Berlin. Showdown im Wirecard-Untersuchungsausschuss: Kanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und weitere Minister müssen aussagen.
Es waren stundenlange Sitzungen, teils bis tief in die Nacht. 82 Zeugen wurden verhört, von einfachen Behördenbeamten über Geheimdienstmitarbeiter bis hin zu den Chefs der wichtigsten deutschen Banken.
Nun kommt es zum Showdown im Wirecard-Untersuchungsausschuss: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und weitere Minister müssen sich den Fragen nach ihrer politischen Verantwortung stellen.
Wie konnte Wirecards irres Lügenkonstrukt derart lange Bestand haben? Warum unterhielt der flüchtige Manager Jan Marsalek beste Kontakte zu ausländischen Geheimdiensten, flog hierzulande aber unter dem Radar?
Der Fall Wirecard ist nicht nur der größte deutsche Wirtschaftsskandal der Nachkriegsgeschichte, mit Banken, die Millionen verloren, geschädigten Kleinaktionären, deren Altersvorsorge futsch ist und einem beispiellosen Behördenversagen. Er ist auch ein Politikum. Eine Übersicht, was die Spitzenpolitiker in dieser Woche erwartet.
Olaf Scholz, SPD, Bundesfinanzminister und Vizekanzler
Für den Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz dürfte es besonders unangenehm werden – allein schon, weil er am meisten zu verlieren hat. Wirecard ist ein Makel, den der 62-Jährige in den Wahlkampf trägt und der ihm Angriffsfläche beim politischen Gegner bietet. Scholz selbst sieht das selbstredend anders. Er versteht sich als Reformer, der nach dem Skandal die richtigen Schlüsse gezogen habe, die Finanzaufsicht Bafin neu ordnen und nun zur „weltbesten Aufsicht“ ausbauen will.
Die Bafin ist dem Finanzministerium unterstellt, neben den Wirtschaftsprüfern von EY gilt sie als Hauptverantwortliche des Versagens der externen Prüfer. Lange fühlte sich die Bafin nicht für Wirecard zuständig, dann verbot sie Aktionären, auf fallende Wirecard-Kurse an der Börse zu setzen, und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen Journalisten der Financial Times ein, die den Skandal später aufdecken sollten.
Bizarrerweise hielt im Dezember ausgerechnet Olaf Scholz eine öffentliche Laudatio auf den Journalisten Dan McCrum, der für seine Enthüllungen ausgezeichnet wurde. Von Reue war bei Scholz keine Spur zu erkennen. Die Fehler sieht er bei anderen, der Wirtschaftsprüferaufsicht aus dem Hause von Peter Altmaier (CDU) zum Beispiel.
Erst als im Januar der Druck zu groß wurde, zog er personelle Konsequenzen bei der Bafin. Der Finanzaufsichts-Chef Felix Hufeld musste ebenso seinen Hut nehmen wie seine Vizepräsidentin Elisabeth Roegele. Scholz muss am Donnerstag aussagen. Bereits am Mittwoch ist einer seiner wichtigsten Vertrauten an der Reihe: Jörg Kukies.
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Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium
Jörg Kukies war lange einer der einflussreichsten Banker hierzulande, Co-Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs. Dann lotste Scholz den heute 53-Jährigen in sein Ministerium, machte ihn zum Staatssekretär. Die passende Parteicouleur brachte Kukies mit, einst war er Juso-Chef in Rheinland-Pfalz.
Kukies Expertise ist unbestritten, sein Stellenwert für Scholz ebenso. Er gilt beispielsweise als Kopf hinter den Corona-Hilfen. Und er befasste sich früh mit Wirecard. „Jörg Kukies ist der Schlüsselzeuge schlechthin“, sagt FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar.
Denn auf Kukies Schreibtisch landete nicht nur das umstrittene Leerverkaufsverbot der Bafin, deren Verwaltungsrat er leitet. Der frühere Banker besuchte auch den früheren Wirecard-Chef Markus Braun – an dessen 50. Geburtstag. Der Inhalt des Gesprächs wird als „geheim“ eingestuft und unter Verschlusssache gehalten. Markus Braun selbst schwieg zu den Inhalten in einer bizarren Befragung im Untersuchungsausschuss.
Als die Wirecard AG im Juni kollabierte, nachdem sie kein Testat für seinen Jahresabschlussbericht erhielt und eingestehen musste, dass eine Bilanzsumme auf ausländischen Treuhandkonten von 1,9 Milliarden Euro wohl frei erfunden sind, soll Kukies geprüft haben, ob man Wirecard mit Steuergeld retten solle. Die Idee wurde verworfen.
Kukies gehört zudem dem Aufsichtsrat der staatlichen Ipex-Bank an, einer Tochter der staatlichen KfW-Bank und einer ehemaligen Kreditgeberin der Wirecard. Ipex verlor durch den Wirecard-Kollaps mehr als 80 Millionen Euro.
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Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin
Auch die Kanzlerin muss sich vor dem Untersuchungsausschuss verantworten: Angela Merkel wird am Freitag befragt, sozusagen als großes Finale. Sie warb im Rahmen ihrer China-Reise 2019 dafür, dass Wirecard eine chinesische Firma übernehmen durfte. Zuvor hatte ihr früherer Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) das Thema in einem persönlichen Gespräch mit ihr erläutert.
China gab grünes Licht für die Übernahme, Wirecard zog mit der positiven Nachricht den Kopf aus der Schlinge. Merkel selbst hatte nach bisherigen Erkenntnissen nie direkte Gespräche mit dem Wirecard-Management. Ihr Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller dagegen schon. Allerdings hatte er im Untersuchungsausschuss erstaunlich große Gedächtnislücken, was diese Gespräche anbelangte.
Peter Altmaier, CDU, Bundeswirtschaftsminister
Wirtschaftsminister Peter Altmaier wird bereits am Dienstag befragt. Er ist zuständig für die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas. Deren früherer Chef Ralf Bose handelte mit Wirecard-Aktien, während seine Behörde den Fall untersuchte. Er wurde daraufhin gefeuert. Als Wirtschaftsprüferaufsicht ist die Apas verantwortlich für die Prüfung von EY, die sich jahrelang von Wirecard an der Nase herumführen ließen.
Die SPD warf Altmaier am Dienstag vor, notwendige Reformen zu blockieren. Die Union sei von der Wirtschaftsprüfer-Lobby beeinflusst, sagte SPD-Finanzexpertin Cansel Kiziltepe.
Christine Lambrecht, SPD, Bundesjustizministerin
Am Mittwoch dürfte auf diese Vorwürfe die Retour-Kutsche kommen. Dann wird Justizministerin Christine Lambrecht befragt, vor allem auf Wunsch der Union. Ihr wird vorgeworfen, bei der Finanzpolizei DPR nicht genau hingeschaut zu haben. Der privatrechtlich organisierte Prüfgesellschaft fiel der Wirecard-Schummel im Zahlenwerk nicht auf.
DPR-Präsident Edgar Ernst kündigte vor kurzem seinen Rücktritt an, nachdem bekannt wurde, dass er 2017 ein Aufsichtsratsmandat beim Metro-Konzern annahm. Dabei sind solche Mandate dem DPR-Chef seit 2016 nicht mehr gestattet.
Dorothee Bär, CSU, Staatsministerin für Digitalisierung
In der jungen und hippen Welt des Digitalen fühlt sich CSU-Politikerin Dorothee Bär pudelwohl. Wie passend war es da, dass Deutschland scheinbar einen neuen Tech-Star hervorbrachte, eine Hightech-Schmiede und das auch noch in Bayern.
Entsprechend ließ es sich die Staatsministerin für Digitales und passionierte Gamerin nicht nehmen, das Unternehmen in der kleinen Gemeinde Aschheim, die besonders unter den Auswirkungen des Skandals leidet, vor den Toren der bayerischen Landeshauptstadt Münchens zu besuchen.
Solche Besuche sind durchaus üblich und angesichts der Tatsache, dass es sich bei Wirecard um einen Dax-Konzern handelte, auch nicht fragwürdig. Interessant dürfte aber Wirecards Motivation hinter dem Treffen gewesen sein. Denn der Konzern versuchte immer wieder, Drähte in die CSU zu legen, um so zu einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu gelangen.
Im Fall von Dorothee Bär hätte es fast geklappt. Denn wenige Tage nach ihrem Vor-Ort-Besuch in Aschheim soll Bär vermittelnd versucht haben, ein Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirecard-Chef Markus Braun zu organisieren.
Das Treffen kam nie zustande. Ein Beamter im Kanzleramt äußerte Bedenken angesichts Wirecards zweifelhafter Rolle bei den Panama Papers. Offiziell wurde der Termin aus Termingründen der Kanzlerin abgesagt.