Medizinprodukt habe man schon erhalten, führen sie aus.

Ein „spannendes Thema“ findet das Dagmar Wöhrl als eine von fünf potenziellen Investoren. „App auf Rezept ist selten“, sagt Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer. Und ein „ganz, ganz großes Kompliment“, macht Handelsexperte Ralf Dümmel. Nun geht es in der Sendung aber nicht darum, warme Worte zu bekommen, sondern das Geld der „Löwen“. 500.000 Euro wollen die Start-up-Macher für acht Prozent der Firmenanteile haben.

Investoren erteilen Aidhere in "Höhle der Löwen" Abfuhr

Im Gegenzug erhoffen sie sich das Know-how der Investoren für Marketing und Vertrieb. Maschmeyer rechnet die Bewertung gleich hoch und fragt, warum die Firma 6,25 Millionen Euro wert sein soll? Eine für die Sendung hohe Bewertung von Neugründungen. Man habe schon 650.000 Euro investiert, sagt Emmert und ergänzt: „Für eine Firma in unserem Stadium sind sechs Millionen Euro aus unserer Sicht eine marktübliche Bewertung.“ Kritik an seiner Position ist im Zusammenschnitt des Pitches nicht zu sehen.

Doch zu einem Einstieg eines „Löwen“ kommt es nicht. Dümmel sagt, es sei für ihn persönlich ein Thema, aber nicht geschäftlich. Ex-Formel-1-Fahrer Nico Rosberg lobt die Gründer, dass sie „vertrauenswürdig, sehr seriös“ seien, aber der Aufbau eines neuen Marktes ein Riesenrisiko sei. Medienunternehmer Georg Kofler sieht potenzielle Patienten als zu träge an und glaubt, dass diese die persönliche Ansprache brauchen, damit sie wirklich abnehmen. Wöhrl und Maschmeyer halten Ärzte aufgrund deren Selbstverständnis für keine Verkäufer.

Hamburger Start-up Aidhere in "Höhle der Löwen" enttäuscht

„Irgendetwas sagt in meinem Kopf: noch zu viele Unsicherheiten“, sagt Maschmeyer, „deswegen bin ich raus.“ Die Gründer zeigen sich zunächst ein wenig enttäuscht. „Das ist schon bitter, aber wir haben halt durchweg positives Feedback gekriegt“, sagt Lorenz, der heute 39 ist. Das baue einen auf.

In der Fernsehwelt ist die Geschichte von Aidhere an dieser Stelle zu Ende – in der realen Welt ist seitdem viel passiert. Das liegt daran, dass der Pitch schon im Mai vergangenen Jahres aufgezeichnet wurde. Das Start-up mit Büroräumen in der Hamburger Innenstadt ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal ein Jahr alt und hat sechs Mitarbeiter.

„Man konnte damals noch keine Anträge stellen, um als Digitale Gesundheitsanwendung (DiGas) zugelassen zu werden. Wir hatten aber alles dafür Notwendige in der Schublade liegen“, sagt Emmert im Videogespräch mit dem Abendblatt.

Studien belegen Wirksamkeit der Diät-App Zanadio

Studien, die mit gut 100 Teilnehmern die Wirksamkeit der App belegten, werden erst zwei Monate später Mitte Juli fertig. Ein Patient soll dabei 14 Kilogramm abgenommen haben und Medikamente abgesetzt haben dürfen, heißt es.

Die Ergebnisse reichten dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), um am 21. Oktober 2020 Zanadio als einer der ersten Anbieter in Deutschland als DiGas – oder vulgo: App auf Rezept – vorläufig zuzulassen.

Aihere: Krankenkassen übernehmen Kosten für App

Das sorgt im Vergleich zum Pitch auch für zwei wesentliche Veränderungen. Erstens wollte Aidhere in der „Höhle“ das Produkt direkt an den Endkunden für 199 Euro pro Monat verkaufen. Doch nun bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen dafür, und zwar 499,80 Euro für 90 Tage.

„Auch einige große private Krankenkassen übernehmen die Kosten bereits“, sagt Emmert. Dazu gehörten Allianz, Axa und Nürnberger. Auch die meisten anderen privaten Kassen würden nach der Erstellung eines Kostenvoranschlags zahlen.

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Zweitens wurde die in der Show erwähnte Coaching-Komponente gestrichen, weil sie wegen der DiGas-Gesetzgebung nicht erstattungsfähig sei. Stattdessen soll sie nun voraussichtlich ab kommenden Juli als kostenpflichtige Zusatzleistung angeboten werden.

Für ein halbstündiges Videogespräch mit einem Sportpsychologen oder Ernährungswissenschaftler werde der Preis voraussichtlich um die 25 Euro liegen. „Aus unserer Sicht wäre es schön, wenn es Bestandteil der DiGas sein könnte“, sagt Mitgründerin Mehl. Die 34-Jährige ist beim Abendblatt-Gespräch per Video aus Leipzig zugeschaltet. Dort arbeitet die Psychologin im Normalfall.

2000 Patienten nutzen Hamburger Abnehm-App Zanadio

Am 1. November 2020 erfolgte der Marktstart für die App. Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) zwischen 30 und 40 erhalten vom Arzt oder Psychotherapeuten das Rezept und reichen es bei der Krankenkasse ein. Die Kasse gibt dem Patienten dann einen Code, mit dem er sich nach Erstellung eines Nutzerkontos auf zanadio.de freischaltet. Dann lädt er sich die App herunter und das angeleitete Abnehmen kann starten.

Am Anfang sei es etwas schleppend angelaufen, weil sich alles erst habe einschleifen müssen, sagt Emmert: „Jetzt haben wir schon mehr als 2000 Patienten.“ Damit bewege man sich im Rahmen der Erwartungen. Der Umsatz liege damit unter Berücksichtigung des Abzugs der Mehrwertsteuer bei knapp einer Million Euro.

Mit dem Wachstum ging auch die Zahl der Beschäftigten stark nach oben. Etwas über 50 Mitarbeiter sind es nun – im November waren es knapp 20. Eingestellt wurden vor allem Ernährungsberater für die Kundenunterstützung, aber auch Produkt- und technische Entwickler, Marketingspezialisten und Buchhalter. Zum Juli sollen neue, größere Büroräume an der ABC-Straße bezogen werden.

Aidhere fand außerhalb der "Höhle" Investoren

Auch wenn die „Löwen“ in der TV-Höhle die Abnehm-App scheuten, Investoren hat Aidhere dennoch gefunden. Im April 2021 stiegen finanzstarke Familien (Family Offices) und weitere vermögende Privatinvestoren (Business Angels) ein. Sie seien aber öffentlichkeitsscheu und wollten nicht genannt werden, sagt Emmert. Ein niedriger einstelliger Millionen-Euro-Betrag sei geflossen.

Das Geld soll für die Weiterentwicklung des Produkts und für weitere klinische Studien genutzt werden. Wie viele Anteile verkauft wurden, lässt der 38-Jährige offen. Er sagt nur: „Im Nachhinein konnten wir zeigen, dass Leute gern zu den Konditionen aus der Show eingestiegen wären – und jetzt zu höheren Konditionen eingestiegen sind.“

Feedback in "Höhle der Löwen" nur begrenzt hilfreich

Aus dem Feedback der „Löwen“ habe man nicht so viel ziehen können. Das liege vor allem daran, dass man selber schon tief im Marktsegment eingetaucht sei und viel Wissen aufgebaut habe. Und man auch schon vor einem Jahr mit Business Angels zusammengearbeitet habe, die rund ein Viertel der Anteile hielten und für profundes Feedback sorgten.

Aber dennoch sei die Teilnahme an der Fernsehsendung ein besonderes Erlebnis gewesen, sagt Emmert: „Es war super spannend, sich kurzfristig innerhalb von einer Woche auf den Pitch vorzubereiten und ihn im TV-Studio unter Druck zu präsentieren. Das hat uns drei Gründer als Team zusammengeschweißt.“